Alles inklusive von Doris Dörrie. BRD, 2013. Hannelore Elsner, Nadja Uhl, Hinnerk Schönemann, Axel Prahl, Fabian Hinrichs, Peter Striebeck, Remedios Darkin, Robert Stadlober, Juliane Köhler, Maria Happel

   Die Filme von Doris Dörrie, über die ganzen Jahre genommen, sind immer so, so. Mal blanker Blödsinn, mal so richtig gut, manche gingen auch irgendwie nicht an mich. Dieser hier tut’s aber, gehört damit in die mittlere Kategorie, und knüpft obendrein in vieler Hinsicht an einen meiner Lieblingsfilme von Dörrie an, nämlich „Bin ich schön?“ von 1998. Tragikomödie in Episodenform, Familienbande über lange Distanz und zwar zwischen Südspanien und München – passt genau, viele Elemente des alten Films finden sich auch im neuen wieder, und wie vor fünfzehn Jahre gelingt Dörrie auch diesmal wieder eine perfekte Melange aus komischen und traurigen Momenten.

   Der spanische Schauplatz ist diesmal Torremolinos – dort feierten Ingrid und Gleichgesinnte in den 70ern das wilde, freie Leben. Musik, Drogen, Sex, alles zur freien Verfügung, alles wie man es gerade brauchte, alles nur für den Moment. Der totale, unbeschwerte Egotrip, der leider eine Generation verstörter Kinder erzeugte, die damals im Leben ihrer Eltern keine allzu große Rolle spielten und die nun dreißig Jahre später irgendwie versuchen, damit klarzukommen, während die Alten zwischen Nostalgie und Hüft-OPs relativ unberührt weiter machen und sich nur wundern, warum ihre Kids nix geregelt kriegen. Aus dem mythischen Hippiewallfahrtsort von einst ist nun eine alptraumartige, grässliche Betonwüste geworden, wo ölige, adipöse Touris zwischen all-inclusive-Buffet und Animation am Pool gegen Barzahlung ihren letzten Rest Würde einbüßen. Hierhin wird Ingrid von ihrer Tochter Apple geschickt, um sich von besagter Hüftoperation zu erholen, und zugleich amüsiert und befremdet beobachtet sie das unglaublicher Treiben, bändelt mit einem Berliner Krankenpfleger im Hawaiihemd an, hilft einem illegalen Flüchtling aus Afrika und trifft Tina, einen Transvestiten, der sich als Fußpfleger und Entertainer verdingt. Tina, eigentlich Tim, ist just der Sohn jenes Familienvaters, mit dem Ingrid einst eine Affäre begann, worauf sich dessen Ehefrau im Pool das Leben nahm. Die alten Geschichten kommen wieder hoch, und als dann auch noch Apple in Spanien landet, nachdem sie in München alles ziemlich gründlich vergeigt hat, ist ein bisschen Vergangenheitsbewältigung angesagt. Das wird nicht einfach, doch am Schluss deuten sich zart optimistische Aussichten an.

   Die Grenze zur Groteske wird zeitweise deutlich überschritten, auch was die Zeichnung der Personen angeht, die sich zum Teil haarscharf am Rande der Karikatur bewegen. Axel Prahl als netter Proll auf der Suche nach einem Urlaubsflirt, Hinnerk Schönemann als dünnhäutiger Transvestit auf der Suche nach einer Zukunft, Nadjas Uhl als total verpeilter Single mit Mops auf der Suche nach dem richtigen Mann, Fabian Hinrichs als Tierarzt mit Vorliebe für Halsbänder auf der Suche nach dem nächsten Opfer – solches Personal benötigt schon eine sichere, feine Hand, um nicht in total groben, platten Unfug abzukippen. Dörrie beweist hier, dass sie sowas handeln kann, ohne den Spaß aus den Augen zu verlieren, aber auch mit feinfühligem Blick für die großen und kleinen Tragödien, die das versammelte Personal hier mit sich herumträgt. Der Proll, der Transvestit, der Großstadtsingle, sie alle sind auch verletzte, einsame Leute, mehrfach enttäuscht, trotz wiederholter Anläufe immer noch allein, und vor allem Tim und Apple arbeiten sich natürlich heftig an ihren Eltern und ihrer gemeinsamen Vergangenheit ab. Ingrid hat es auch mit über Siebzig noch nicht geschafft, die Folgen ihres damaligen Lebens für Apple zu begreifen, sie hat keine Verantwortung übernommen, tut es noch immer nicht, und ihrem einstigen Geliebten geht es vermutlich ganz ähnlich. Das krasse Ungleichgewicht zwischen der Ahnungslosigkeit (oder besser Ignoranz) das Eltern und der Not der Kinder entlädt sich gegen Ende, wenn die vier in Torremolinos zusammenkommen, aber auch hier nicht in Form eines schrillen Dramas, sondern auf eher dezente, noch immer ironisch gebrochene Weise.

 

   Neben dem ganz famosen Schauspielerensemble besticht die Kamera, die den Horror vom spanischen Totaltourismus ebenso effektvoll festhält wie die trügerisch bunten Erinnerungen aus den 70ern oder Apples trostloses Münchner Dasein mit dem hüftsteifen, lauffaulen Mops, den sie als Kindersatz vor sich herträgt und den sie auch noch Dr. Freud nennt, als könne er all ihre Probleme lösen. Dazu Sven Regeners schön melancholische Gitarrenmusik und Erik Saties schön melancholische Klaviermusik, und fertig ist ein Film, der sich sehr gekonnt zwischen den Polen bewegt, der zeigt, dass Dörrie noch immer ihre unkonventionellen Geschichten schreiben und auch verfilmen kann, und dass sie in Bestform nach wie vor zu den originellsten deutschen Filmemachern gehört. (19.3.)