Enemy von Denis Villeneuve. Kanada/Spanien, 2012. Jake Gyllenhaal, Mélanie Laurent, Sarah Gadon, Isabella Rossellini

   Alter, der hier gibt uns erstmal ´ne Nuss zu knacken! Anders gesagt: Analytiker an die Front und all jene gleich mit, die gern in alles und jedes ein Symbol dichten möchten. Schlichtere Gemüter so wie ich schlucken erstmal nach dem etwas abrupten Ende und brauchen im Weiteren einige Stündchen, um sich vielleicht doch einen Reim zu machen auf diese merkwürdige Fabel und ihre verschiedenen Bedeutungsangebote.

   Die Geschichte eines Doppelgängers oder Die Fabel von der dunklen und der hellen Seite oder vielleicht auch etwas völlig anderes? Der Reiz dabei ist natürlich die Offenheit, die Freiheit, die wir haben, den Film so zu sehen, wie wir es gern hätten. Es gibt viele Einzelheiten, viele Irritationen, die uns verwirren, uns mal in die eine, mal in die andere Richtung lenken, und je mehr ich im Nachhinein versuche, die einzelnen Puzzleteile zusammenzulegen, desto interessanter wird’s eigentlich, weil manches plötzlich an einen ganz anderen Platz fällt, je nachdem, welches Gesamtbild ich gerade anpeile. Ein Rätsel, ein Kunststück, ein sehr sinnliches Mysterium, mit anderen Worten: Große Kinokunst.

   Zuerst ist es nur der Doppelgänger, den der Geschichtsprofessor Adam plötzlich auf irgendeiner DVD entdeckt und der ihn dazu bringt, urplötzlich aus seiner in jeder Hinsicht routinierten, etwas eintönigen Existenz zwischen immer den gleichen Vorlesungen und immer dem gleichen Sex auszubrechen und Kontakt aufzunehmen zu diesem Double, dem mittelmäßigen Schauspieler Anthony, der mit seiner schwangeren Frau Helen zusammenlebt. Die beiden tasten sich zunächst etwas unschlüssig ab, keiner weiß so recht, was er aus der Begegnung machen soll, dann prescht aber der Schauspieler vor und schlägt einen kurzfristigen Frauentausch vor, eigentlich eher einen einseitigen: Er will mit Adams schöner Freundin eine romantische Nacht verbringen, verspricht im Gegenzug, für immer zu verschwinden aus Adams Leben. Wie es sich nun aber ergibt, nähert sich Adam wiederum Helen und verbringt seinerseits die Nacht bei ihr. Damit ist die Konstruktion weit offen, weist nun eher in Richtung eines Thrillers. Anthony und Adams Freundin aber haben einen schweren Autounfall und scheiden wieder aus, Adam und Helen scheinen einfach weiter zu leben. Das letzte Bild des Films allerdings macht auch diese Aussicht weitgehend zunichte.

   Manchmal erscheinen die beiden Männer klar voneinander getrennt – der egoistische Macho und der sensible Grübler -, manchmal fließen sie merkwürdig ineinander, vor allem bei dem Besuch bei der Mutter, die mal den einen, mal den anderen anzusprechen scheint. In der spannendsten Szene des Films scheint Helen zu spüren, dass nicht Anthony bei ihr im Bett liegt sondern Adam und richtig fragt sie ihn auch, wie der Tag in der Uni war, später aber hat das Zusammenleben der beiden schon eine eigenartig selbstverständliche Alltäglichkeit. Könnte auch sein, dass es hier nur um einen Mann zwischen zwei Frauen geht, der beide Existenzen scharf voneinander abspaltet und am Schluss mit aller Gewalt (buchstäblich!) versucht, sich selbst wieder zusammenzusetzen. Auch die Visionen und Obsessionen der beiden vermischen sich: Wir sehen fieberhafte, orgiastische Sexträume, die eher Anthony zuzuordnen sind, und wir sehen Adams panische Angst vor Spinnen, die ihn zu allen möglichen Schreckensbildern verleitet. Wir sehen aber auch, dass sich in eine der erotischen Phantasien eine kleine Spinne verirrt, und obgleich zwischendurch suggeriert wird, dass die beiden ganz verschiedenen Phantasiewelten klar jeweils einem der Männer zuzuordnen sind, lassen sich auch hier Verwaschungen nicht ausschließen. Am Ende verknüpft sich die Spinne unmittelbar mit der Frau: Was eben noch Helen war, ist nun eine grässliche, riesenhafte Spinne, die in der Zimmerecke kauert, und spätestens hier mögen Freudianer und andere Sonderlinge ein Fest der Symbolik feiern. Bevor sie aber noch mehr Futter erhalten, ist der Film einfach zu Ende und lässt uns mit unserer Verwirrung allein zurück – selten ein so drastisch einschneidendes Ende erlebt!

 

   Ansonsten erweist sich Villeneuve einmal mehr als begnadeter Bildkünstler, der auch in gerade mal anderthalb Stunden ein Maximum an Intensität zu erzeugen versteht. Ein langsamer, hypnotischer Rhythmus, ein dichter, dunkler Erzählfluss, dazu fantastische, schweflig gelb verrauchte Bilder aus einer molochartig verfremdeten Stadtwüste, in der die Befremdung geradezu aus jeder Betonpore zu quellen scheint. Die Besetzung ist exquisit, vor allem die drei Hauptdarsteller spielen grandios zusammen, und Gyllenhaal demonstriert sehr eindrucksvoll, wie man mit sehr sparsamen Mitteln dennoch zwei vollkommen unterschiedliche Charaktere in wenigen Zügen präzise zeichnen kann. Ein Film, der stark wirkt, der vor allem nachwirkt, der womöglich zweimal gesehen werden sollte und den Diskussionsfreudigen unter uns reichlich Stoff für einen kontroversen Abend bietet. Kurz: Große Kinokunst! (26.5.)