Au bout du conte (Unter dem Regenbogen) von Agnès Jaoui. Frankreich, 2012. Agathe Bonitzer, Arthur Dupont, Agnès Jaoui, Jean-Pierre Bacri, Benjamin Biolay, Dominique Valadié, Valérie Crouzet
Zum Schluss der ironische Ausblick: Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage und gerieten noch oft auf Abwege. Genau: Ein Film über das Glück, über die Irrungen und Wirrungen, natürlich über die Liebe – also ein französischer Film und ein Film aus Paris, jener mythischen Hauptstadt der Liebe, die wie keine zweite geeignet ist, diesen eigenartigen Liebesreigen zu beheimaten. Ein Märchenfilm obendrein, dessen Szenen stets als verlockend buntes Gemälde beginnen, das ganz langsam zerläuft und zum Realbild übergeht, und der immer wieder mit mehr oder weniger unverblümten Requisiten und Anspielungen auf Märchen aufwartet, bis hin zur Kleidung, zu Namen, zu Rollen und Geschichten. Die Schulkinder, die während der ganzen Zeit ein Märchen einstudieren, um es am Ende tatsächlich auf die Bühne zu bringen, fungieren als lieblicher Chor, und die Tagträume unserer Heldin Laura leiten eine Fülle launischer Episoden ein, in denen es sehr häufig und in vielen Variationen darum geht, Träume und Wünsche auf den Prüfstand der Wirklichkeit zu stellen. Wir sehen zunächst mal zwei Patchworkfamilien, getrennte Ehen, pendelnde Kinder, erleben das Kennenlernen von Laura und Sandro (Prinzessin und Prinz), erleben den grimmigen Wolf am Rande, der dem unbeholfen stammelnden Prinzen das naive, leicht verführbare Mädchen wegschnappt und es nach kurzem Genuss ebenfalls wieder fortwirft, wir sehen aber auch die Erwachsenen und ihre unterschiedlichen Versuche, sich im Alltag zu behaupten. Lauras Papa ist ein Industrieller, der immer wieder in den Verdacht grässlicher Umweltsünden gerät, ihre Mama ist dem Jugendwahn verfallen und hat sich bis zur Unkenntlichkeit aufspitzen und liften lassen, Sandros Mama ist wie Mamas eben so sind, und sein Papa Pierre, ein brummiger Fahrlehrer, tut sich noch immer schwer mit Kindern, hat mit seinem Sohn nie viel anfangen können und wir urplötzlich von einer vierzig Jahre alten Prophezeiung heimgesucht, die den 14. Mai als seinen Todestag vorausgesagt hat. Und nun, da dieser Tag sich unbarmherzig nähert, kriegt er diese Albernheit nicht mehr aus dem Kopf. Dann gibt’s da noch Lauras Lieblingstante Marianne, eine Grundschullehrerin, deren Tochter in einem akuten religiösen Wahn lebt und die für Laura in jeder Situation die erste Zuflucht ist. In knapp zwei Stunden ruckelt sich diese Konstellation zurecht, bis schließlich (fast) alles passt: Sandro findet die Richtige (die, die schon lang auf ihn wartet), Mariannes Tochter wird wieder normal und will nun reiten, Laura wird zumindest ein Stück weit von ihrer Naivität kuriert und Pierre rafft sich auf und bekennt sich zur Familie seiner neuen Partnerin, die nämlich zwei Mädchen mit in die Gemeinschaft bringt. Aber, wie uns oben zitierter Schlusstitel wohl andeuten will, weitere Abwege, Umwege und Irrwege sind nicht ausgeschlossen und sogar fest vorprogrammiert.
Ein wenig Alain Resnais, ein wenig Woody Allen und auch Eric Rohmer, und doch haben Jaoui und Bacri in ihren bisherigen Filmen genau wie in diesem ihren ganz eigenen Ton, ihr eigenes Personal, ihre eigenen Themen gefunden. Der Humor ist stets präsent, in ihn mischen sich aber oft ein gewisser Zweifel, manchmal auch eine leise Melancholie, obwohl dieser Film längst nicht so bissig ist wie manch früherer der beiden, er ist dem Märchenmotiv angemessen deutlich weicher, milder und auch schöner. Dies ist ihr bislang schönster Film, ungemein warmherzig, charmant, poetisch und doch mit Ecken und Kanten, die eben immer noch die beiden Autoren verraten. Die unentwegte Suche nach dem Glück, nach der oder dem Richtigen, nach dem richtigen Weg steht im Zentrum, aber auch zugleich die zuverlässige „Kunst“, den richtigen Moment zu verpassen, die falschen Worte zu finden (oder gar keine), sich vom kurzem Rausch blenden zu lassen oder ganz einfach seine Gefühle nie richtig ausdrücken zu können. Davon sind logischerweise die Männer deutlich stärker betroffen, während die Damen im Gegenteil häufiger über den Rand hinausschießen, mit ähnlich unglücklichen Resultaten. Die einen stottern oder mimen bockig den starken Kerl, die anderen schwärmen und darben, und nur mit vereinten Kräften schaffen sie’s schlussendlich, schlimmeres Unheil abzuwenden. Pierre überlebt den 14. März, Laura überlebt eine Sauf- und Pillentour, Marianne erweist sich wider Erwarten doch als tüchtige Autofahrerin, und Sandro findet vielleicht die Kraft, den Verlockungen des kurzen Ruhms zu widerstehen und doch lieber den besten Kumpel als ersten Geiger im Orchester zu behalten.
Ein sehr stimmungs- und gefühlvoller Film, glänzend gespielt vom gesamten Ensemble, mit vielen schönen kleinen Ideen in Szene gesetzt und von Jaoui und Bacri genau so geschrieben, dass die Story nie in die Nähe der berüchtigten Wohlfühlfilme driftet. Ein Film, dem ich total gern zugesehen habe, der einfach einen wunderbaren Fluss hat, immer den passenden Ton trifft zwischen komischen und ernsteren Momenten und so ganz nebenbei (oder wohl doch nicht) Paris einmal mehr seine Reverenz erweist, denn was wäre das Kino ohne diese Stadt...? (29.10.)