The Master von Paul Thomas Anderson. USA, 2012. Joaquín Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams, Ambyr Childers, Laura Dern, Jesse Plemons, Rami Malek, Lena Endre

   Mr. Anderson hat sich längst als Spezialist für amerikanische Epen entpuppt, üppig fabulierende, kunstvoll montierte und zumeist wirklich eindrucksvolle Machwerke aus den verschiedensten Gegenden des Universums: Dem Pornobusiness der 70er, einer verstrickten Familiengeschichte in der Großstadt, dem Ölboom der 20er und 30er und nun der schrägen Welt der Sekten in den 50ern.

   Aber nicht nur, gottlob, dies ist vor allem ein Film über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, über die Zeit der traumatisierten Veteranen und ihren Versuch, irgendwie wieder an die unerbittlich voranschreitende Zeit daheim anzudocken, einen Platz im Leben zu finden. Genau das wird ihnen auch gepredigt: Vor euch liegt die Zukunft, ihr könnt alles machen, was ihr wollt, kauft ein Stück Land mit einer Farm drauf, macht eine Tankstelle oder einen Lebensmittelladen auf, dies ist immer noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wenn man sich den schwer derangierten Freddie Quell ansieht, wie er durch die letzten Kriegsmonate in Fernost taumelt, ahnt man schon, dass solche Sätze Bullshit sind. Freddie ist ziemlich verstört, linkisch, jähzornig, sehnsüchtig, und seine Versuche, als Kaufhausfotograf oder Erntehelfer wieder auf die Füße zu kommen, enden regelmäßig in einer Katastrophe, zum einen aufgrund seines unberechenbar aufflammenden Temperaments, das sich gern in Gewaltausbrüchen abreagiert, und zum anderen aufgrund seine unheilvollen Alkoholsucht, die ihn immer wieder antreibt, alle möglichen wüsten Mischungen zusammenzubrauen, die außer ihm meistens niemand verträgt. Das Blatt scheint sich zu wenden, als er Lancaster Dodd kennen lernt, ein Universaltalent, das sich gerade anschickt, um sich eine Schar Gläubige zu versammeln, die seinen Reden und Lehren atemlos und fasziniert lauschen und die sich seinen skurrilen Experimenten mit unbedingtem Vertrauen unterwirft. Mit hypnoseartigen Übungen versucht Dodd, die Menschen ganz zu sich zurück finden zu lassen, sie zu reinigen, ihnen Ängste zu nehmen, indem er sie dazu bringt, sich diesen Ängsten rückhaltlos zu stellen. Oder so. Ein Schwätzer, ein Scharlatan, ein Charismatiker, der die Leute überzeugt, weil er so sehr von sich selbst überzeugt ist, eine leibhaftige Illustration des amerikanischen Dogmas, das alles möglich scheint, wenn wir nur fest genug daran glauben. In Freddie sieht er natürlich ein dankbares Objekt, denn der Mann steckt randvoller Ängste und Traumata, und ist andererseits so erfrischend unangepasst, dass Dodd ihn als ständige Inspirationsquelle schätzen lernt. Freddie wird in Dodds Familie und Sekte eingeführt und er wird zu einem überzeugten Anhänger, was auch bedeutet, dass er sich Anfeindungen und Ablehnung erwehren muss. Dies tut er mitunter sehr handgreiflich, wodurch es auf lange Sicht zum Bruch zwischen den Männern kommt. Außerdem erkennt Freddie mit der Zeit, dass Dodd ihm nicht wirklich helfen kann, keine Lösung für all seien Probleme hat, und dass seine Selbstinszenierungen vielleicht doch nicht viel mehr sind als heiße Luft. Ein letztes Mal besucht er Dodd noch in England, wohin der seine Aktivitäten verlegt hat, nachdem er in den Staaten zunehmend unter Druck geraten war, doch er lehnt Dodds Ultimatum ab und wird sich wohl weiter durch die Zeit treiben lassen, so wie es sich von Anfang an abgezeichnet hatte.

