Der blinde Fleck von Daniel Harrich. BRD, 2013. Benno Fürmann, Nicolette Krebitz, Heiner Lauterbach, August Zirner, Jörg Hartmann, Udo Wachtveitl, Miroslaw Nemec
Manchmal, vor allem wenn es um tatsächlich stattgefundene Geschichte(n) geht, stelle ich fest: Die Realität überholt das Kino, ist deutlich aufregender und komplexer als das, was daraus auf der Leinwand gemacht wurde. Oder anders ausgedrückt: Nichts ist spannender als das Leben selbst.
So ist das mit „Der blinde Fleck“ auch. Der Film basiert auf Ulrich Chaussys Recherchen über das Attentat auf das Münchner Oktoberfest im Jahre 1980. Damals starben 13 Menschen, unzählige wurden teilweise schwer verletzt, und der bayerische Staatsschutz konnte bereits kurz darauf den Täter präsentieren, einen jungen Mann namens Köhler, der bei der Bombenexplosion ebenfalls ums Leben kam und dem vage Verbindungen in die rechte Szene nachgesagt wurden. Das schmeckte Kaiser Franz-Josef und seinen Schergen nicht sonderlich, denn eigentlich hätte man lieber einen Linksterroristen dingfest gemacht. So aber legte man den Fall rasch zu den Akten, auch und erst recht als Gerüchte auftauchten, Köhler sei gar kein Einzeltäter gewesen, sondern Mitglied einer höchst aktiven Rechtsgruppierung namens „Wehrsportgruppe Hoffmann“ und hinter dem Anschlag sei eher eine mehrköpfige Gruppe zu vermuten. Rechtsterrorismus war damals aber noch kein Thema, passte ganz und gar nicht ins klassische Feindschema, also schluderte man bei den Ermittlungen, ließ gezielt manipulierte Infos an die Presse durchsickern und verhöhnte die Opfer und Hinterbliebenen mit banalem Gewäsch und lächerlichen Pressekonferenzen. Ganz normales politisches Handwerk also, ganz normaler Alltag. Die meisten schienen sich damit letztlich zufrieden zu geben, bis auf ein paar Unruhestifter wie eben Chaussy oder einen der Anwälte der Opfer, die keine Ruhe gaben, weiter fragten und forschten und wenigstens erreichten, dass der Chef der Staatskanzler seinen Hut nehmen musste. Doch auch mehrere Jahrzehnte später, als die Kriminaltechnik endlich die Mittel besaß, mittels DNA-Abgleich doch noch Aufschluss über mögliche weitere Beteiligte zu bekommen, hielt man die Reihen fest geschlossen, ließ lieber noch ein paar Körperteile aus der Asservatenkammer verschwinden und sorgte dafür, dass die Hintergründe dieses schlimmsten Bombenanschlags der BRD-Nachkriegsgeschichte weiter unaufgeklärt bleiben.
Erstmal: Politfilme sind (fast) immer toll. Aus diesem unserem Lande kommen leider auch gar nicht so viele, weswegen ich doppelt erfreut war, dass sich mal einer dieses Themas angenommen hat, das ja nun seit vielen Monaten die Gemüter zu recht beschäftigt. Unser deutscher Rechtsterrorismus und die unsäglichen Schwierigkeiten unserer Behörden, damit irgendwie zurecht zu kommen. Die grotesken Fehlschläge und Pannen im Zusammenhang mit der NSU-Schweinebande sind ja nur das jüngste und vielleicht krasseste Beispiel dafür. Der Fall Köhler aber, wie im Abspann dieses Films zu Recht festgestellt wird, ist auch schon ein Beispiel dafür, ein viel früheres, das einfach nur aus der öffentlichen Erinnerung verschwunden ist, unter anderem durch gezieltes und geschicktes Zutun der beteiligten Autoritäten. Also genau der richtige Film zur Zeit, dazu ein Film mit klarem Standpunkt und klarer Aussage, auch ein Film, der auf großen kommerziellen Bombast verzichten kann – aber ein richtig guter Film ist es trotzdem nicht geworden. Die Regie ist etwas zu brav und bieder, kommt zwar wie gesagt ohne platte Kraftmeierei aus, setzt andererseits aber thematisch und Dramaturgie zu wenig klare Akzente. Den Bildern fehlt vielleicht manchmal der gewisse Sog, den so ein schöner Verschwörungsthriller einfach braucht, wenn er nicht wie ein TV- oder Dokumentarfilm aussehen will. Ein paar der Charaktere wie auch Dialoge sind zudem recht platt ausgefallen, vor allem Lauterbachs Bösewicht und seine Sprüche gehören nicht in einen ernsthaften Film („Wenn ich untergehe, gehst du auch unter...“), und Chaussys Privatgeplänkel mit seiner Ehefrau haben mich offen gesagt nicht die Bohne interessiert. Kaiser Franz-Josef wird suggestiv nur von hinten gezeigt, die Herren Batic und Leitmayr sind auch mit dabei, und als dann doch ein wenig Drama aufkommen soll, gerät dies recht unbeholfen und hätte ebenso gut weggelassen werden können. Mitfiebern tut man auch so.
So bleibt die neuerliche Bestätigung einer bereits oft bestätigten Annahme: Hierzulande ist man auf dem rechten Auge blind. So war es immer, so isses noch, und so wird’s wohl auch bleiben, allen entgegen lautenden Beteuerungen zum Trotz. Der Feind steht links, anders passt es nicht ins Weltbild, und was dem vielleicht dann doch mal widerspricht, wird halt zurechtgebogen, bis es wieder stimmt oder wenigstens irgendwie ins Weltbild reingewurschtelt werden kann. So gesehen trifft der Film schon genau ins Schwarze. Und wenn er sich in einigen Bereichen ein wenig mehr zugetraut hätte, wer weiß, hätte er sogar a bisserl wehtun können. Aber wer will das schon... (27.1.)