Hundraåringen som klev ut genom fönstret och försvann (Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand) von Felix Herngren. Schweden, 2013. Robert Gustafsson, Iwar Wiklander, David Wiberg, Mia Skäringer, Jens Hultén, Alan Ford, Ralph Carlsson

   Und hier kommt gleich der skandinavische Bruder im Geiste, also wenn es ums wüste Fabulieren geht. Der Roman ist enorm populär, ich kenn ihn trotzdem nicht, weshalb ich mir den Film ganz unbeeinflusst und unbefangen ansehen konnte, und ich muss sagen, ich hab mich bestens amüsiert. Knapp zwei Stunden lang entfalten sich die mannigfaltigen und höchst abenteuerlichen Geschichten um Herrn Allan Karlsson aus Malmköping in Södermanland, der früh beide Eltern verliert, dessen Experimente mit Sprengstoffen ihn bald in die Psychiatrie führen und dort in die Hände eines „Rassenbiologen“, der ihn flugs sterilisieren lässt, den es aber immer wieder zum Explosiven hinzieht, weshalb er nach seiner Entlassung bei einer Kanonenfabrik anheuert, im Spanischen Bürgerkrieg Brücken sprengt, Mr. Oppenheimer über die Schultern schaut, ihm den entscheidenden Tipp für seine „friedenstiftende“ Erfindung gibt und darüber endgültig Zugang zur ganz großen Politik erhält. In den Zeiten des Kalten Krieges wird aus ihm ein sehr erfolgreicher Doppelagent, der Altpapier zwischen den Fronten hin und herschiebt, nebenbei einen russischen Spion im französischen Elysée enttarnt, dafür sorgt, dass eine dumme Äußerung Reagans über die Mauer total aus dem Zusammenhang gerissen wird, und es ist also kein Wunder, dass es einen Mann mit solcher Vita nicht lang in einem Pflegeheim hält. Und noch als 100-jähriger zieht er spektakuläre Ereignisse an, gerät unfreiwillig in den Besitz eines millionenschweren Geldkoffers, hinter dem alsbald die erschröcklich tätowierten Schergen eines auf Bali logierenden Gangsters her sind. Die wilde Hatz geht durch das extrem gemütliche, beschaulich ländliche Schweden, beinhaltet einige sonderbare Todesfälle und endet damit, dass sich eine Vierergruppe plus Elefant in Bali wiederfindet und es sich an exotischen Gestaden nach all der Aufregung verdientermaßen gut gehen lässt.

 

   Selbst wenn man die Romanvorlage nicht kennt, ahnt man doch, dass es nicht leicht gewesen sein muss, den Überfluss an kleinen und großen Geschichten rechts und links des Wegs irgendwie in den Griff zu bekommen und in eine halbwegs kohärente Form zu gießen. Die Gaunerkomödie aus der Gegenwart ist an sich schon abendfüllend und biete jede Menge handfest makaberen Slapstick gepaart mit ironischen Liebeserklärungen ans schwedische Landleben. Allans Erinnerungen jedoch, die immer wieder in die laufende Story einfließen, sind noch von etwas anderer Qualität, denn hier wird gleich die Weltgeschichte im Großen durch den Kakao gezogen und zwar auf charmanteste und skurrilste Weise. Karlsson selbst bleibt dabei immer der total arglose, unscheinbare Antiheld, der sich selbst niemals im Klaren zu sein scheint über die Reichweite oder mögliche Folgen seiner Taten und der, egal ob er nun Stalin oder Truman, Gorbie oder Reagan gegenübersteht, immer die Aura eines einfachen, bescheidenen und von all dem enormen Wirbel irgendwie unberührten Schweden beibehält. Ein kleiner Mann, der ganz ohne es zu wollen oder zu ahnen große Geschichte macht, eine wunderbar realisierte, freche Konstruktion, die vor allem durch Robert Gustafssons kongeniale Darstellung perfekt funktioniert. Was Autor und Regisseur alles weggelassen und gekappt haben mögen und was die Fans des Romans auf die Palme bringen und sogar den Autor selbst empören könnte, ist eine andere Sache und interessiert mich persönlich nicht so sehr. Ich halte mich an den Film, und der ist wirklich überaus unterhaltsam, schelmisch, witzig und skurril mit dem einen oder anderen ironischen Zwinkern in Richtung auf die besagte „große“ Geschichte und auf jeden Fall eine Herzensangelegenheit für Freunde des schwarzen Humors. (28.3.)