All is lost von J.C. Chandor. USA, 2013. Robert Redford
Ein Mann segelt allein im indischen Ozean. Sein Boot kollidiert mit einem im Wasser treibenden Container und schlägt Leck. Dann kommt ein Sturm und dann noch einer. Der Mann muss das schwer angeschlagene Boot verlassen und auf ein Rettungsboot ausweichen. Damit treibt er weiter in Richtung einer Schifffahrtslinie zwischen Madagaskar und Sumatra. Zwei Containerfrachter passieren ihn, ohne ihn zu sehen. Er hat kaum Wasser und keine Nahrung mehr. Er schreibt einen Abschiedsbrief an seine Familie und lässt sie als Flaschenpost zu Wasser. Nachts sieht er ein weiteres Licht. Da er keine Signalfeuerwerke mehr hat, entzündet er ein Buch. Dabei fängt das Floß Feuer und brennt ab. Der Mann lässt sich schließlich einfach sinken. Als er schon ziemlich tief gesunken ist, sieht er oben ein Schiff. Er taucht schnell hoch und wird von einer Hand aus dem Wasser in helles Licht gezogen.
Ziemlich viel spricht dafür, dass diese letzte Szene nicht mehr der Wirklichkeit entspricht, sondern vielleicht die letzte Fantasie des sterbenden Mannes sein könnte. Ich weiß auch gar nicht, ob es so wichtig ist, genau zu erfahren, ob er nun doch gerettet wurde oder nicht. Was wir sehen, ist auch ohne diese Gewissheit eindrucksvoll genug. Ein absolut auf die Essenz reduzierter Überlebenskampf eines Mannes, der bis zuletzt all seine Möglichkeiten ausschöpft, um weiter zu leben, um gefunden zu werden, und da dieser Mann ein offensichtlich besonnener, erfahrener Skipper ist, verfügt er über ein beträchtliches Arsenal an Möglichkeiten, bis er sich endlich wohl doch geschlagen geben muss. Mit beeindruckendem Sinn fürs Detail wird dieser Kampf geschildert, den unser Mann durchaus stoisch und mit zunächst scheinbar recht geringem emotionalem Aufwand betreibt. Er weiß, was zu tun ist und er tut es konzentriert, methodisch, ruhig. Er wird den scharfkantigen, im Meer treibenden Container los, flickt ein großes Leck in der Bootswand, sichert die notwendigsten Dinge, wappnet sich gegen Sturm, er weiß genau, wo was zu finden ist, beherrscht das Schiff und seine Ausrüstung perfekt und trägt zunächst alle Widrigkeiten und Gefahren mit der Fassung eines Seglers, der schon allerhand mitgemacht hat. Erst als er sich aus dem sinkenden Schiff in das Gummiboot flüchtet, zeigt sich zum ersten Mal so etwas wie Verzweiflung auf seinem gegerbten Gesicht. Und als er dann feststellen muss, dass seine Trinkwasservorräte durch Meerwasser verdorben wurden, potenziert sich diese Verzweiflung schlagartig. Und dennoch funktionieren nach wie vor seine Reflexe und Instinkte, dennoch lässt er nichts unversucht, weiterhin Nahrung und Flüssigkeit zu bekommen und sich zu orientieren. Dies ist womöglich auch ein Kampf der technischen Möglichkeiten des Menschen gegen die Gewalt der Natur, oder was auch sonst man hineininterpretieren kann in das Ganze. Vielleicht ist es auch die Geschichte des ganz auf sich selbst zurückgeworfenen Menschen oder die Geschichte des auf seinen Urzustand reduzierten Menschen bla bla bla. Oder vielleicht auch nur die Geschichte eines Mannes auf dem Meer. Entweder man spekuliert fröhlich herum oder man nimmt den Film einfach mal als das, was er uns zeigt. Und dazu braucht es keinen psychologischen oder biographischen Überbau – wir erfahren rein gar nichts von diesem Mann, nicht seinen Namen, nichts über sein sonstiges Leben oder über das, was ihn zu dem Trip bewogen hat. Er ist einfach da, in dem Boot mitten im indischen Ozean, und das muss auch mal genügen. Robert Redford vollbringt eine, nicht nur für einen Mittsiebziger imponierende Leistung, gibt diesem Mann Körper und Präsenz, hält sich aber ansonsten bemerkenswert zurück, entspricht damit offensichtlich den Absichten des Regisseurs, das Individuelle auf ein Minimum zu begrenzen, uns dazu zu zwingen, die Situation an sich anzunehmen, auch ohne dass wir uns wer weiß wie identifizieren mit einem tragischen Helden.
Einhundert Minuten lang wird fast kein Wort gesprochen, sehen wir nur diesen Mann und das Meer, dennoch ist der Film enorm spannend und aufregend und wir ertappen uns dabei, mitzufiebern mit diesem Unbekannten, der uns auch nach hundert Minuten nicht viel näher gekommen ist, der aber etwas verkörpert, das uns sicherlich in der einen oder anderen Ausprägung gemeinsam ist, nämlich den reinen Überlebenswillen und –instinkt. So betrachtet ist dies Kino auf eine einzige Situation reduziert, frei von jeglichem Ballast, und gerade deshalb wenigstens für dieses eine Mal eine erstaunliche und auch höchst anregende Erfahrung. (17.1.)