Calvary (Am Sonntag bist du tot) von John Michael McDonagh. Irland/England, 2014. Brendan Gleeson, Chris O’Dowd, Kelly Reilly, Aidan Gillen, Dylan Moran, M. Emmet Walsh, Isaach de Bankolé, Marie-Josée Croze

   Tief entrüstet zischt die Kinogängerin beim Hinausstapfen ihren Begleiter an: Das war ja gar keine Komödie, höchstens im Ansatz! Gerade so, als sei er schuld – aber klar, die Männer sind ja immer schuld… Aber recht hat sie, und mit ihr seien all die übrigen Wohlfühlakademiker gewarnt: Nein, das hier ist keine Komödie, das hier ist nicht lustig, auch wenn das Programmheft und der wie gewohnt dämliche deutsche Verleihtitel uns eine „rabenschwarze Komödie“ unterjubeln wollen. Rabenschwarz? Na, meinetwegen. Komödie? No way!

   Wer sich ein wenig in irischen Verhältnissen auskennt, wird all dies noch viel weniger amüsant finden, und wenn es zwischenzeitlich durchaus mal zu Gelächter kommt, so ist das zweifellos ein sehr bitteres, fast verzweifeltes Gelächter, ganz ähnlich dem der hier beteiligten Personen. Und just der einzige, der sich nicht von Bitterkeit und Verzweiflung besiegen lassen will, liegt am Schluss tot am Strand, das Gehirn über den Sand geklatscht, ein monströses Sühneopfer für eine wahrhaft monströse Bande, die ein ganzes Land seit Jahrhunderten in ihrem Würgegriff gehalten hat und sich nun zunehmendem Hass und Prestigeverlust ausgesetzt sieht. Die Rede ist natürlich von der katholischen Kirche und ihren Repräsentanten, den einst so eisernen Hütern von Sitte und Anstand, über die in den letzten Jahren eine Flutwelle endlich offen gelegter Skandale hereingebrochen ist, eine Flutwelle, die dieses bigotte Mistpack hoffentlich irgendwann endgültig von der gesamten Insel hinfort schwemmen wird.

   Father James gehört nicht zu denen, er ist noch jemand, der seine Berufung, sein Amt ernst nimmt, der selbst durch schwere Zeiten ging, sich dann selbst läuterte und nun einer von den Guten ist. Eines Tages wird er im Beichtstuhl mit einer ominösen, irritierenden Drohung konfrontiert. Eine Männerstimme berichtet von jahrelangem Missbrauch durch einen Priester, fünf Jahren der Demütigung und Scham, für die er sich nun, da der Vergewaltiger selbst bereits tot sei, an einem anderen Kirchenmann rächen werde, eben an Father James. Eine Woche Zeit hat der noch, um seien Dinge zu ordnen und mit allem ins Reine zu kommen, dann werde er ihn am Strand treffen. Für Father James beginnt nun eine Woche, die sich wie eine Quintessenz seines bisherigen Wirkens in der kleinen Küstengemeinde ausnimmt. Er bekommt Besucht von seiner in London lebenden Tochter, die just einen Suizidversuch hinter sich hat und ihren fremd gewordenen Vater gern wieder mehr in ihr Leben holen würde. Er erlebt Misshandlungen, Ehebruch, Lebensmüdigkeit, trifft nochmal alle Menschen, die er seit Jahren kennt und zu denen er seit Jahren jeweils ein ganz eigenes Verhältnis hat. Und erlebt mehr oder weniger immer das gleiche: Als Mensch er durchaus geachtet und respektiert, als Kirchenmann nicht mehr ernst genommen, schon gar nicht als moralische Instanz. Fast provokativ wird ihm der „Sittenverfall“ im Ort regelrecht um die Ohren gehauen: Eine Ehefrau vögelt fröhlich rum, ihr Mann schlägt sie von Zeit zu Zeit, der örtliche Polizist ist schwul und treibt’s mit einem zynischen Stricher, der Dorfarzt hat sich in globale Menschenverachtung geflüchtet, ein stinkreicher Schlossbesitzer geistert von allen verlassen durch das leere Gemäuer und ein grantiger alter Schriftsteller hat allgemein zu nichts mehr Lust. Dazu gibt‘s den einfältigen jungen Kollegen, der Father James mit seiner Charakterlosigkeit nervt und einen höherrangigen Würdenträger, der von sowas wie Missbrauch natürlich gar nichts hören und wissen will. Father James lehnt sich auf, wehrt sich, will sich nicht abfinden mit dem, was er sieht, hört und erlebt, doch am Schluss zeichnet sich so etwas wie Resignation auf seinem Gesicht ab, er geht tatsächlich zum Strand, trifft den Mann, der sich an ihm rächen wird und lässt sich widerstandslos erschießen.

   Ein äußerst düsteres Porträt einer Gesellschaft, die sich vielleicht oberflächlich frei gemacht hat vom katholischen Joch, die unter der Oberfläche aber desaströse Schäden offenbart, und nun erst recht die Zerstörungen erkennen lässt, die zurückgeblieben sind. Was die Brits mit ihrer brutalen Kolonialherrschaft nicht kleingekriegt haben, wurde dann von der Kirche erledigt, und zwar gründlich. Und seit vor Jahren die Wirtschaftswunderblase geplatzt ist und der Traum von Wohlstand, Fortschritt und Veränderung der Gier einiger Spekulanten und der Naivität und Geltungssucht einiger Politiker zum Opfer fiel, steht man wieder da, wo man schon immer stand: Am Rande Europas, als kleines, unbedeutendes, irgendwie liebenswertes aber leider total rückständiges Land, das einfach nicht auf die Beine kommen will.

   McDonagh führt uns dies als Autor und Regisseur anhand scharf zugespitzter, sicherlich bewusst karikaturähnlich angelegter Typen vor, geht zum Teil recht drastisch zu Werke, sowohl inhaltlich als auch sprachlich, treibt Satire und Provokation so weit, dass er selbst beim deutschen Publikum (die zumeist mit alledem rein gar nichts zu schaffen haben dürften) ein paar tiefe Schnaufer erzeugt, vielleicht auch ein paar ungläubige Reaktionen von Leuten, die sich einfach nicht vorstellen können, wie es in Irland ausgesehen hat und noch immer aussieht. Natürlich wird hier polemisiert und überzogen, hinter der Fassade jedoch kommt anderes zum Vorschein, so wie in Father James die Hoffnung auf Vergebung und Annäherung zum Ausdruck kommt. Natürlich auch die Hoffnung, dass sein Opfer nicht umsonst gewesen sein wird, und wer weiß, ganz am Schluss sieht man seine Tochter, wie sie den Mörder ihres Vaters im Gefängnis besucht und damit das Versprechen einlöst, das sie ihm einst gab – zu vergeben.

 

   Irische Filme sind selten zu sehen bei uns, Highlights wie dieses ohnehin, meistens wird auf den Konsensgeschmack geschielt und dann kommt größtenteils nettes aber genauso belangloses Zeug dabei raus. „Calvary“ ist weder nett noch belanglos, verdient aber schon ein Publikum, das nicht in der festen Erwartung einer Fortsetzung von „The Guard“ ins Kino rennt, sondern bereit ist, sich auf das einzulassen, was hier über Irland gesagt wird. Und hey Leute, don’t you worry, die nächste Komödie lauert doch schon um die Ecke… (22.10.)