Soshite chichi ni naru (Like father, like son) von Hirokazu Kore-eda. Japan, 2013. Masaharu Fukuyama, Machiko Ono, Lily Franky, Yoko Maki, Keita Ninomiya, Shogen Hwang

   Wie verhalten sich zwei Elternpaare, denen das Krankenhaus eröffnet, dass ihre beiden Söhne bei ihrer Geburt vor sechs Jahren vertauscht wurden? Gute zwei Stunden sehen wir diesen vier Menschen bei ihrem Versuch zu, mit dieser Situation fertig zu werden, mit sich selbst und ihren jeweiligen „neuen“ Söhnen zurecht zu kommen. Am Schluss jedoch bleibt offen, wie es weitergehen wird. Einiges hat sich verändert, zumindest ein wenig, einiges aufgelockert, angenähert, doch von Klarheit oder Harmonie kann keine Rede sein – und wie sollte das auch gehen (außer in Hollywood)?

   Die Eheleute Nonomiya sind Stadtmenschen, geprägt von Herrn Nonomiyas erfolgsreichem Job und seinem Wertesystem von Fleiß und Erfolg, das er ungebremst auf seinen Sohn Keita überträgt. Die Familie Saiki lebt in einer Kleinstadt etwas außerhalb, ein lebhafter, bunter Haufen, insgesamt fünf, und vor allem die Väter bilden einen denkbar starken Kontrast, der in den Mittelpunkt der Geschichte gerückt wird. Herr Saiki ist Bastler, Tüftler, ein groß gewordener kleiner Junge mit viel Herz und Zeit für die Kinder mit denen er alles Mögliche anstellt, und obgleich seien Gattin ab und zu säuerlich bemerkt, dass er ruhig ein bisschen mehr Ehrgeiz und Pep haben könnte (Frauen eben…), ist er ihr allemal lieber als Herr Nonomiya, ein cooler, arroganter Anzugträger, der überhaupt nicht imstande ist, auf seinen Sohn einzugehen, der höchstens mal ein Videogame mit ihm spielt und ihn sonst strikt auf Leistung und Erfolg trimmt. Ihre Wohnung hoch über den Dächern der Stadt strahlt die Wärme und Behaglichkeit eines Hotelzimmers aus, wohingegen die Saikis in einer klapprigen Bude voll mit Krimskrams leben. Von Anfang an haben diese beiden Pole Schwierigkeiten miteinander, von Anfang an haben natürlich auch die beiden Söhne Probleme mit dem, was von ihnen erwartet wird. Der eine fühlt sich in der neuen Familie gar nicht wohl, der andere fühlt sich dort viel zu wohl und ist völlig verwirrt, weil er spürt, dass er bei den Saikis endlich das bekommt, was ihm der eigene Vater nie geben konnte. Es kommt zu Spannungen, die vor allem die Väter miteinander austragen, während die praktisch veranlagten Mütter sich eher bemühen, das Verbindende zu suchen und sich ihrer gegenseitigen Unterstützung zu versichern. Herr Nonomiya hat gar im Sinn, beide Kinder zu sich zu nehmen, weil er der Ansicht ist, ihnen materiell mehr bieten zu können, während er sich andererseits von Herrn Saiki wiederholt vorwerfen lassen muss, viel zu wenig Zeit für seinen Sohn zu haben. Und obwohl Nonomiya zunächst hartnäckig und entschlossen seinen Standpunkt vertritt, sich einen Studienfreund als Anwalt zur Seite stellt und sogar einen unsäglichen Affront riskiert, scheinen Saikis Argumente ihn nicht ganz unberührt zu lassen, und am Schluss ist er von allen vieren derjenige, der die sichtbarste Entwicklung durchläuft, zumindest den Ansatz dazu, indem er (wenn auch ungelenke) Versuche unternimmt, sich seinem Sohn irgendwie anzunähern.

 

   Kore-eda hat dieses Drama zweier Familien, die nachhaltig, tiefgreifend und vor allem kaum auflösbar erschüttert werden, auf seine gewohnte Weise inszeniert, sehr ruhig, sehr bedächtig, in klaren, fast unbewegten Bildern, eine Art stiller Anteilnehmer am täglichen Miteinander, ein sehr genauer und dennoch gnädiger Beobachter, der unseren Reflex, Herrn Nonomiya voreilig zu verurteilen, gründlich konterkariert mit einer Szene, in der er und sein Bruder zu Gast sind bei ihrem alten Vater, und in der man schlagartig begreift, wer oder was ihn mutmaßlich zu dem gemacht hat, was er heute ist. Eine sanfte und dennoch sehr nachdrückliche Erinnerung daran, dass so gut wie jede Geschichte ihre Vorgeschichte hat. Was Herrn Nonomiya natürlich nicht von der dringlichen Notwendigkeit befreit, seine Haltung, sein Leben im Ganzen zu ändern, wenn er seine Rolle als Vater ernst nehmen will. Das Zusammenleben der Eheleute, das Zusammenleben der Eltern und Kinder, die verschiedenen Wertesysteme, die hier einander gegenüberstehen, auch der verschiedenen Generationen übrigens, all dies fügt sich zu einem komplexen, nachdenklichen Gesellschaftsporträt, das nicht abstrakt bleibt und nie polemisch wird, erst recht nicht melodramatisch oder sonst effektheischend. Alle drei Filme Kore-edas, die ich bislang gesehen habe, zeichnen sich durch diese besondere Qualität aus, ihre tief verwurzelte Menschlichkeit, ihre Intensität, ihre meditative Ruhe und Geduld, ihre Einfühlsamkeit und gleichzeitig ihre sanfte Distanz, die den klaren Blick erlaubt. Dies scheint schon etwas sehr typisch Japanisches zu sein, europäische Filme ticken einfach anders, sind durch andere Vorstellungen von Mensch und Leben geprägt. Nicht nur deswegen habe ich eine große Vorliebe für Filme dieser Art, und der häufiger gezogene Vergleich mit dem Werk Yasujiro Ozus, des weisesten aller Filmemacher, ist im Falle Kore-edas gar nicht so abwegig und gleichzeitig natürlich eine immense Auszeichnung für ihn. Und die ist völlig berechtigt. (8.10.)