Die geliebten Schwestern von Dominik Graf. BRD, 2013. Hannah Herzsprung, Henriette Confurius, Florian Stetter, Ronald Zehrfeld, Claudia Messner, Maja Maranow, Michael Wittenborn, Anne Schäfer, Peter Schneider
Wenn man heute so durch das beschauliche, immer etwas provinziell wirkende, gleichzeitig aber äußerst gemütliche und charmante Thüringen stromert, mag man sich überhaupt nicht vorstellen, wieviel Sturm und Drang sich hier einst abspielte, welch große menschliche Dramen hier zwischen Saale und Ilm ausgetragen wurden. Aber so ist es tatsächlich: Anno 1787 trifft der damals noch ziemlich mittellose Friedrich Schiller in Rudolstadt auf die Geschwister von Lengefeld, die ältere Caroline und die jüngere Charlotte. Caroline, das ist die Kühne, Charlotte ist die Zarte. Die drei lassen sich für eine gewisse Zeit auf eine Dreierliaison ein, obwohl Frau Mama dringend davon abrät, sich auf einen dubiosen Poeten einzulassen. Caroline ist selbst noch verheiratet und rechtschaffen unglücklich, Charlotte, die mit ihrer Schwester innigst verbunden ist, spürt wohl, dass Schiller sich mehr zu Caroline hinzieht und erklärt sich bereit, diesem Glück nicht im Weg zu stehen. Doch es kommt anders: Caroline ist es, die beiseitetritt, Charlotte und Schiller heiraten, haben vier Kinder, und das Verhältnis der beiden Schwestern wird nie wieder dasselbe sein, zumal Schiller und Caroline immer mal wieder leidenschaftlich aufeinander treffen. Nach vielen Jahren lebt man schließlich zusammen in einer Stadt, nämlich Weimar, auch Caroline ist mittlerweile neu verheiratet und Mutter, doch die Schwestern schaffen es nicht, ihre unausgesprochenen Differenzen beizulegen, und so wird es bis zu Schillers Tod 1805 bleiben.
Dominik Graf hat aus diesem Klassikerstoff einen tollen Film gemacht, der die gepflegte Optik kunstgewerblicher Literaturfilme ein wenig aufmöbelt und statt eines gediegenen Salonstücks ein auch über zweieinviertel Stunden spannendes und eindrucksvolles Liebesdrama darstellt. So kann man auch mit heimischem Kulturgut umgehen. Historische und künstlerische Zeitläufte spielen zwar am Rande eine Rolle (Goethe wird immerhin mal von weitem gezeigt), doch im Kern ist dies natürlich eine waschechte Dreiecksgeschichte mit allem, was dazugehört, von den ersten verspielten Flirts, der Neugier der Begegnung, dem schwärmerischen Überschwang der ersten Monate, der sich wunderbar gefühlvoll direkt auf uns überträgt, bis hin zu ersten Verstrickungen, ersten Heimlichkeiten und schließlich einer sich konsequent entwickelnden tiefgehenden Entfremdung, die beide Schwestern im Kern trifft, obgleich die Ältere sich hinter ihrer herausfordernden Schale verbirgt und die jüngere eher ins Nest der Mütterlichkeit flieht. Von ihrem Schwur am tosenden Rheinfall von Schaffhausen jedenfalls ist am Ende nichts mehr geblieben, ihre einst zärtliche, bedingungslose Nähe ist verblasst und vergessen, die Konkurrenz um Schillers Liebe ließ sich nicht für immer verdrängen, muss früher oder später unweigerlich zwischen sie treten, und vor allem – wer ist Vater von Carolines Kind? Beide umkreisen diese Frage, keine spricht sie an, die eine traut sich nicht, danach zu fragen, die andere hat nicht den Mut, offen und ehrlich den spätem Seitensprung mit Schiller zu gestehen, den Verrat an der Schwester, obwohl die längst davon weiß. Häufig sind es Briefe oder Dritte, die uns etwas über die Schwestern mitteilen, ansonsten bleibt Graf zurückhaltend mit allzu konkreten, offensichtlichen Zuweisungen, überlässt die Menschen ihren Launen und Unberechenbarkeiten, lässt ihnen auch ihre Geheimnisse und Widersprüche, macht aus Schiller keinen flamboyanten jugendlichen Helden und aus den beiden Schwestern keine romantischen Frauengestalten. Vielmehr werden alle drei eng eingebettet in ein Sozialgeflecht aus wechselnden Interessen, wirtschaftlichen und familiären Zwängen, kulturellen Entwicklungen (Buchdruck) und größerem historischen Rahmen (die zeitgleich ablaufende Französische Revolution etwa). Der Sturm und Drang ist ebenso mitreißend und sexy wie die anschließende Ernüchterung unvermeidlich ist, die unterschiedlichen Charaktere der beiden Schwestern werden bis zuletzt diskret aber gründlich differenziert und dazwischen der Dichter als kronisch kränkelnder Künstler, dem es schwerfällt, sich zwischen zwei tollen Frauen zu entscheiden, und der ganz nach Männerart letztlich auch nichts dafür tut, den Konflikt zwischen den beiden irgendwie beizulegen, obgleich er erheblichen Anteil daran hat, dass er überhaupt ausbrach (immer dann nämlich, wenn die untere Körperregion mal wieder das Ruder übernahm).
Graf hat ein hervorragendes Ensemble versammelt, in dem auch Nebenfiguren funkeln dürfen (zum Beispiel Claudia Messner als Mutter Lengefeld), in dem natürlich die drei Hauptdarsteller brillieren (und das tun sie wirklich), aber alles hübsch in der Balance bleibt. Dazu gibt’s herrlich romantische Bilder, einen angenehm zügigen Erzählrhythmus und das durchgehend gute Gefühl, dass hier mal keiner versucht hat, aus unseren kulturellen Nationalheiligen irgendwelche Popstars zu machen. Hochklassiges Kino mit Stil und Tiefgang, wie man es vom Herrn Graf eigentlich auch erwarten durfte. (7.8.)