El artista y la modelo (Das Mädchen und der Künstler) von Fernando Trueba. Spanien/Frankreich, 2012. Jean Rochefort, Aida Folch, Claudia Cardinale, Chus Lampreave, Götz Otto, Christian Sinniger, Martin Gamet
Auf der einen Seite eine einfache, zeitlose Geschichte : Der Künstler und sein Modell. Der alte Mann und das junge Mädchen. Die Sehnsucht, die Schönheit, das letzte große Werk, das unbedingt vollendet werden soll.
Auf der anderen Seite eine sehr konkret verortete Geschichte: Zweiter Weltkrieg, Pyrenäen, deutsche Besatzung, Résistance, die nahe französisch-spanische Grenze, die ferne Ostfront, an die die deutschen Soldaten zunehmend abrücken. Die dichten Wälder, die Berge, die unwegsame Landschaft, das quirlige Leben in den kleinen Bergdörfern und mitten drin die Uniformen, die Waffen, die ständige Androhung von Gewalt und Repression.
Die Ehefrau des alten Bildhauers entdeckt ein junges, streunendes Mädchen, das genau den Körper hat, den ihr Mann braucht, um noch eine letzte große Skulptur zu schaffen und vor allem zu vollenden. Sein Atelier hoch in den Wäldern ist voll mit Entwürfen, Halbfertigem, das er unzufrieden und frustriert hat liegen lassen. Die Gattin war selbst früher sein Modell, einst von unvergleichlicher Schönheit, sie weiß, was er braucht, welche Kurven und Formen er bevorzugt, sie bringt das Mädchen zu ihm und spornt ihn damit an, sich noch einmal zu versuchen. Das Mädchen heißt Mercè, kommt aus Spanien und erzählt erst mal nicht sehr viel über sich. Sie lässt sich auf den Deal ein, gegen Bezahlung für Marc zu posieren, oben im kleinen Atelierhaus zu leben. Nachts jedoch streift sie durch die Wälder, und als die schließlich einen verwundeten jungen Mann findet und mit ins Atelier nimmt, erfährt Marc, dass sie eine Fluchthelferin im Dienst des Widerstands ist. Er ist ganz auf seine Kunst fixiert, will den Krieg und die Gräuel am liebsten ausblenden, hat sowieso den glauben an die Menschen verloren, gewährt dem Jungen aber Unterschlupf und schützt ihn sogar, als ein deutscher Offizier zu Besuch kommt, der im Zivilleben Kunstkenner ist und eine Biographie über Marc schreibt. Mercè verspricht Marc, ihm so lange Modell zu sein, bis die Skulptur fertig ist, und sie hält sich daran. Dann macht sie sich auf den Weg nach Marseille, mitten durch sehr gefährliches Gebiet, denn die deutsche Armee rückt weitgehend in diese Richtung ab. Marc bleibt zurück, oben im Wald, mit sich und der schimmernden, makellosen Statue, am Ende seines künstlerischen Weges, mit sich und der geliebten Natur im reinen, die Flinte auf dem Schoss. Dann hört man einen Schuss und sieht eine Schar Staren aus einem Baum flüchten.
Ein schroffer, aber konsequenter Schluss, mit dem der Künstler einen Schlussstrich zieht unter sein Leben und Schaffen. Keineswegs nur verbittert, auch wenn er sich von den Menschen, an die er nicht mehr glaubt, weitgehend zurückgezogen hat und nur noch die nötigsten Kontakte halbwegs pflegt. Er ist zufrieden mit seinem letzten Werk, hat sich noch einmal als Künstler bewiesen, hat sich sogar auch noch mal als Mann gespürt, denn das schöne Mädchen hat durchaus nicht nur den Bildhauer in ihm angesprochen. Dennoch ist er insgesamt eher ein Typ der stillen Trauer, der Melancholie, des Rückzugs. Die Zeit der großen Künste ist vorbei, die Barbarei hat scheinbar für immer die Oberhand gewonnen, das eigene Werk stagniert, der Glauben an die eigene schöpferische Kraft ist dahin. Erst Mercès Natürlichkeit und Schönheit inspiriert ihn wieder, er kämpft sich zurück, überwindet Rückschläge und missglückte Studien, und schließlich steht die in Gips gegossene, strahlend weiße Statue vor ihm. Sie ist alles, wofür er noch gelebt hat, was Mercè nicht versteht, nicht akzeptieren kann. Sie muss Position beziehen im Krieg, sich einsetzen für etwas und gegen etwas und begreift den Künstler nicht, der sich vom Weltlichen mehr und mehr abwendet, den Egozentriker, den nur noch das Werk interessiert und der alles andere mit einem resignierten Achselzucken hinnimmt.
Fernando Trueba hat diese Geschichte als ganz stilles Drama in betörendem Schwarzweiß erzählt. Ohne Musik, sehr dezent, intim, diskret, ohne sichtliche Aufregung, ohne dramaturgisches Beiwerk, total konzentriert auf die wenigen Hauptfiguren, die wenigen Schauplätze, die wenigen Situationen. Zwischen dem Haus unten im Dorf und (überwiegend) dem Atelier oben im Wald spielt sich das Geschehen ab, eine Liebesgeschichte auf mehreren Ebenen, zwischendurch dann auch mal ein wenig Zeitgeschichte und Politik, im Kern aber die Geschichte eines alten Künstlers und eines jungen Modells mit allem, was daran hängen kann. Kann und darf sich Kunst ganz aus der Welt zurückziehen, kann und darf ein Künstler sagen, ihn interessiere nur noch seine Kunst und sonst nichts, kann und darf er so tun, als habe er mit allem, was um ihn herum geschieht, nicht mehr zu tun? Ist das Feigheit, ist das berechtigte Müdigkeit, die Haltung eines alten Mannes, der wie viele andere auch nach dem ersten großen Krieg hoffte, dies sei endgültig der letzte, und der nun auf bitterste Weise eines Besseren belehrt wurde, zugleich auch über die menschliche Natur, in die man wirklich keine Hoffnung mehr setzen sollte. Dennoch ist Mercès Empörung nachvollziehbar, sie kann sich diese Haltung nicht erlauben, sie lebt für die Zukunft, und aus dieser Gegensätzlichkeit entsteht zwischen den beiden eine Spannung, die die oberflächlich ruhige Geschichte doch ein wenig ins Schwingung bringt. Diese Spannung ist auch zwischen den glänzenden beiden Hauptdarstellern zu spüren, die jede Nuancen der wechselnden Machtverhältnisse zur Entfaltung bringen, und natürlich ist es ein großer Genuss, alten Haudegen wie Rochefort und der Cardinale zuzusehen und zuzuhören – ja, ich freu mich einfach, dass Leute wie sie noch da sind und aktiv sind. Die andere große Attraktion sind natürlich die Bilder, die voller Genuss im Süden schwelgen, und wie beispielsweise in Rivettes großem Meisterwerk „Die schöne Querulantin“ meint man auch hier den Süden mit allen Sinnen zu erfahren, nicht nur das scharfkantige und dann auch wieder weiche Licht, sondern die Geräusche, Gerüche, die Hitze, alles. Man benötigt dazu keine Farben, vielmehr scheint es mir fast, als intensiviere das Schwarzweiß diese Erfahrung. Also für einhundert Minuten abschalten, abtauchen, um dann wieder aufzuwachen und in den tristen Bielefelder Winter zu torkeln. (7.1.)