Scherbenpark von Bettina Blümner. BRD, 2013. Jasna Fritz Bauer, Ulrich Noethen, Max Hegewald, Vladimir Burlakow, Jana Lissowskaia, Maria Dragus

   Sascha ist 17 und lebt im Sozialbaughetto in Stuttgart. Ihr leiblicher Vater ist für sie nie in Erscheinung getreten, ihr Stiefvater ist im Knast, weil er ihre Mutter in ihrer Gegenwart erschossen hat. Saschas einziges Ziel ist, sich an ihm zu rächen und ihn zu töten. Sie schreibt sie Geschichte ihrer Mutter auf, die Geschichte einer klugen aber naiven Russlanddeutschen, die an den falschen Mann geriet. Nun werden Sascha und ihre beiden jüngeren Geschwister von der Tante versorgt, die kaum deutsch spricht und vor allem dem heranwachsenden Mädchen kein Rückhalt sein kann. Sascha vergräbt sich hinter einer Fassade aus Provokation und Aggression, spuckt den tumben Spackos aus dem Viertel ihre Verachtung offen ins Gesicht und ist von nichts und niemandem zähmbar, auch nicht von dem einen Knaben aus der Nachbarschaft, der es vielleicht ein bisschen ernster meint mit ihr. Sie lernt einen Redakteur und dessen Sohn kennen, zieht eine Weile zu ihnen in eine völlig andere Welt, die aber auch nicht so heil und harmonisch ist, wie man zunächst glauben möchte, und sie lernt daraus wiederum, dass jeder auf seine Art einen Knacks weg hat, was ihr die Kraft gibt, wieder das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Als sie erfährt, dass sich der Stiefvater im Gefängnis umgebracht hat, gerät sie kurz aus der Bahn, dann aber fängt sie sich, und als der Anruf ihres leiblichen Vaters aus Prag kommt, schnürt sie ihr Bündel und macht sich auf den Weg.

   Wir sehen ein junges Mädchen, das zunächst mal gegen alles und jeden kämpfen zu wollen scheint, auf der Flucht vor den eigenen Dämonen. Das traumatische Erlebnis, hilf- und tatenlos mitansehen zu müssen, wie ihre Mutter erschossen wurde, kann sie nicht loswerden. In ihre Wut über den Täter mischt sich immer ein furchtbares Schuldgefühl, und zwischen diesen Polen scheint es sie manchmal fast zu zerreißen. Eine wandelnde Zeitbombe, sie sich mit allem anlegt, was am Wege liegt, die höchstens ihren beiden kleinen Geschwistern so etwas wie Freundschaft entgegenbringt. Klar, dass sich unter dieser herben Fassade etwas ganz anderes verbirgt, klar auch, dass es Momente gibt, in denen die Fassade ein paar Risse bekommt, doch erst der verzweifelte Wutausbruch als Reaktion auf die Nachricht vom Selbstmord des verhassten Stiefvaters bringt so etwas wie eine Klärung, nach der sie neue Entschlüsse fassen kann. Die Episode mit Redakteur Volker und Sohn Felix trägt zuweilen skurrile bis heitere Züge und scheint auf den ersten Blick nicht mehr als ein folgenloser Schritt vom Wege zu sein, doch dient ihr die Konfrontation mit einer vollkommen fernen und fremden Welt auf längere Sicht doch als Standortbestimmung, Zwar leben die beiden in einem Wohlstand, der einen denkbar krassen Kontrast zu dem tristen Betonhaufen bildet, in dem sie sonst lebt, doch scheinen die Probleme in der Essenz mehr oder weniger die gleichen zu sein: Zerbrochene Ehen, Frust, Langeweile, Entfremdung. Lediglich Felix’ bedingungslose Entschlossenheit, sich endlich entjungfern zu lassen, sorgt für ein wenig komische Entspannung, zumal Sascha seinem Wunsch schließlich mit gönnerhafter Nachsichtigkeit nachkommt. Die beiden nehmen sie für kurze Zeit bei sich auf, können sie jedoch nicht halten, weil sie genau weiß, dass sie nicht hierher gehört.

 

   Ein außergewöhnlicher Charakter und eine außergewöhnliche Darstellung. Jasna Fritzi Bauer spielt die sperrige, ständig mit dem Kopf gegen Wände anrennende Sascha atemberaubend überzeugend und intensiv. Man hängt an ihrem Gesicht, an den klaren, trotzigen Augen, wartet immer auf ein menschliches Signal, fühlt und fürchtet zugleich mit ihr, fürchtet zum Beispiel, dass eines Tages doch mal einer der Jungs aus dem Viertel die Geduld verliert und ihr einfach eins auf die freche Schnauze haut, zumal sie es direkt darauf anzulegen scheint. Bettina Blümner hat diese Charakter- und Milieustudie bemerkenswert unpathetisch, aber dennoch mit Kraft und Wucht inszeniert, zugleich herb realistisch und auch poetisch. Diese Balance ist insgesamt sehr prekär und gar nicht leicht hinzukriegen, in „Scherbenpark“ aber funktioniert sie einfach wunderbar, weil das Gefühl stimmt, weil der Ton stimmt, weil man als Zuschauer immer mitgeht, nah dran ist, und weil es mit der Sascha natürlich eine Hauptfigur gibt, die man nicht schnell vergisst. Junges deutsches Kino von seiner besten Seite! (1.12.)