Zero Dark Thirty von Kathryn Bigelow. USA, 2012. Jessica Chastain, Jason Clarke, Kyle Chandler, Jennifer Ehle, Mark Strong, Harold Perrineau jr., Stephen Dillane, James Gandolfini

   Wieder mal, wie schon nach „The hurt locker“, hinterlässt Bigelows Kino in mir eine höchst widersprüchliche Reaktion. Angesichts ihres extrem delikaten, zumal in den Staaten rundum verminten Themas bleibt sie als politisch argumentierende und (hoffentlich) denkende Person zurückhaltend, um es vorsichtig zu sagen, enthält sich expliziter Kommentare oder Wertungen. Sie zeigt nüchtern, ungeschönt, überlässt es unserer Verantwortung, zu dem Gezeigten eine Haltung zu entwickeln. Und hier geht meiner Meinung nach das ewige Missverständnis los: Auch ein Regisseur, der seine eigene Ansicht sehr deutlich vertritt, lässt uns Zuschauern ja immer die Wahl, ihm zuzustimmen oder nicht. Bevormundung in diesem Sinne kann im Kino höchstens in Form massiver emotionaler Beeinflussung stattfinden, ein aufgeklärter, erwachsener und mündiger Mensch aber wird stets imstande sein, sich entweder zu distanzieren oder zu identifizieren. Die von vielen Kritikern so gelobte vermeintliche „Neutralität“, die dieser „Bevormundung“ angeblich gegenübersteht, ist für mich keine besondere Errungenschaft, erweckt in mir sogar eher den Verdacht, der oder die Filmemacher haben sich absichtlich einer konkreten Stellungnahme enthalten, um es auch ja mit niemandem zu verderben. Die klassische Hollywood-Attitüde also, die trotz allem zunächst die Kasse im Blick hat – Ausnahmen bestätigen die Regel! Bei Bigelow nun bin ich mir überhaupt nicht sicher. Einerseits sind ihre letzten beiden Filme überhaupt nicht kommerziell aufgepimpt und bemühen sich nicht besonders um Gefälligkeit, andererseits finde ich ihre Weigerung, zu irgendeinem der hier verhandelten Themen deutlicher Stellung zu nehmen, ungut, nicht direkt feige, aber es lädt auf jeden Fall zu Missverständnissen und Missdeutungen ein (hoffe ich).

   Die Jagd auf Osama Bin Laden, dem offiziell erklärten Erzfeind der USA nach 9/11, dauert beinahe zehn Jahre, bindet ungezählte Kräfte in ungezählten Organisationen rund um den Globus, wird von der CIA gesteuert und Anfang Mai 2011 in Pakistan von einem Team der Navy SEALs zuende gebracht. Der Film erzählt, wie die ehrgeizige junge Agentin Maya insgesamt acht Jahre mit dieser Jagd verbringt und entscheidenden Anteil an ihrem „erfolgreichen“ Abschluss hat, weil sie als einzige acht Jahre lang entschlossen auf der Spur bleibt, während andere längst abwinken und die Aktion für vergeblich erklären. Ihrer energischen Intervention ist es zu verdanken, dass das Killerkommando am Ende losgeschickt wird, weil alle anderen Experten für eine höchstens 60-80%-ige Wahrscheinlichkeit plädieren, dass Bin Laden sich tatsächlich in den angepeilten Gebäudekomplex aufhält, während sie mit ungebrochener Überzeugung für hundert Prozent votiert und damit erreicht, dass ihr Chef bei der CIA die geplante Aktion abnickt.

   Die Jagd ist auch die Geschichte radikaler Verletzungen der Menschenrechte – Folter, Abhörung und dergleichen werden vollkommen unbedenklich und wie selbstverständlich eingesetzt, um Informationen zu erhalten, wobei überhaupt keine Verhältnismäßigkeit bezüglich der Qualität dieser Informationen beachtet wird. Hier ist eine Nation im Krieg, die sich „God’s Own Country“ nennt und deshalb für sich in Anspruch nimmt, alle erdenklichen Mittel einzusetzen, um diesen Krieg zu gewinnen. Also ergibt sich zwangsläufig ein Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt, die zehn Jahre werden durchzogen von fürchterlichen Bombenanschlägen der Islamisten, die die Reaktion der USA als willkommene Rechtfertigung für ihren eigenen widerlichen Krieg nutzen und die Fanatismusschraube rücksichtslos bis über jede erdenkliche Grenze anziehen. Die zehn Jahre werden auch durchzogen von Irrtümern, Rückschlägen, Fehlschlägen, die sämtlich horrende Geldsummen verschlingen, was im Film beiläufig aber durchaus hörbar erwähnt wird. Angesichts der chronisch angespannten Lage des US-Haushalts sind die vielen Milliarden, die in die Vergeltung für 9/11 flossen, nur schwer nachzuvollziehen. Außer wahrscheinlich für die Amis selbst, die zum Thema Vergeltung bekanntlich eine etwas andere Haltung haben als unsereiner. Hinzu kommt dann noch die Frage nach dem wirklichen Sinn dieses wahnwitzigen Aufwands, den sich die Amis vermutlich auch nie gestellt haben. Wenn man auf die Zeit nach Bin Ladens Tod schaut, stellt man eigentlich keine deutliche Verbesserung der Situation oder gar eine Demoralisierung des Gegners fest. Die Jagd auf Bin Laden hatte sich schon längst verselbständigt zu einer persönlichen Vendetta, bei der offenbar nicht mehr gefragt wurde, ob der Mann wirklich noch der wichtigste Drahtzieher des islamistischen Terrors war, oder nur noch von symbolischer Bedeutung.

