Quellen des Lebens von Oskar Roehler, BRD, 2013. Moritz Bleibtreu, Lavinia Wilson, Jürgen Vogel, Meret Becker, Leonard Scheicher, Lisa Smit, Margaritas Broich, Thomas Heinze, Steffen Wink, Erika Marozsán, Kostja Ullmann, Wilson Gonzalez Ochsenknecht, Sonja Kirchberger
Ein ganzes Dutzend Jahre ist es bereits her, als Oskar Roehler seine Mutter Gisela Elsner (damals gespielt vom Hannelörsche) durch das frisch wiedervereinigte Berlin taumeln ließ, eine verstörte, hilflose, aus der Zeit gefallene, aber auch irgendwie bemitleidenswerte Figur, die sich im Hier und Jetzt einfach nicht mehr zurechtfindet und deren Selbstmord kurz darauf eine fast unausweichliche Konsequenz dieser letzten Monate gewesen zu sein schien. In „Quellen des Lebens“ nun ist der Blick auf seine Eltern ein anderer, deutlich schärfer, deutlich distanzierter, der Blick eines bös Traumatisierten, der einst einer Hölle entkam und sich nun drei Stunden filmischen Exorzismus gönnt. Nach Anschauen des Trailers dacht ich noch, um Himmels Willen, das tu ich mir nicht an, zumal mir Roehlers Hang zu Trash und Pathos ab und an auch mal zu weit geht, aber dann hab ich mich doch mitziehen lassen und kann nur sagen, gottseidank, denn dies ist nicht nur ein sehr sehenswerter Film, sondern auch mit Sicherheit Roehlers bester seit „Die Unberührbare“ mit dem er erstmals seine Familiengeschichte aufzuarbeiten versuchte.
Und was für eine Familiengeschichte: Launisch, dramatisch, episch, manchmal auch komisch und immer ein fassbindermäßig bunt überzeichnetes Abziehbild bundesdeutscher Nachkriegshistorie. Ins Rollen bringt das Ganze der Großvater, ein zerlumpter Heimkehrer, der zunächst daheim gar nicht auf offene Arme stößt, sondern sich erst mal wieder in seiner eigenen Familie behaupten, sprich die lesbische Schwester verdrängen muss. Aber er schafft’s und etabliert bald eine florierende Firma für Gartenzwerge. Der älteste Sohn Klaus bändelt mit der verführerischen Großbürgerlichen Gisela an, und los geht eine Liebesgeschichte gegen den Willen ihrer Eltern (großkotziger Industrieller mit entsprechendem politischen Einschlag), mitsamt erzwungener Trennung (sie wird zum Studieren nach Wien geschickt), doch die beiden setzen sich durch, heiraten, bekommen einen Sohn, und plötzlich kriegt sie einen Knall, verlässt die Familie und lässt ihren Mann langsam aber sicher abstürzen. Sohn Robert ist das Opfer und fühlt sich bald bei den Großeltern wohler, egal bei welchen, und als er die süße Laura kennenlernt, hat er auch endlich etwas, worum er kämpfen kann. Und Kämpfe gibt’s genug, bis die beiden endlich fest zusammen sind, bis hin zu einer letzten frustrierenden Begegnung mit der Mutter in München, wo sie mittlerweile als anerkannte, aber zugleich exzentrische, egozentrische und zunehmend wirre Bohèmediva hofiert. Gisela Elsner eben.
