Dallas Buyers Club von Jean-Marc Vallée. USA, 2013. Matthew McConaughey, Jennifer Garner, Jared Leto, Michael O’Neill, Denis O’Hare, Griffin Dunne
Aids – da war doch was? War das nicht jene in den 80ern von Gott gesandte Seuche, um uns Menschen für unseren zügellosen Hedonismus zu bestrafen? Die alle endgültig davon überzeugt hat, dass Schwule gefährlich und unbedingt zu meiden sind? Die dann auch noch dazu diente, einem durch und durch mittelmäßigen Hollywoodstar zum Durchbruch bei den „ernsthaften“ Kritikern zu verhelfen? Und die dann plötzlich aus dem öffentlichen Fokus verschwand, weil andere Seuchen in den Vordergrund rückten und die dann praktisch einfach so zig Millionen Menschen weiterhin sterben ließ? Und wieso zum Henker holt Hollywood ausgerechnet jetzt Aids wieder aus der Schublade? Vielleicht, um einem weiteren durch und durch mittelmäßigen Hollywoodstar zum Durchbruch bei den „ernsthaften“ Kritikern zu verhelfen?
Das wäre sicherlich ebenso böse wie ungerecht. Denn erstens spielt McConaughey wirklich bemerkenswert gut und zweitens liegt das auf einer tatsächlichen Biographie basierende Drehbuch, wenn man Wikipedia glauben will, bereits seit Mitte der 90er vor, fand nur jahrelang keine Interessenten bzw. Produzenten. Aids war halt out. Jetzt hat das Projekt durch ein wenig Starpower doch noch realisiert werden können, und herausgekommen ist ein beachtlicher Film über die 80er Jahre, über die Auswirkungen von Aids auf eine Gesellschaft, eine Kultur und viele einzelne Leben, auch ein politischer Film über unseren lieben guten Kapitalismus, der sich sofort in jede neue Beute verbeißt, wenn nur etwas zu holen ist.
Und tatsächlich ist dies weniger ein Film über private Tragödien (obwohl es die auch gibt), als vielmehr ein Film über das Geschäft, das mit Aids betrieben wurde. Zwei wesentliche Kontrahenten stehen sich hier unversöhnlich und unvereinbar gegenüber: Die großen Pharmakonzerne mit Rückendeckung durch freundliche Gesetzgebung und der Überwachungsbehörde FDA, die ganz besonders scharf darauf aufgepasst hat, dass keine nichtzugelassenen Medikamente in Umlauf kamen. Denn es galt natürlich, die Profite der großen Konzerne zu schützen, und die machten sich alsbald daran, mit Tier- und später auch Menschenversuchen geeignete und vor allem profitable Therapien zu finden. Wobei letzteres deutlich priorisiert wurde!
Wir lernen Mr. Woodroof aus Dallas, Texas kennen, einen äußerst virilen Cowboy, Redneck, Pussilecker, der plötzlich mit der fatalen Diagnose und der Aussicht konfrontiert wird, höchstens noch dreißig Tage zu leben zu haben. Er ficht diese Prognose trotzig an – mit Recht, denn er sollte erst 1992, sieben Jahre nach der Diagnose sterben! – und macht sich sofort daran, die gängigsten Präparate gegen die Seuche aufzutreiben. Bald wird ihm klar, dass die zwar offiziell als die besten gehandelt werden, tatsächlich aber zahlreiche sehr schwere Nebenwirkungen haben, und dass es andere Kombinationen gibt, die womöglich besser wirken, vor allem besser verträglich sind, nur sind die leider nicht durch die FDA zugelassen. Auch davon lässt sich Mr. Woodroof nicht beirren und zieht stattdessen einen immer besser organisierten Schmuggel über die mexikanische Grenze auf und verhökert das Zeug anschließend ziemlich profitabel daheim in Dallas. Mitstreiter findet er in der transsexuellen Rayon und der Ärztin Eve, die an der Gesundheitspolitik zweifelt und täglich die Folgen der behördlich gestützten Therapie sieht. Woodroof kriegt eine Menge Ärger mit den Autoritäten, findet andererseits aber auch immer wieder Unterstützung und Hilfe und zieht sein Geschäft gegen alle Widerstände durch, auch ein gegen die FDA verlorener Prozess ändert nichts an seiner Entschlossenheit. Rayon stirbt, und im Abspann erfahren wir von Woodroofs Tod.
Dieser Knabe, von Rayon zurecht als homophobes Arschloch bezeichnet, ist nicht gerade der ultimative Held. Ein reaktionärer Macho, ein starrköpfiger Texaner, und sicherlich jemand, der zuallererst des Profits wegen ins Geschäft einsteigt, um erst im Laufe der Zeit auch eine andere Einstellung zur Sache an sich zu finden. Ein Schwulenfreund wird nicht grad aus ihm, aber immerhin jemand, der sich energisch gegen die perfide, eiskalte Geschäftemacherei der Konzerne im Einklang mit der Regierung zur Wehr setzt, einer, der sich dafür einsetzt, dass in erster Linie die hilfreichen Medikamente zugänglich werden und nicht diejenigen, die die Industrie am besten verschachern kann. Dass es einen festen Schulterschluss er Großen und Mächtigen gibt, überrascht niemanden, erst recht nicht uns Europäer, die in Sachen Pharmaindustrie schon allerhand erlebt haben, dass Aids bei all den verheerenden Folgen und Begleiterscheinungen sofort für die Profitgeier interessant wurde, überrascht erst recht keinen, und dass kritische Stimmen und Bewegungen möglichst rasch und gründlich zum Schweigen gebracht werden sollten, versteht sich von selbst. Woodroof steht mitten zwischen den Fronten, eckt an allen Seiten an, weil schon deutlich wird, dass er nicht aus reiner Menschenliebe agiert, er verdient sich aber auch Respekt für seine Entschlossenheit, seinen Mut und seine Kompromisslosigkeit, die natürlich in erster Linie daher rührt, dass er den Tod ständig vor Augen und damit nichts mehr zu verlieren hat.
Jean-Marc Vallée sorgt durch seine ungewöhnlich nüchterne, sperrige Regie dafür, dass sich keine falsche Sentimentalität in die Geschichte einschleicht, kein wohlfeiles Menscheln, obwohl es genügend Anlaufstellen dafür gäbe. Der Blick auf Woodroofs Umgebung, seine Kumpel in der Männerkneipe, beim Rodeo, die öden Trailer Parks, die ständigen Besäufnisse und Drogenpartys, ist recht kühl und immer betont darauf aus, hier keinen Märtyrer oder ähnliches entstehen zu lassen. So gesehen leiden wir nicht mit ihm, wünschen ihm aber trotzdem, dass er möglichst erfolgreich ist, sowohl im Kampf gegen das gierige Establishment als auch im Einführen wirksamerer, besserer Medikamente gegen die Krankheit. Es ist wohl nicht zu erwarten, dass jetzt wieder eine Flut von Aids-Dramen über uns hereinbricht, Dieser Film aber hat uns eindrucksvoll daran erinnert, dass das große Sterben immer noch im Gange ist und dass menschlicher Gier wirklich gar keine Grenzen gesetzt sind. (5.2.)