Hannas Reise von Julia von Heinz. BRD/Israel, 2013. Karoline Schuch, Doron Amit, Max Mauff, Lore Richter, Trystan Pütter, Lia Koenig, Suzanne von Borsody

   Juden kommen immer gut. Und: Behinderte Juden zählen doppelt. Jedenfalls wenn es darum geht, einen lukrativen Job in einem Berliner Assessment Center zu ergattern und den etwas faden Lebenslauf entsprechend aufzupimpen. Die smarte Hanna glaubt, ihre politisch engagierte und korrekte Mama werde ihr schon das entsprechende Zertifikat fälschen und ihr die Mühe ersparen, die Erfahrung tatsächlich am eigenen Leibe zu machen. Aber denkste – Mama lässt alte Seilschaften spielen und organisiert ihrer entgeisterten Tochter ruckzuck ein zweimonatiges Praktikum in einer Behinderteneinrichtung in Tel Aviv, und ehe sich die schicke junge Dame versieht, haust sie auch schon in einer gammeligen WG gemeinsam mit zwei anderen jungen Deutschen, die im selben Programm gelandet sind („Aktion Friedensdienst“ schimpft sich das Ganze) und den Job genauso begeistert machen wie sie selbst. In der Einrichtung lernt sie Itay kennen, der als Betreuer arbeitet und schon lange von Berlin träumt, doch nach dem Unfalltod seines Bruders so fest in die Familie eingebunden wurde, dass er es nicht mehr schafft, sich loszureißen. Die beiden bandeln ein bisschen an, sie spielt die kokette Ziege, zumal sie daheim auch einen Freund hat, der ihnen gerade die gemeinsame Wohnung einrichtet, er spielt den coolen Macker mit lockeren Holocaustsprüchen, der glaubt, deutsche Mädels sind leicht zu haben wegen ihres Schuldkomplexes (Hanna bietet ihm auch gleich Sühnesex dreimal pro Woche an). Neben ihrer Arbeit mit den Behinderten hat Hanna auch noch eine Holocaustüberlebende zugeteilt bekommen und erwischt eine ebenso gebildete wie kluge alte Dame, von der sie viel lernt und vor allem viel erfährt. Unter anderem über ihre eigene Mutter. Und so kommt es, wie man es erwarten durfte: Hannas Reise wird  für sie zuallererst eine Reise zu sich selbst, und es könnte sogar sein, dass sie ihren sicher zementierten Lebensentwurf am Ende tatsächlich kippen wird.

   Das Schwere leicht gemacht Teil 2 – oder? Sicherlich ist „Hannas Reise“ nicht vergleichbar mit dem Film oben, doch auch ihm liegt ein wirklich bleischweres Thema zugrunde, das hier mal auf ganz andere, man möchte fast sagen „moderne“ Weise behandelt wird, und zwar durchgehend mit absolutem Respekt, aber nicht durchgehend mit bitterem Ernst. Der prekäre Balanceakt zwischen inhaltlich und historisch zweifellos angemessener Seriosität und der Perspektive der dritten oder vierten Generation nach dem Holocaust gelingt erstaunlich gut, und zwar so gut, dass sicherlich jede Generation damit leben kann, ohne sich verraten oder denunziert zu fühlen. Hanna sagt’s selbst - sie ist Baujahr 86, hat mit dem Krieg und all seinen Untaten weit und breit nix zu tun, und sie muss schon bis zurück in die Generation ihrer Großeltern gehen, um eine direkte Verbindung herstellen zu können. Die gibt’s dann allerdings wirklich, und diese Entdeckungen verschlagen der kessen jungen Dame dann doch mal die Sprache, ihr, die immer geglaubt hatte, mit all dem gar nichts zu schaffen zu haben. Dass ihre Reise nach Israel ähnliche Resultate zeitigen würde, war wie gesagt schon zu erwarten, und dass aus ihr ein bisschen ein anderer, neuer (besserer...?) Mensch werden würde ebenfalls, doch wie diese Reise und ihre Transformation hier geschildert und begleitet werden, das ist einfach schön, mit sehr viel Humor, Herz und Charme, mit ein paar zünftigen Seitenhieben auf lähmende politische Korrektheit, aber auch mit vielen Momenten, in denen die furchtbare Last der Geschichte doch spürbar wird. Wenn Hanna mit den Überlebenden des Holocaust zusammen trifft, wenn wir ihre Gesichter sehen, einen raschen, fast beiläufigen Blick auf eine Häftlingsnummer am Unterarm, dann ist alles wieder präsent und man bekommt ein gutes Gefühl dafür, wie sehr dieses Land auf diese Geschichte gebaut ist, wie untrennbar damit verbunden. Gertraud Nussbaum öffnet Hanna die Augen für ihre eigene Vergangenheit, für die Vergangenheit ihrer Mutter, überzeugt sie davon, dass es auch andere Gründe geben kann, sich zu engagieren, als nur die eigene Karriere anzukurbeln. Natürlich ist diese Konstellation im Grunde ziemlich plakativ, mich hat’s aber in diesem Fall nicht gestört, weil der Ton ansonsten stimmt. Es gibt tolle, sehr stimmungsvolle Bilder aus Tel Aviv und eine Handvoll Figuren, denen zuzusehen Spaß macht und durch die eine schöne und - vollkommen richtig - symbolische Brücke zwischen den Generation geschlagen wird. Karoline Schuch, die endlich mal eine große Rolle hat, ist eine wunderbare facettenreiche Hanna und neutralisiert in ihrem Spiel einige der potentiellen Klischees, passt sich dem sehr angenehm dezenten und unpathetischen  Stil des gesamten Films perfekt an.

   Dies ist keine bleierne Geschichtsstunde, dafür umso mehr ein Film, der sich sicherlich für den Geschichtsunterricht eignet, weil er dieses Thema so rüberbringt, dass auch jüngere, vermeintlich weit entfernte Zuschauer damit etwas anfangen können – wenn sie wollen! Ich hab’s zum Glück hinter mir und hab’s auch nicht zu entscheiden, ich habe diesen Film genossen, optisch wie inhaltlich als einen mehr als respektablen Beitrag zu ewig aktuellen Diskussion...siehe ein paar Filme weiter oben. (27.2.)