Renoir von Gilles Bourdos. Frankreich, 2012. Michel Bouquet, Christa Theret, Vincent Rottiers, Thomas Doret
Sofern man anhand des Titels erwartet, der Film drehe sich vor allem um den Maler Pierre-Auguste Renoir, so könnte man mit Fug und Recht von Etikettenschwindel sprechen, denn so verhält es sich schlicht und ergreifend nicht. Wenn man die Perspektive aber etwas aufweitet und die gesamte Familie Renoir einbezieht, so kommt man der Sache schon näher, und kann vielleicht auch seinen Frieden damit machen, dass der greise, rheumageplagte Maler zumeist eher am Rande des Geschehens zu finden ist, was aber nicht bedeutet, dass sich nicht dennoch alles um ihn dreht...
Im Jahre 1915 trägt es sich zu, dass die junge Andrée die letzte Muse des alten Malers wird und ihn noch einmal zu einigen wunderbaren Bildern inspiriert, obwohl sie ihn zunehmend Schmerzen und Kraft kosten und er sicherlich nicht mehr lang dazu in der Lage sein wird. 1915 ist auch ein Jahr im Ersten Weltkrieg, in dem beide Söhne, Pierre und Jean, kämpfen und bereits verwundet wurden. Jean kehrt eines Tages zurück auf das väterliche Anwesen an der Côte d’Azur und verliebt sich schnell in Andrée, über die ansonsten niemand aus dem Haushalt etwas zu wissen scheint. Andrée nimmt Jean zwei versprechen ab: Nicht wieder in den Krieg zu ziehen und zusammen mit ihr Filme zu drehen. An das erste versprechen hält Jean sich nicht, an das zweite, wie man weiß, sehr wohl.
Der Abspann gibt dann noch ein paar Informationen, von denen sich bezeichnenderweise nur die erste, kürzeste auf den Maler bezieht, der vier Jahre nach den im Film beschriebenen Ereignissen stirbt. Ausführlicher wird der Weg von Jean und Andrée beschrieben, die heiraten, sich später wieder trennen, und beide im Jahr 1979 sterben, er als allgemein gefeierte Berühmtheit in Hollywood, sie als längst vergessene Schauspielerin vornehmlich aus Stummfilmen, die sich früh aus der Öffentlichkeit zurückzog. Der alte Auguste ist dabei nicht viel mehr als eine Randerscheinung.
Und auch im Film gerät er mehr und mehr aus dem Blickfeld, im gleichen Maße, wie die Geschichte von Jean und Andrée in den Mittelpunkt rückt. Dies wäre auch mein hauptsächlicher Kritikpunkt – wir sehen und erfahren einfach zu wenig über Renoirs Malerei, hören ein paar knappe, eher belanglose Sätze über Tizian oder die Haut, erleben seine auch im hohen Alter ungebrochene Schwärmerei für die Körper junger Frauen und lassen ihn ansonsten nach Kräften leiden und gepflegt werden von einem Haufen aufopferungsvoller Haushaltshilfen, die bei Bedarf auch noch als Modelle eingesetzt werden. Ein alter Patriarch also, ein Schwerenöter, einer, der das Leben und die Frauen liebte, natürlich ein genialer Künstler, und einer, der von einem brillanten Schauspieler wie Michel Bouquet verkörpert wird – und der dennoch nicht ganz zu uns durchkommt, der mitsamt seiner Kunst ein wenig unscharf und eindimensional bleibt, und das habe ich als sehr schade empfunden.
Sonst aber gibt es nichts zu meckern, sofern man akzeptiert, dass dies vor allem ein Fest fürs Auge sein soll, und dies ist der Film tatsächlich in besonderem Maße. Ein in ruhigem, fließenden Rhythmus und traumhaft schönen Bildern zelebriertes Hohelied auf die Schönheit, die Schönheit des Südens und die Schönheit der Frauen. Den Süden erfährt man mal wieder mit allen Sinnen, sieht, hört, riecht ihn, und das ist schon eine feien Sache. Die Schönheit der Frauen wird ebenfalls ausgiebig gefeiert, wobei es der Kamera vorzüglich gelingt, schmierige Erotik zu umgehen und eher mit den Augen des Malers auf die vielfach unbekleidete Andrée zu schauen. Man sieht und begreift bald, was dieses junge Mädchen zu Renoirs Muse machte, gerade weil sie offenbar eine größere Tiefe als angenommen hatte, eine Art Geheimnis, ein Leben, in das niemand aus der Familie Einblick hatte. Mit der unterwürfigen Gehorsamkeit der übrigen Hausmädchen wollte sie nichts zu tun haben, dennoch war sie dem alten Herren offensichtlich tief verbunden, was wohl auf Gegenseitigkeit beruhte. Den zögernden und zaudernden Jean setzt sie energisch in die Spur und ihren Traum von der Karriere als Schauspielerin kann sie wenigstens für eine kurze Zeit leben. Inhaltlich versucht der Film, das leicht entrückte Universum des Malers gegen die harsche Realität des Krieges zu setzen, von dem Renoir selbst nichts mehr wissen wollte. Er wollte im Gegenteil dem Grauen und dem Sterben etwas Schönes, Positives, Zeitloses entgegen setzen und hatte nicht nur deshalb wenig Verständnis für die Entscheidung seines jüngeren Sohnes, sich trotz der gerade ausgeheilten schweren Verwundung erneut an die Front zu melden. Der alte Maler hat sich in eine Enklave zurückgezogen in der Annahme, sich aus der Gegenwart heraushalten zu können, wird aber von den eigenen Kindern eines besseren belehrt, denn die bringen ihm mehr als genug Gegenwart ins Haus. Insgesamt würde ich mal sagen, dass die Geschichte auf psychologischer Ebene ein wenig flach ausgefallen ist, keinesfalls also das Zeug zu einem tiefgehenden Drama hat, dies aber auch vermutlich nicht anstrebt. Man genieße für knapp zwei Stunden eine wahre Flut wunderschöner Bilder und lasse sich ein paar Episoden aus dem Leben einer bemerkenswerten Künstlerfamilie erzählen. Viel mehr ist nicht drin, aber eben auch nicht weniger. (9.3.)