Citizenfour von Laura Poitras. USA, 2014. 

   Anders als beim exzentrischen, kapriziösen und irgendwie notorisch ominösen Julian Assange scheint man sich bei Edward Snowden leichter einigen zu können, scheint es auch viel weniger Zweifel hinsichtlich seiner Motivlage zu geben. Ein selbstloser Whistleblower, einer von den Guten, einer, der es ehrlich meint, mit dem sich auch unsereiner eher identifizieren könnte als mit dem eitlen Selbstdarsteller von Wikileaks. Oder? Zumindest in Bezug auf diese Frage macht uns der Film nicht schlauer – Laura Poitras tut ganz und gar nichts, um eventuelle Doppelböden oder Schattenseiten anzudeuten, ihr Edward Snowden bleibt genauso nett und leicht farblos, wie er aussieht. Ein unscheinbarer Techniker, der im Rahmen seines Jobs unter anderem mit der NSA zu tun bekommt und mit Fakten konfrontiert wird, die es ihm schließlich unmöglich machen, einfach zu tun, als wisse er nichts und könne wider besseres Wissen weitermachen wie bisher. Abgestoßen und erschrocken über die obszöne Allmacht der großen Geheimdienste, über den paranoiden totalitären Lausch- und Hackerangriff auf Demokratie, Freiheit und Ethik im Allgemeinen. Einer, der unglaublich viel aufs Spiel setzt, der sich anlegt mit sehr sehr mächtigen Gegnern, der riskiert, niemals mehr sein altes Leben inklusive Familie leben zu können, der sich stattdessen auf eine skurrile Odyssee zwischen Hongkong, Südamerika und Russland auf der Suche nach einem Land einlässt, das bereit ist, ihm Asyl zu gewähren. Hier ergibt sich ein regelrechter Eiertanz, denn wer mag schon einen Staatsfeind der mächtigen US of A aufnehmen und sich gar den Zorn von God’s Own Country zuziehen? Auf der Agenda stehen also internationale Diplomatie, Machtmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen im großen Stil, ein Fest geradezu für jeden Verschwörungstheoretiker – nur ist dies keine Fiktion, sondern die schlichte Realität.

   Für all dies bekam die renommierte und bekanntermaßen sehr systemkritische Dokumentarfilmerin Laura Poitras eine einzigartige Steilvorlage, der Traum geradezu jedes Filmemachers: Sie wurde vom Protagonisten höchstselbst kontaktiert, soll heißen, Snowden mailt ihr unter dem Decknamen „Citizenfour“, bietet ihr an, seine Informationen, seine Geschichte zur Verfügung zu stellen. Gemeinsam mit anderen Investigativjournalisten macht sich Poitras auf den Weg, und ihr Film ist eigentlich nicht mehr als eine Montage der folgenden Begegnungen mit Snowden, Anwälten, anderen Fürkämpfern, die sich für seine Sicherheit einsetzen und dafür, dass er irgendwo unterkommt und nachhaltig dem Zugriff der erbosten Amis entzogen werden kann. Mehr und mehr wird das Ausmaß der Operationen erahnbar, treten die internationalen Verflechtungen zutage, verdichtet sich das Porträt mehrerer großer Geheimdienste, die auf der Jagd nach der angeblichen Wahrheit und im angeblichen Kampf um die nationale Sicherheit vor rein gar nichts zurückschrecken. Masken fallen, Hoffnungsträger fallen auch (Stichwort „Yes we can“…), die sprichwörtliche Fratze hinter der dünnen Fassade der Zivilisation zeigt sich einmal mehr von ihrer dunkelsten Seite. Und selbst wenn unsereiner denken mag, all dies sei ziemlich weit weg, so ist dies dennoch ein Bericht aus der Welt, in der wir leben, und es wäre wohl naiv anzunehmen, diese Vorgänge hätten nicht auf jeden von uns direkt oder indirekt Auswirkungen.

   Auch heute, einen Tag später, ist mir nicht ganz klar, wieso Laura Poitras es nicht gelungen ist, aus einer solch faszinierenden und immens spannenden Story auch einen faszinierenden und immens spannenden Film zu machen. Ich will gar nicht sagen, dass er nicht wichtig ist und einsichtsvoll und auf jeden Fall zur Kenntnis genommen werden muss, denn das muss er, keine Frage. Dennoch reißt er mich nicht mit, bewegt mich nicht mal sonderlich, und das lag bestimmt nicht nur an der vorgerückten Stunde. Das Abfilmen von Gesprächen, Sitzungen, Konferenzen erzeugt bei aller eindrucksvollen Nähe und Authentizität eine gewisse Monotonie, die ich gerade bei diesem Thema überhaupt nicht erwartet hatte. Man ist als Dokumentarfilmer meines Erachtens nach keineswegs immer der reinen objektiven Wahrheit und der reinen Sachlichkeit verpflichtet, und ich denke, dass Poitras sich an dieses Diktum auch gar nicht hält (ihr Porträt von Snowden ist im Gegenteil höchst einseitig), aber sie hätte sich vielleicht doch darum bemühen können, diese ganze komplexe und fantastische Geschichte ein wenig mitreißender zu erzählen.

 

   Ich denke, ich schau mir den Film später noch mal in Ruhe und nicht bis kurz vor Mitternacht mitten in der Arbeitswoche an – vielleicht hat meine Konzentration mich schlicht im Stich gelassen. Wenn ich dann zu einem andere Urteil kommen solle, umso besser. Für’s erste bin ich der Meinung, „Citizenfour“ hätte unbedingt spannender und intensiver sein müssen. Möglich natürlich, dass ich einfach zu wenige Dokumentationen sehe und meine Gewohnheiten von herkömmlichen Spielfilmen geprägt sind. Das werd‘ ich zu gegebener Zeit für mich noch mal prüfen. (6.11.)