Clouds of Sils Maria (Die Wolken von Sils Maria) von Olivier Assayas. Frankreich/Schweiz/BRD, 2014. Juliette Binoche, Kristen Stewart, Chloë Grace Moretz, Lars Eidinger, Hanns Zischler, Angela Winkler, Johnny Flynn

   Wirklich nicht leicht, diesen neuen Film von Olivier Assayas vernünftig in Worte zu verpacken. Von welcher Seite man sich auch nähert – er hat immer noch mindestens eine andere, zumeist aber mehrere,  die er spielerisch und virtuos balanciert, jongliert, variiert. Vor allem geht’s um die Kunst und um die, die sie produzieren, und dann geht’s natürlich um das Leben und die vielfältigen Möglichkeiten, wie Kunst und Leben aufeinander treffen, sich überlagern, sich gegenseitig befruchten, miteinander konkurrieren und so weiter. Mal Drama, mal Komödie, mal Liebesgeschichte, mal Entwicklungsroman, mal Theaterfilm. Intim und satirisch, launisch und ein wenig spitz, dann aber auch wieder zärtlich und fast schwelgerisch schön. Umwerfende Berglandschaften mit Pachelbels Kanon, ein Rausch von Licht und Farben und Tönen, dann aber auch menschliche Landschaften, Gesichter, die den landschaftlichen Schönheiten in nichts nachstehen, Figuren, die mal ganz klein im riesigen Raum sind, manchmal aber auch groß und stark aus ihm hervortreten. Eine Geschichte von der Zeitlosigkeit der Kunst im Zeitalter der Paparazzi-Pest, der Allmacht der Medien, der „Segnungen“ des globalen Dorfes. Heute Zürich, morgen Paris, übermorgen London, oder besser noch: Mit dem Mittagszug durch den Kanal nach Paris, mit dem Nachmittagszug zurück, um rechtzeitig abends wieder zum Pressetermin in London sein zu können. Eine Geschichte von Freundschaft, Liebe, Anziehung, aber auch von Konkurrenz, und zwar vor allem der Konkurrenz der verschiedenen Generationen, ihrem unterschiedlichen Zugang zur Kunst, ihrem jeweils ausgeprägten Selbstbewusstsein und natürlich auch der Diskrepanz zwischen öffentlicher Darstellung und privater Befindlichkeit.

   Maria, eine vor allem im europäischen Raum renommierte Schauspielerin in den Vierzigern soll die Hauptrolle in der Fortführung eines Stücks spielen, mit dem sie vor zwanzig Jahren am Theater berühmt wurde. Damals spielte sie das junge Mädchen, das eine erwachsene Frau verführt und ruiniert, nun soll sie jene erwachsene Frau spielen. Längere Zeit mäandert sie um den Text herum, ziert sich, ringt mit einer Entscheidung, übt zusammen mit ihrer jungen Beraterin Val und nimmt zur Kenntnis, das ein zurzeit sehr angesagter junger Hollywoodstar die Rolle der jungen Verführerin übernehmen wird. Dieser Star steckt gerade mitten in einer dramatischen und von der Parasitenpresse gierig aufgesogenen Dreiecksgeschichte mit einem verheirateten Mann und dessen Ehefrau, aber auch Maria hat etliche Privatfronten, an denen sie sich aufreiben könnte – akute Scheidung, nervige Kollegen, Schwierigkeiten mit dem Image als „reifere“ Künstlerin - , vor allem das Verhältnis zu Val wird immer wieder auf eine Probe gestellt und endet schließlich sehr abrupt, nachdem ihr Val zum wiederholten Mal  klarzumachen versucht, dass sie sich erdrückt und überflüssig fühlt. Und so endet die Beziehung unvermittelt in den Schweizer Alpen, und einige Monate später sieht sich Maria in London kurz vor der Premiere letzten Zweifeln und Unsicherheiten ausgesetzt, bevor sie die neue Herausforderung dann doch annimmt.

   Man kann nun versuchen, während des Zuschauens die einzelnen Ebenen und Motive zu sortieren und aufzufädeln, ich habe mich schnell dafür entschieden, diesen Film einfach anzusehen und zu genießen, denn er berührt die Sinne auf jeden Fall in gleichem Maße wie den Kopf, so wie gutes, ernsthaftes „Kunstkino“ das stets tun sollte. Hin- und hergerissen zwischen Bilderrausch und lebhafter Anteilnahme konnte ich mich diesmal ruhigen Gewissens treiben lassen, so wie die Handlung auch ein wenig dahintreibt keiner ausgefeilten Dramaturgie folgt, ihre Schwerpunkte ständig verschiebt und es sich tatsächlich leistet, ein der maßgeblich interessanten Hauptfiguren nach neunzig Minuten einfach mal rauszukippen, ohne es für nötig zu halten, zu einem späteren Zeitpunkt Auskunft über ihren Verbleib zu geben. Genau wie Maria geht die Geschichte einfach weiter, lässt Val hinter sich, auch weil die Gesetze der neuen Zeit zu verbieten scheinen, zurückzuschauen oder mal innezuhalten. Als ihr kurz vor der Premiere letzte Zweifel kommen, ob sie die Rolle nun spielen soll oder nicht, wird sie mit der smarten, coolen US-Aktrice konfrontiert, die ihr leicht spöttisch empfiehlt, endlich einzusehen, dass sich die Zeiten geändert haben und für Pathos oder Selbstmitleid kein Platz mehr ist.

 

   „Sils Maria“ ist ein optischer und intellektueller Genuss, konsequent und kühn inszeniert und grandios gespielt. Lange hatte Juliette Binoche keine Rolle mehr, die ihr die Möglichkeit gibt, ihre erstaunliche, nach  wie vor enorm charismatische Persönlichkeit in dieser Weise zu entfalten wie hier. Es ist faszinierend zu verfolgen, wie sie in die unterschiedlichsten Launen und Zustände zwischen Künstlerin und Kunstfigur fällt, bruchlos, mühelos und dennoch klar identifizierbar. Ebenso faszinierend ist es zu sehen, wie Kristen Stewart sich als Gegenüber behauptet, ihren ganz eigenen Stil einbringt und gar nicht erst versucht, auf Augenhöhe mit der großen Diva zu konkurrieren, sondern eher auf Reduktion und Andeutungen setzt, wo sich Binoche mit sichtlicher Lust ausbreitet. Angela Winkler, Lars Eidinger und Hanns Zischler haben starke, prägnante Nebenrollen, in der Hauptsache ist dies aber Frauenkino, Schauspielerkino von höchstem Rang. Ein wirkliches Vergnügen. (29.12.)