   Und die Jagd ist die Geschichte einer privaten Obsession, einer verbissenen, fast fanatischen ehrgeizigen Agentin, die sich irgendwann von ihrem Boss fragen lassen muss, was sie bisher eigentlich sonst so gemacht hat, und die zu der ernüchternden Feststellung kommt, dass sie gar nichts gemacht hat, außer Bin Laden zu jagen. Entsprechend fällt ihre Reaktion am Ende aus, nachdem sie Osamas zerschossenen Leichnam besichtigt und seine Identität bestätigt hat. Kein euphorisches Hurrahgebrüll, sondern die große Leere. Sie hockt allein in einem großen Transportflugzeug, wird gefragt, wohin es denn gehen soll, und sie gibt keine Antwort, kann keine Antwort geben, weil sie gar nicht weiß, wohin sie gehört, weil sie ihre gesamte Identität vollkommen an diese eine Operation gehängt hat. Jessica Chastain bietet eine sehr gute, eindringliche Studie dieser Besessenheit, einer jungen Frau, die sehr schnell lernt, auch alle moralischen Skrupel und Bedenken zu ignorieren, weil sie sich voll und ganz dem einen Ziel verschrieben hat, und jeder Gewaltakt der Islamisten ihren eigenen Fanatismus wiederum anheizt.

   Bigelow hat diese Eskalation vorzüglich und nachvollziehbar dargestellt. Und sie hat einmal mehr zweieinhalb Stunden extrem spannendes, faszinierendes Adrenalinkino geschaffen, das kann sie nämlich wirklich. Auch wenn Action und Effekte hier keinen prominenten Raum einnehmen und die Vorgänge hinter den Kulissen einen mindestens ebenbürtigen Anteil haben, ist dieser Film niemals lang oder langweilig, er läuft immer auf Hochtouren, weil Bigelow es so wirkungsvoll gelingt, alle Motivationen und Emotionen in maximal dichte Bilder umzusetzen: Die enorme Dringlichkeit, den Druck, den Kampf gegen die Zeit bis zum nächsten Mordanschlag, die Panik vor dem jederzeit irgendwo und irgendwann eintretenden Ereignis und auch die Entschlossenheit, diesen einen Gegner, der stellvertretend für alle anderen steht, zu stellen und zu töten.

   Dieses Töten, wie auch das Foltern, Erniedrigen, Enthumanisieren geht maschinell, effizient und ohne spürbare Aufregung im Film vor sich. Hier vermisse ich dann eben die Persönlichkeit des Autoren, der Filmemacherin. Wo stehen sie? Verurteilen sie oder rechtfertigen sie eher? Stehen sie mal auf dieser, mal eher auf einer anderen Seite? Ich persönlich finde Filme spannender, in denen diese Dinge zum Ausdruck kommen, weil sie mir mehr Angriffsfläche bieten, mehr Futter, mehr Stoff für die Auseinandersetzung. So kommt es unweigerlich so konträren Reaktionen. Die einen begrüßen Bigelows Mut, Folter und Demütigung nüchtern und drastisch abzubilden und zu verdeutlichen, dass dieser Krieg alle anderen Regeln der Menschlichkeit außer Kraft setzt. Die anderen verurteilen Bigelows Nüchternheit, interpretieren sie als stillschweigende Zustimmung. Ich persönlich glaube das nicht, möchte es vielleicht auch nicht glauben, habe aber zum wiederholten Male festgestellt, dass mich solche Filme emotional leider nicht so angehen, wie andere, die klar Stellung beziehen und mich einfach stärker beschäftigen.

 

   Natürlich ist dieser Film eindrucksvoll und spannend und ich habe ihn mit bleibendem Interesse gesehen, aber es ist halt wie so oft bei Hollywood – etwas mehr Politik möcht schon sein... (6.2.)