The disappearance of Eleanor Rigby: Them (Das Verschwinden der Eleanor Rigby) von Ned Benson. USA, 2014. Jessica Chastain, James McAvoy, Nina Arianda, Bill Hader, Viola Davis, Ciarán Hinds, Isabelle Huppert, William Hurt

   Ich würd mal sagen, neunundneunzig Prozent des jährlichen Hollywood-Outputs sind Kinderkram, Popcorn für die Massen. Bleibt ein Prozent für die Erwachsenen. Das können die sogar auch und manchmal machen sie es richtig gut. So wie hier: Eine Familiengeschichte aus New York, in deren Zentrum wiederum die Geschichte von Eleanor und Conor steht, sozusagen den Bindegliedern dazwischen. Die beiden haben ihren Sohn verloren und sich danach irgendwie auch. Er ist aus ihrer Sicht unfähig, seine Gefühle richtig zu zeigen, wollte alles sofort wegräumen, weitermachen, als sei nichts geschehen. Sie hat ein paar Monate gekämpft, dann aufgegeben, und seither driften die beiden auseinander. Sie zieht wieder zu ihren Eltern, er zieht zu seinem Vater, sie springt von einer Brücke, er versucht, die finanzklamme Kneipe über Wasser zu halten, sie geht wieder studieren, weiß aber eigentlich gar nicht, was genau sie anfangen soll. Er arbeitet sich an seinem exzentrischen Vater und seinem Kumpel und Kollegen ab, sie versucht, mit ihrer französischen Mutter und dem Professorvater klarzukommen und zieht mal mit der kleinen Schwester um die Häuser. Er nimmt ihre Fährte wieder auf, sie treffen sich einige Male, aber sie kann sich nicht auf ihn einlassen, er kann ihr nicht das Gefühl geben, sich geändert zu haben. Bei ihrer letzten Begegnung geht sie dann doch einen großen Schritt auf ihn zu, zieht trotzdem für ein Jahr nach Paris zum Studieren. Zuletzt sehen wir ihn abends einen Spaziergang machen (mittlerweile hat er das renommierte Café seines Vaters übernommen), und hundert Meter hinter ihm folgt sie.

 

   Erwachsenes Kino, wenn es gut ist heißt das, ergründet und erzeugt Emotionen, ohne auf künstliche Farbstoffe zurückgreifen zu müssen. Gefühle entstehen nicht, weil das Hans-Zimmer-Orchester so laut dröhnt, sondern weil Drehbuch, Regie und Darsteller gut zusammen arbeiten, weil sie imstande sind, etwas bei uns Zuschauern anzustoßen. Und genau das ist ihnen hier perfekt gelungen, obwohl die Geschichte an sich ganz und gar nicht neu ist, im Gegenteil, sowohl in heimischen als auch internationalen Produktionen wurde man in den letzten Jahren reichlich eingedeckt mit Elternpaaren, die mehr oder minder daran scheitern, den Tod eines Kindes zu verkraften. Diese beiden hier machen es insofern nicht besser, da auch sie nicht gemeinsam zu überleben versuchen, da sie wie die meisten anderen ebenfalls an ihren unterschiedlichen und offenbar unvereinbaren Bewältigungsstrategien scheitern. Von allen Seiten bekommen sie zu hören: Lass ihm Zeit oder Lass ihr Zeit, von allen Seiten versuchen Freunde und Familie, überhaupt mal an die beiden ranzukommen und mit ihnen zu reden, was schon nicht klappt, da sich beide innerlich total abschotten und eben nicht reden wollen oder können. Und so verlieren sie jeden Halt, können sich auch gegenseitig keiner sein, sie will schon Schluss machen mit ihrem Leben, er schlurft wie ferngesteuert durch die Tage, wartet dennoch immer auf die Chance, sich ihr wieder zu nähern, ohne allerdings zu verstehen, was sie von ihm hören möchte und warum sie ihn vorübergehend verlässt. Bei solcher Konstellation ist der Grat zwischen überzeugendem Drama und seifigem TV-Einerlei überaus schmal, und die meisten vergleichbaren Stories fallen unweigerlich zur falschen Seite runter. Die hier nicht, weil die Beteiligten alles richtig machen, mit der kleinen Einschränkung vielleicht, dass der Film für mein Gefühl ein wenig zu lang geworden ist. Die Bilder aus New York sind toll und fast gar nicht touristisch, der Soundtrack unterstützt sehr effektiv, und Regie und Darsteller erarbeiten gemeinsam eine Vielzahl enorm intensiver, eindringlicher Momente. McAvoy und Chastain lassen ihre ganz unterschiedlichen Stile extrem effektvoll aufeinander los, er mit seiner jungenhaften Offenheit, sie mit ihrer stillen Verschlossenheit, und ringsherum gruppiert sich eine erlesene Schar hochkarätiger Leute, die auch so undankbaren Rollen wie den unvermeidlichen Eltern und den besten Kumpels Tiefe und Charakter mitgeben. Und nur so funktioniert sowas, die Zutaten müssen stimmen, die Qualität muss da sein, die Ernsthaftigkeit und ein Drehbuch, das den Personen noch Freiheiten und Nischen lässt, das sie nicht völlig ausliefert und entblößt. So geht erwachsenes Kino, und dann kann auch Hollywood mal richtig gut sein. (3.12.)