Zwei Leben von Georg Maas. BRD/Norwegen, 2013. Juliane Köhler, Sven Nordin, Liv Ullmann, Julia Bache-Wiig, Ken Duken, Rainer Bock, Thomas Lawinski, Klara Manzel, Vicky Kriebs
Zwei Leben reichen noch nicht mal dafür – welch eine Biographie: Geboren als Kriegskind eines deutschen Soldaten und einer norwegischen Mutter, von den Nazis in ein Heim in Sachsen gesteckt und dem Zuchtprogramm „Lebensborn“ zugeteilt, nach dem Krieg unter die Fittiche der DDR geraten, dann Ende der 60er per Ruderboot über die Ostsee nach Dänemark geflohen, um endlich die Mutter zu finden. Hier allerdings ergibt sich dann eine entscheidende Schnittstelle mit einer anderen Biographie: Geboren als Kriegskind, schnell zur Waise geworden, im Heim gelandet, nach dem Krieg unter die Fittiche eines netten Stasi-Mannes geraten und zur linientreuen Spionin herangezogen. Als vermeintlich verloren gegangenes Lebensbornkind nach Norwegen eingeschleust, um just den Platz des erstgenannten Mädchens einzunehmen, was nur unter Einsatz massiver Gewalt gelingt. Dann einen netten norwegischen Marineoffizier kennen gelernt, mit ihm eine Familie gegründet und fleißig für die Stasi spioniert. Bis eines Tages ganz kurz nach dem Mauerfall ein ehrgeiziger Anwalt auftaucht und das Schicksal der Lebensbornkinder unbedingt zur europäischen Angelegenheit machen will und damit natürlich einige Leute ziemlich nervös macht.
Was schon auf den ersten Blick wie völlig absurde, unglaubwürdige Kolportage klingt, beruht auf tatsächlichen Biographien, die hier in dieser Geschichte zusammen fließen, in einem Film, der einen recht riskanten Drahtseilakt versucht, diesen aber weitgehend mit Bravour meistert. Ein sehr ernsthafter, düsterer, schwerer Film, darin aber seinem Thema völlig angemessen, ein Familiendrama, ein persönliches Drama und ein politisches Drama, das sich über viele Jahrzehnte, mehrere geschichtliche Epochen und zumindest zwei totalitäre Systeme spannt, von denen jedes auf seine Art auf die Lebensschicksale und ihren Verlauf eingewirkt hat. Die Nazis machen den Anfang mit ihrer irrwitzigen Idee, aus vermeintlich „reinrassigen“ Kindern eine arische Elite zu züchten, und die DDR schließt in Sachen Menschenverachtung und Zynismus fast nahtlos an, indem dort das Schicksal dieser Kinder für den eigenen paranoiden Überwachungswahn benutzt wird. Man braucht eine Stunde oder mehr, bis langsam deutlich wird, dass hier nicht nur von einem Mädchen die Rede ist, und das die Ehefrau und Mutter und vermeintliche Tochter einer norwegischen Kriegsbraut in Wirklichkeit eines DDR-Spionin ist und die eigentliche Katrine Evensen seit über zwanzig Jahren tot ist, erschossen bei ihrem Versuch, vor den Stasileuten zu fliehen, die sie in Norwegen aufgespürt hatten.
Was den Film davor bewahrt, zu einem grotesken Melodrama auszuwachsen, sind zum einen die hervorragenden Darsteller, vor allem Juliane Köhler spielt brillant und äußerst facettenreich. Sie macht den inneren Zwiespalt der falschen Katrine schmerzhaft deutlich, den jahrzehntelangen Kampf mit dem eigenen Gewissen, den sie nun endlich aufgibt und dafür mit dem Leben bezahlt. Natürlich ist Liv Ullmann eine eindrucksvolle und gleichwertige Partnerin, die in ihrer verhältnismäßig schmalen Rolle leider gar nicht so zum Zuge kommt, wie ich das gewünscht hätte, und dennoch ist es natürlich toll, sie nach so vielen Jahren mal wieder auf der großen Leinwand zu sehen. Der andere große Pluspunkt ist die sehr konzentrierte, spannende und dichte Erzählweise, die überzeugend Politik mit Privatleben verbindet und den Fokus klar auf letzteres legt. Diese Geschichte wird erst dadurch zu einem bewegenden Drama, dass von Menschen die Rede ist, ihrem Zusammenleben, ihrem Schmerz, ihren Lügen und Geheimnissen, vor allem ihrer Liebe, der zuliebe Katrine am Ende beschließt, sich zu stellen und alle möglichen Konsequenzen auf sich zu nehmen. Der Liebe gegenüber steht die Fremdbestimmung, die beide Frauen in dieser Geschichte auf verschiedene Weise erfahren. Beide sind Opfer diktatorischer Regimes (geboren im einen, hineingewachsen ins nächste), beide haben zunächst keine Chance, ihren Weg selbst zu wählen, die eine stirbt beim Versuch, dies zu tun und der Diktatur zu entfliehen, die zweite wird zwanzig Jahre später vom langen Arm der just gestorbene Diktatur eingeholt bei dem Versuch, auch endlich eine freie Entscheidung zu treffen. Ohne allzu offensichtliche Polemik wird auf eindrucksvolle Weise deutlich, wie maßgeblich das Leben in einer Diktatur geprägt, gelenkt und schließlich auch genommen werden kann. Georg Maas kann es sich leisten, stringent auf der privaten Ebene zu bleiben, denn die andere, die politische, schneidet ständig mitten rein und auch hindurch, sodass mir der Vorwurf, der Film sei zu wenig politisch, nicht zutreffend erscheint.
Ein starker Film, ein starkes Thema, starke Schauspieler – richtig gutes europäisches Kino! (30.9.)