Belle (Dido Elizabeth Belle) von Amma Asante. England, 2013. Gugu Mbatha-Raw, Sam Reid, Tom Wilkinson, Sarah Gadon, Emily Watson, Penelope Wilton, Miranda Richardson, James Norton, Tom Felton, Matthew Goode

   Ein Gemälde als Inspirationsquelle. Es zeigt zwei junge Mädchen, Cousinen, in extravaganten Kleidern, die eine in blassrosa, die andere in schimmerndem Weiß. Die eine ist hellhäutig, die andere dunkelhäutig. Beide wirken stark und selbstbewusst, sind einander in der Darstellung völlig ebenbürtig, auf Augenhöhe, wie man heute sagt. Daran ist soweit nichts ungewöhnlich, bis man auf das Datum des Bildes schaut: 1779, georgianisches England, ein Weltreich mit vielen Kolonien, das gut am Sklavenhandel verdient. Die Bedeutung des Bildes, seine geradezu explosive Wirkung begreift man, wenn man es mit anderen Darstellungen von Schwarzen und Weißen aus dieser Zeit vergleicht, auf denen man die schwarzen Untermenschen stets von tief unten aufblickend, in demütigem Kniefall vor den stolzen Repräsentanten der weißen Herrenrasse sieht. Das Gemälde ist somit ein Statement und zwar eines mit beträchtlichem politischen Sprengstoff.

   Die Geschichte der Dido Elizabeth Belle ist eine wahre Geschichte, doch wie immer spielt das für meine Meinung über diesen Film keine Rolle. Wäre sie nicht authentisch, so wäre sie in jedem Falle gut ausgedacht! Dido wird geboren als Tochter einer Afrikanerin und eines englischen Marineoffiziers namens John Lindsay. Entgegen jeder Gebräuchlichkeit nimmt Lindsay seine Tochter als solche an und bringt sie nach dem frühen Tod ihrer Mutter nach England zu sich nach Hause. Nach Hause, das heißt Kenwood House in Hampshire außerhalb Londons, Sitz einer höchst einflussreichen und angesehenen Familie der Gesellschaft, und der Herr des Hauses, Lord Mansfield und Lindsays Onkel, ist zugleich der höchste Richter Londons. Lord und Lady Mansfield, die zugleich ihre elternlose Nichte Elizabeth Murray großziehen, schauen recht sparsam, als ihr Neffe mit seiner Tochter aufkreuzt, doch erklären sie sich bereit, sie ebenfalls aufzunehmen, sodass Dido fortan tagtäglich Lektionen in sanftem, subtilem Rassismus erhält, ohne dass sie direkt schlecht behandelt wird. Sie wächst eng mit ihrer Kusine auf, die Ziehmutter beginnt, nach guten Herrenpartien Ausschau zu halten, doch dann ist da noch der junge Sohn des Pfarrers, der aber viel eher das Amt eines Juristen anstrebt und alsbald anlässlich eines aufsehenerregenden Rechtsstreits mit Lord Mansfield aneinander gerät – und nicht nur deswegen…

   Verstand und Gefühl – Jane Austens sprichwörtliche Maxime wird hier vollendet in die Tat umgesetzt. Wir finden die bekannten Themen – wie bringen wir unsere mittellosen Mädchen an den richtigen, standesgemäßen Mann, wie schaffen es die Mädchen wiederum, den Mann zu ehelichen, den sie auch wirklich lieben, wie finden die Liebenden zueinander, auch wenn ihre Verbindung nicht standesgemäß und profitabel ist -, wir finden aber auch ganz andere, neue Ansätze. England als Kolonialmacht ist sehr präsent, das Abbild dieser Macht in der Gesellschaft daheim, im Handeln und Denken der Leute. England als Organisator und Profiteur vom Sklavenhandel und das Abbild in der Gesellschaft daheim spielt eine ebenso starke Rolle. Hier geht’s mal nicht nur um Liebeshandel, gesellschaftliche und wirtschaftliche Zwänge, hier geht’s tatsächlich auch um Politik und um Recht. Lord Mansfield hat einen lang erwarteten und höchst heiklen Entscheid zu treffen: Ein Sklaven schiff hat seine gesamte Ladung „verloren“, alle Sklaven sind gestorben, und nun sollen die Versicherungen bezahlen. Mansfield hat ein Urteil von weitreichender politsicher Bedeutung zu fällen: Entscheidet er gegen die Versicherungen, entscheidet er zugleich für die Geschäftemacher, für Zynismus, Menschenverachtung, Mord. Entscheidet er zugunsten der Versicherer, trifft er zugleich eine Aussage über die Sklaverei im Allgemeinen und legt sich mit den mächtigsten Männern des Landes an (das war damals also auch schon so!). Der oben erwähnte Pfarrerssohn Mr. Davinier hat nicht nur eine tiefe Zuneigung für die atemberaubende Dido gefasst, er engagiert sich leidenschaftlich gegen die Sklaverei und versucht, Lord Mansfield in dieser Richtung zu beeinflussen. Wie man sich vorstellen kann, weist ihn der mächtige Herr zunächst empört zurück und auch jegliche Verbindung zu seinem Mündel, doch nach und nach kommt der Mensch in ihm durch. Tja, und alles fügt sich, wie es soll, außer dass Kusine Elizabeth noch nicht den Richtigen gefunden hat…

