12 years a slave von Steve McQueen. England/USA, 2013. Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Lupita Nyong’o, Benedict Cumberbatch, Paul Dano, Sarah Paulson, Brad Pitt, Alfre Woodard, Kelsey Scott, Quvenzhané Wallis, Paul Giamatti
Und noch mal ein kräftiges Hipp Hipp Hurrah! auf die weiße Rasse. Ein weiteres glorreiches Kapitel aus ihrer an Höhepunkten wahrlich nicht armen Kulturgeschichte, ein weiteres anschauliches Beispiel dafür, wie wir weißen Europäer und die Ableger in Übersee es wieder und wieder vermocht haben, unsere zweifellos und objektiv vorhandenen überlegenen intellektuellen Ressourcen einzusetzen zum Wohle und Fortschritt der gesamten Menschheit, wie wir weißen Europäer immer wieder ein Beispiel waren für Menschlichkeit, Toleranz, Großmut und Liebe.
Was soll man sonst dazu sagen, was empfinden? Scham vielleicht, Wut natürlich auch. Klar, ich hab nichts damit zu tun und keiner, den ich kenne. Und die anderen Völker sind auch kein Kind von Traurigkeit, und überhaupt... Okay, lassen wir’s dabei.
Die Geschichte von Solomon Northup ist eine wahre Geschichte, aber das ist vollkommen egal – sie wäre auch dann wahr, wenn es Mr. Northup nie gegeben hätte. Ein freier schwarzer Mann aus dem Staate New York, ein Familienvater, ein talentierter Geigenspieler, der eines Tages in Washington überfallen und verschleppt wird, wie so viele andere, in den Süden, um dort als Sklave auf den Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen der weißen Herrenmenschen zu arbeiten. Zwölf Jahre dauert das Martyrium in der Hölle an, dann gelingt es ihm, Kontakt zu seinen Freunden im Norden aufzunehmen, die wiederum seinen Status als freier Mann bestätigen und ihn zurück zu seiner Familie holen. Er verfasste 1853 ein Buch über seine Erlebnisse, auf denen dieser Film basiert.
Wie gesagt, darüber habe ich mir zu keiner Zeit während des Films Gedanken gemacht, es macht ihn nicht wichtiger oder wahrer oder glaubwürdiger. Er ist dermaßen erschütternd und stark, dass solche Erwägungen während des Zusehens überhaupt keine Rolle spielen. McQueen inszeniert so intensiv und beklemmend eindringlich, dass man sich den Bildern und Emotionen auf der Leinwand wohl kaum entziehen kann, höchstens auf ideologischer Basis, aber solche Herrschaften werden den Film sicherlich von vornherein meiden. Denn es geht um Rassenhass, Wahnsinn, Bigotterie, Gier, Grausamkeit, Erniedrigung kurz um all das, was menschliches Miteinander schon immer besonders ausgezeichnet hat. Von etwas weiter oben betrachtet geht es aber vor allem um den Verlust von Menschlichkeit, und zwar auf beiden Seiten. Die einen verlieren ihre Menschlichkeit, weil sie ihnen entzogen wird, weil sie zu Objekten, Besitztümern, Dingen degradiert werden. Eine grausam reduzierte Existenz, die sie geradewegs auf eine Stufe mit Tieren zu setzen scheint. Die anderen verlieren ihre Menschlichkeit, weil sie sich über andere erheben, weil sie nur Menschen sein können, indem sie andere demütigen, versklaven und ausbeuten. Eine ebenfalls grausam reduzierte Existenz, die geradewegs zu Neurosen, Angst, Hysterie und Wahn führt. Nicht, dass wir Mitleid mit diesen Herrenmenschen empfinden müssten, McQueen tut es auch nicht, er führt sie lediglich vor als pathologische Fälle zwischen Bibel und Knute, brutalster Gewalt und blanker Panik, dass eines Tages vielleicht doch die Rache über sie kommen könnte. Und je größer die Angst, desto massiver die Willkür, die Peitschenhiebe, die Vergewaltigungen, die Hängungen. Ein monströses System, eine wahrhaftige Ausgeburt des Monstrums Mensch, und manchmal bekommt man wirklich Angst vor sich selbst.
Der Film verwendet nach einer kurzen Exposition, die die Umstände von Northups Verschleppung beleuchtet, sehr viel Zeit, um das Verhältnis zwischen den Sklaven und ihren Unterdrückern ausführlich zu schildern und in allen Facetten aufzuzeigen. Die verschiedenen Ebenen der Erniedrigung, der Entmenschlichung, der Ausbeutung, das Schuften auf dem Feld, das Vegetieren in ärmlichsten Holzbaracken, die grotesken „Tanzvorführungen“, wenn den Herrschaften gerade danach ist, und immer wieder die Gewalt, die jederzeit und ohne Anlass über die Sklaven hereinbricht. Zwei Gedanken leiten Mr. Epps, zu dem Northup geschickt wird, nachdem er auf der ersten Farm Ärger mit einem Vorarbeiter bekommt. Erstens: Diese Nigger sind mein Eigentum, ich verfüge darüber, ich tue mit ihnen, wie mir beliebt. Zweitens: Die Bibel ist auf meiner Seite, denn dort steht geschrieben, dass, wer seinem Herren nicht dient, viele Peitschenhiebe empfangen soll. Von diesen sicheren Gewissheiten geleitet schwingt sich Epps zum Herren über Leben und Tod auf, der seine Macht in vollen Zügen genießt. Ein unberechenbarer, total kranker Mann, der allein aufgrund seiner scheinbaren Überlegenheit existieren kann, und starke Charaktere wie Northup oder die junge Patsy unbedingt brechen muss. Ihm gegenüber steht Northup, der lange nicht begreift, dass er seine Würde, seinen Stolz, seine Identität vergessen, begraben muss, um zu überleben, denn ein weißer Herrenmensch des Südens wird niemals hinnehmen, dass sich ein Schwarzer auf Augenhöhe stellt, ihm als gleichwertig gegenübertritt. Andererseits sind es gerade die Reste von Würde und Selbstbewusstsein, die Northup am Leben halten, die ihn nicht aufhören lassen, an seine Befreiung zu glauben, weswegen er jede Chance ergreift, mittels eines Briefs Kontakt zu seiner alten Welt aufzunehmen, wo die anderen längst alle Hoffnung verloren und sich in ihr Schicksal ergeben haben. Zum Beispiel Patsy, die Northup tatsächlich darum bittet, sie zu töten, um ihren Qualen endlich ein Ende zu bereiten.
Ein kraftvoll aufwühlender Film, den man so schnell sicher nicht vergessen kann, in starken, bisweilen trügerisch schönen Bildern fotografiert, und just als ich den Hans Zimmer mal wieder am liebsten mit einem Notenständer erschlagen hätte, nimmt McQueen ihn an die Leine und verordnet danach einen sehr zurückhaltenden Soundtrack, wie er dem Anlass angemessen ist. Die Darstellung der Verhältnisse ist oft schwer zu verkraften, zumal der äußerlichen Gewalt stets noch eine andere, strukturelle, ideologische Ebene hinzugefügt wird, und die ist im Grunde fast noch unerträglicher. Was bringt weiße Herrenmenschen dazu, sich als Herrenmenschen zu fühlen? Ich werd es nie verstehen. Hinzu kommen Schauspieler von überragender Klasse, perfekt besetzt und unglaublich gut. Und ausgerechnet Brad Pitt diesmal als Gutmensch? Naja, der Mann wird eben auch alt und weise... (3.2.)