   Wieder entwirft Anderson ein dichtes, detailfülliges Zeitpanorama und beeindruckt mit einer Story, die sich so gar nicht an herkömmliche Muster und Regeln halten will. Zusammen mit Freddie treiben nämlich auch wir von Ort zu Ort, genau so launisch und unvorhersehbar wie er als Person sind auch seine Erlebnisse und Erfahrungen. Anderson reiht die Episoden häufig kommentarlos aneinander und zieht darüber eine Musikspur, die in fast provozierendem Missverhältnis zu den Ereignissen steht. Mit dem Auftauchen Dodds bekommt der Film aber dann doch seinen Fokus, gibt dem zutiefst verunsicherten, haltlosen, nuschelnden Freddie einen glatten, selbstgefälligen und eloquenten Widerpart, und das gibt Phoenix und Hoffman die Gelegenheit zu ebenso ausufernden wie manirierten und gleichzeitig brillanten Auftritten, und die beiden nutzen diesen Raum wirklich aus. Ihre Szenen sind barock, monumental, vergnüglich, fesselnd, und sie drängen so gut wie alles andere in den Hintergrund. Es macht wahrscheinlich gar keinen Sinn, diese Darstellungen anhand objektiver Kriterien bewerten zu wollen, sie entspringen zu sehr Andersons Konzept und haben mich zudem sehr an Daniel Day Lewis’ Porträt des besessenen Ölmagnaten Plainview aus „There will be blood“ erinnert, der ja auch ein in vieler Hinsicht aus der Zeit gefallener Charakter ist. Mit Quell und Dodd ist das eine eher zwiespältige Angelegenheit: Einerseits sind ihre Szenen höchst amüsant und faszinierend, andererseits drängen sie alle anderen Figuren beiseite, lassen um sich herum eine Art Vakuum entstehen, in dem sich niemand sonst entfalten kann.

 

   Das größte Problem, das ich mit dem Film hatte, ist, dass ihm ein gewisses Zentrum fehlt, erst recht ein dramaturgischer Faden. Anderson lässt die Geschichte laufen, setzt aber kaum einmal Akzente, Höhepunkte. Dass bei ihm eine konventionelle Dramaturgie nicht zu erwarten ist, weiß man von vornherein, doch ist die Geschichte an sich viel zu interessant, um sie dahinschleifen zu lassen wie eine Bob-Dylan-Ballade in zwanzig Versen oder so. Anders als „Magnolia“ oder „There will be blood“ oder auch „Boogie Nights“ ist dies ein Film, zu dem ich über zweieinviertel Stunden kaum ein Verhältnis aufbauen konnte, trotz der demonstrativ zur Schau gestellten Kunst seiner beiden Hauptakteure und trotz des spannenden Settings. Andersons Faible für ungewöhnliche Geschichten und Figuren, sein Können als Geschichtenerzähler, reichen diesmal nicht ganz aus, um den Film wirklich zu uns durchdringen zu lassen. Er spult sich ab in einer deutlichen Entfernung, zeichnet sich durch das eine oder andere hübsche Kabinettstückchen aus, doch immer wenn man erwartet, dass jetzt mal der Kern der Sache betroffen wird, schwenkt Anderson ab, so als wolle er sich auf nichts wirklich einlassen. Immerhin hat Quell am Ende noch eine gute Szene am Elternhaus seiner Ex-Freundin, die mittlerweile verheiratet ist und mehrere Kinder hat. Er muss einsehen, dass viele Jahre des Leben an ihm vorüber gezogen sind und dass das Leben für die anderen weiter gegangen ist, während er sich im Krieg verloren hat. Im Zusammentreffen mit Doris’ Mutter ist er fast wieder ein Jugendlicher, der um die Hand der Tochter anhält, doch spricht Phoenix’ verzerrtes, dunkles, verbrauchtes Gesicht natürlich eine andere Sprache. Hier kommen wir wieder zurück zum Anfang des Films und sehen den entwurzelten Kriegsveteran, der an sich schon aus einer kaputten Familie kommt und der vermutlich irgendwo ganz neu anfangen muss, weil aus seinem alten Leben nichts mehr übrig geblieben ist. Diese zutiefst tragische Dimension fehlt Dodd naturgemäß - er ist ein Blender, ein Clown, ein Abenteurer, der sich ganz anders als Quell prima verkaufen kann und dem es ganz anders als Quell immer gelingt, Kontakt zu anderen Menschen aufzubauen. Wie gesagt – zwei tolle, wenn auch stilisierte Charakterporträts, vorgetragen von zwei tollen Darstellern, drum herum aber ein Film, der mich nicht hundertprozentig überzeugt hat, weil er mich ganz einfach nicht genug berührt hat. Im US-Kino ist Anderson sicherlich ein Visionär und ein weiterhin sehr zu beachtender Filmemacher mit ganz eigenen Interessen, diesmal aber hat er seine Kunst, was mich betrifft, nicht so recht entfalten können. (27.2.)