In Lavinia Wilsons furiosem Porträt wird die ganze traurige Entwicklung dieser Frau nachvollziehbar: Zuerst die lebenshungrige, kapriziöse Tochter aus gutem Hause mit Ambitionen als Autorin, dann aber auch schon die Frau, die in ihrer Verzweiflung zu letzten Mitteln greift, sogar auf den Strich gehen will, um Geld zu haben und vom verhassten Vater unabhängig zu werden, dann die genervte Mutter, die eigentlich kein Interesse an ihrem Kind hat, sondern lieber schreibt, und viele Jahre später die entrückte, in gewissen Kreisen durchaus prominente Schriftstellerin, die sich blasiert und distanziert gibt und linke Klischeephrasen absondert. Was den Sympathie- oder auch Empathiegehalt dieser letzten Szenen angeht, hat sich Roehler ein beträchtliches Stück entfernt von „Die Unberührbare“, aber gilt in gleichem Maße für den Vater, der in Moritz Bleibtreus Version ein engstirniger, liebloser, zwanghafter und zunehmend dem Alkohol verfallener Bursche ist, der zu keiner Zeit wirklich für Robert da ist und sich später vor allem auf das Sammeln weiblicher Trophäen beschränkt. So wächst Robert zwischen den Extremen auf, in gewisser Weise auch ein wenig heimatlos, denn die Großeltern können ihm natürlich die Eltern nicht ersetzen, ist für die Wilden Sechziger noch zu jung, platzt dann, von Natur aus mit geringem Selbstvertrauen und noch geringerem Coolnessfaktor ausgestattet, eher in die grauenhaften mittleren 70er, und muss ganz schön ackern, um mit dem ebenfalls recht schüchternen Zahnspangengirlie Laura endlich auf einen grünen Zweig zu kommen. Die aber, wie Mädchen es halt immer tun, früher aufblüht als er und ihn behutsam an die Hand nimmt in Richtung Erwachsenwerden. Große Politik spielt hier keine Rolle, der Fokus liegt deutlich im Privaten, genauer in einer bürgerlichen Geschichte von 1949 bis cirka dreißig Jahre später. Anschauungen und Werte werden von Roehler sehr schön plakativ und mit einer Mischung aus Ironie und leisem Horror zur Schau gestellt, und das meine ich auch so, denn bei Roehler geht’s ja häufig um das Ausstellen, auch im Sinne von Karikatur und Stilisierung. Obwohl sein Film ja eigentlich eher im kleinen Rahmen bleibt, ist er doch ein großer Wurf, weil man durchaus kapiert, dass die eine Familie aus dem Fränkischen für eine ganze Klasse stehen könnte und auf jeden Fall eine große Menge ähnlicher Schicksale repräsentiert. Gisela Elsner gehört natürlich nicht zu denen, die in irgendeine Schublade passen, und auch nicht Klaus Roehler, der als Autor immer in ihrem Schatten stand.
Oskar Roehler nun erzählt, wie er davon gekommen ist, scheinbar sogar halbwegs gesund, was eigentlich kaum glaublich scheint bei soviel Lieblosigkeit und Vernachlässigung. Er erzählt von der Einsamkeit des kleinen Robert, der von seinem Vater immer nur überallhin mitgenommen wird, aber nie mehr als ein Anhängsel ist, er erzählt von den ersten Gehversuchen des Halbwüchsigen in einer Berliner Gang, von den verschiedenen Versuchen, bei den Großelternpaaren unterzukommen, von der Zeit im Internat und vor allem zuletzt von der Liebe zu Laura, die hart erarbeitet werden will. Daneben gibt’s noch ein zunächst recht sperriges, später aber zunehmend liebevolles (und von Vogel und Becker grandios gespieltes) Porträt der Großeltern väterlicherseits, während die anderen beiden stets nur schrille Comicfiguren bleiben, und vor allem in Margarita Broichs äußerst eigenartiger Vorstellung Roehlers Hang zur Farce durchscheint. Worauf ich gern verzichtet hätte.
Von einigen Macken und ganz seltenen dramaturgischen Durchhängern abgesehen hat mich der Film über die gesamte satte Distanz hinweg beschäftigt, bewegt und amüsiert, und das ist doch schon mal nichts geringes. Er verleugnet seinen Fassbinder nicht, aber er hat dennoch einen eigenen Stil, er besticht schauspielerisch durchweg (mit oben genannter Einschränkung), und er beeindruckt durch seine kompromisslose und sicherlich ziemlich unbequeme Haltung der eigenen Familie gegenüber, ohne jemals larmoyant zu werden, und insgesamt fand ich ihn irgendwie ziemlich stark. Und ausgerechnet die flaumigen Weichspülsongs des bräsigen Späthippies Lobo sollen berüchtigte „Dosenöffner“ gewesen sein – okaaaay, wieder was gelernt... (8.3.)