   Natürlich finden sich reichlich Zutaten für einen ganz normalen englischen Kostümwohlfühlfilm, für den ja auch die unglückliche Jane Austen mehr als genug herhalten musste, doch kriegt es die Regisseurin Amma Asante wundersamerweise hin, dem Publikum zu geben, was es halt unbedingt braucht, und zusätzlich deutlich mehr Inhalte und Tiefe einzubauen, und zwar nicht nur, was Politik und Gesellschaft betrifft, sondern auch in Bezug auf die eher privaten Verhältnisse, die man hier allerdings kaum vom großen Ganzen trennen kann. Was Dido in Kenwood House erlebt, ist zwar eine deutlich gemilderte Version der Erfahrungen ihrer afrikanischen Brüder und Schwestern, aber es hat natürlich mit einer im Kern durch und durch rassistischen Struktur zu tun. Dido wird erzogen, gekleidet, ernährt wie ihre Kusine Elizabeth, doch zu offiziellen Anlässen ist hier Platz eben nicht am Tisch der Familie, wohin sie eigentlich gehörte, sondern irgendwo abseits bei den Dienstboten oder sonstwo. Der so mächtige Lord Mansfield beugt sich hier dem Druck der Verhältnisse, und auch wenn es um Didos Zukunft geht, wird allgemein vorausgesetzt, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe sowieso keine adäquate Partie in England finden würde, und so vom Auskommen ihres Vaters als ewige Jungfer leben wird, was kein Problem ist, weil sie eben wirtschaftlich abgesichert sein wird, anders als ihre Kusine, für die nun mit allen Mitteln eine gute Heirat angebahnt werden muss. Dido fängt an, gegen dieses Schicksal aufzubegehren, sie fängt an, die regelmäßig erlebte Erniedrigung anzuzweifeln und in einem größeren Kontext zu betrachten, und angestachelt von Daviniers Eifer beginnt sie, sich für Fragen und Hintergründe des Handels mit Sklaven zu interessieren, sie sieht dies plötzlich als ein Thema, das auch sie unmittelbar betrifft. Hinzu kommen ein paar extrem unerfreuliche Begegnungen mit Herren aus gutem Hause, die ein Auge auf sie und ihre Kusine geworfen haben, und kurz bevor die Verbindungen von den Eltern abgesegnet werden können, erfährt Dido den ganzen Hass, die ganze Verachtung und Herabwürdigung durch die weiße Herrschaft am eigenen Leibe und zieht sofort ihre Konsequenzen, was sie um ein Haar die Freundschaft mit Elizabeth kostet.

 

   Dies ist ein Film, der an Kopf und Herz gleichermaßen gerichtet ist und beide auch erreicht – selten genug! Er ist im konventionellen Rahmen wunderschön fotografiert, von Rachel Portman wie gewohnt recht süßlich orchestriert und von den tollen Darstellern top gespielt. Am meisten hat mich aber tatsächlich beeindruckt, wie Drehbuch und Regie es verstanden haben, die Regeln des Genres zu respektieren, den Rahmen gleichzeitig entscheidend zu erweitern und damit auch zu demonstrieren, was selbst auf diesem sonst so formelhaften Gebiet möglich ist. Einige zuvor haben es in andere Richtungen wohl schon getan (Jane Campion zum Beispiel), aber selten auf so mitreißende, gefühlvolle und eindringliche Weise. Große Klasse! (Auf nach Scone Palace…) (15.8.)