Quartet von Dustin Hoffman. England, 2012. Maggie Smith, Tom Courtenay, Billy Connolly, Pauline Collins, Michael Gambon, Sheridan Smith, Dame Gwyneth Jones, Andrew Sachs
Altwerden ist nichts für Weicheier – diese Erkenntnis hat man in letzter Zeit in dieser oder nur knapp abgewandelter Form häufiger im Kino zu hören bekommen. Eine zweifellos sehr zutreffende Feststellung, wobei die Filme selbst, die sich dem praktischen Beweis derselben verschrieben haben, zumeist eher milde und harmlos daherkommen, und mit den Beschwernissen des Alters, so wie ich sie professionell erlebe, komischerweise nur wenig zu tun haben. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass man Altwerden in seiner hässlichsten und elendsten Form niemandem zumuten will, zumal auch zu viele ganz private Ängste damit verknüpft sind und sich nur die wenigsten schon im Vorfeld damit auseinandersetzen möchten, was möglicherweise auch auf sie zukommt. Also haben wir es überwiegend mit Komödien zu tun, häufig mit ernsten Untertönen, und nur gelegentlich mal mit einem wirklich tiefgehenden Drama à la „Liebe“ oder „An ihrer Seite“ – diese Filme nähern sich der Essenz des Themas dann schon auf ganz andere Weise an.
Dustin Hoffman hat für sein Regiedebüt auch eher einen „leichten“ Stoff gewählt, hat es aber dennoch ausgezeichnet verstanden, dem komödiantischen Grundgerüst der Geschichte einen Unterbau zu verpassen, der dafür sorgt, dass wir es hier nicht nur mit einem seichten, gefälligen Gutelaunefilm zu tun haben. Anfänglich sieht es schon danach aus: Wir sehen Beecham House, einen luxuriösen Ruhesitz für ehemalige Musiker und Opernstars und dementsprechend randvoll mit typisch britischen Exzentrikern. Bevorsteht die jährliche Gala zu Ehren Giuseppe Verdis, die zugleich als wichtigster Anlass zur Akquise von Spendengeldern verstanden wird, und dementsprechend groß ist auch jedes Mal die Anspannung in der Vorbereitungsphase. Die Ankunft des neuen Gastes, einer einst gefeierten Diva namens Jean Horton, könnte einerseits gerade recht kommen, sorgt aber leider für noch mehr Unruhe, denn die Dame war einst mit einem anderen Bewohner, dem nicht minder berühmten Reginald Paget liiert, und der Herr ist von der neuen Nachbarin alles andere als erbaut. Noch schlimmer wird’s, als der selbsternannte Organisator der Gala auf die Idee kommt, Horton, Paget und zwei befreundete Sänger könnten das Quartett aus Verdis „Rigoletto“ vortragen, was zweifellos ein spektakulärer und überaus publicityträchtiger Coup wäre. Leider hat Miss Horton anfangs entschieden etwas dagegen und es bedarf schon einigen Aufwands, um sie umzustimmen.
Im Zentrum steht hier das Miteinander der betagten Herrschaften im feinen Beecham House. Jeder für sich einst als Musiker/in oder Sänger/in prominent gewesen, und entsprechend schwierig ist es nun natürlich für alle, sich aufeinander einzustellen, miteinander auszukommen. Immer wieder kommen Eitelkeiten und Extravaganzen durch, mal in Form liebenswürdiger Schrullen, mal auf etwas schärfere Weise, am häufigsten jedoch im Zusammenhang mit weit verbreiteten Variationen von Demenz. Die einen sind nur leicht vergesslich und tüdelig, bei anderen nimmt das schon ganz andere Ausmaße an, so auch bei Cissy, die ebenfalls zum Quartett gehört und geistig zusehends verfällt. Und obwohl es auch hier vorwiegend zu komischen Augenblicken kommt, ist der Grundton dabei durchaus ernst, das heißt, Autor und Regisseur (beide selbst Mitte bis Ende siebzig) zeigen sehr deutlich, dass sie die Situation keineswegs verharmlosen wollen. Der Hickhack des nach nur neun Stunden schon wieder geschiedenen Ex-Ehepaares mixt amüsante mit melancholischen Tönen, Wilfs Raubzüge in Haus und Garten (immer auf der Sucher nach Schnaps oder erotischer Zerstreuung) wirken auch nur oberflächlich lustig, während man hinter der Fassade des wacker an seinen Hormonen festhaltenden Recken die Angst vor Leere und Langeweile ausmachen kann. Einzig Paget scheint sich mit dem Alter abgefunden zu haben und empfiehlt dies auch seiner Exfrau und seinem, Kumpel Wilf, doch indem er Jean kurz vor der Aufführung seinen zweiten Heiratsantrag macht, zeigt er, dass er mit dem Leben wohl doch noch nicht abgeschlossen hat.
All dies im Geiste eines eleganten, geistreichen und sehr britischen Theaterstücks, sehr kurzweilig, schön fotografiert und mit perfekter Balance zwischen Heiterkeit und Ernst. Im Mittelpunkt stehen die Akteure, denen sich der Schauspieler Hoffman natürlich mit besonderer Liebe und Aufmerksamkeit zuwendet, und genau dies macht auch den großen Charme seines Films aus. Großartige Charaktermimen werfen all ihr Können und vor allem all ihre Würde in die Waagschale und überspielen damit auch manche seichte Klippe, die der Film durchaus bereit hält. Hoffman beweist seine Geschmackssicherheit und Klugheit, indem er flaue oder platte Effekte weglässt, Slapstick und Kalauer ebenfalls vermeidet und sich ganz auf das Zusammenspiel seiner Kollegen konzentriert, und die danken es ihm mit wundervoll abgerundeten und wirklich schönen Porträts. Jemanden wie Tom Courtenay sieht man ja leider nicht so häufig auf der Leinwand, und allein das ist schon eine Freude, und seine Szenen mit Maggie Smith sind wirklich toll, aber auch Pauline Colins, Billy Connolly und Michael Gambon steuern exquisite Szenen bei, sodass ich mich am Schluss sehr gut und auch anspruchsvoll unterhalten fühlte, auch wenn der Film mir nicht wirklich vermitteln konnte, wie „hart“ das Altwerden wirklich ist. Nebenbei ist der Film natürlich auch eine Hommage an die Musik, an den Gesang und die großen Emotionen, die er ausdrücken kann, und der Abspann liefert noch eine sehr sympathische Hommage an die Schauspieler, indem er daran erinnert, was sie früher waren oder wie sie in früheren Jahren mal aussahen. Alle miteinander haben sie einen weiten Weg zurückgelegt, und es ist eindrucksvoll zu sehen, wie viel Vitalität und Geist noch immer in ihnen steckt. (30.1.)