Mandela: Long walk to freedom von Justin Chadwick. England/Südafrika, 2013. Idris Elba, Naomi Harris, Tony Kgoroge, Riaad Moosa, Zolani Mkiva, Simo Mogwaza, Fana Mokoena, Thapelo Mokoena
Ganz zum Schluss, als Kamera einmal mehr über die in blutrotes Sonnenlicht getauchte, betäubend schöne südafrikanische Graslandschaft gleitet, darf Nelson Mandela sein Credo sprechen: „Der Mensch lernt, zu hassen. Er kann lernen, zu lieben. Denn Liebe entspricht der Natur des menschlichen Herzens sehr viel mehr.“ Diese wenigen einfachen Worte berühren mich deutlich mehr als all das, was in den zweieinhalb Stunden zuvor gezeigt wurde, denn sie verdeutlichen die ganze Tragik, die Propheten des Friedens, der Versöhnung, der Gewaltlosigkeit so wie er immer wieder erfahren mussten. Gandhi hat für seine Überzeugung direkt mit seinem Leben bezahlt, Martin Luther King ebenso. Mandela nicht, doch er hat erleben müssen, wie sein Land nach einer kurzen Phase der Hoffnung wieder in Gewalt und Korruption abgestürzt ist, wie so viele andere Länder Afrikas auch. Und man kann nicht umhin festzustellen, dass Mandelas Credo zumindest auf den politischen Menschen nicht zutrifft, denn die Gier nach Macht ist immer stärker, gewichtiger gewesen als die Liebe und wird es immer sein. So einfach, so bitter ist das.
Natürlich ist Nelson Mandela eine Ausnahmegestalt, der sicherlich kein einzelner Kinofilm in vollem Umfang gerecht werden könnte. Schon der Versuch ist zwiespältig, eigentlich zum Scheitern verurteilt. Dennoch ist dies eine Enttäuschung für mich, denn gerade eine historisch so immens wichtige, komplexe und spannende Figur hätte unbedingt etwas anderes verdient als diese durch und durch konventionelle Würdigung. Eine Würdigung ist der Film zweifellos, menschlich und ideologisch total okay, und natürlich ist Mandelas Tod vor kurzem der richtige Zeitpunkt, sich an das zu erinnern, was er erlebt und bewirkt hat, wofür er letztlich stand und was ihn dorthin gebracht hat. Dass Drehbuchautor und Regisseur allerdings nicht den Mut oder die Bereitschaft hatten, mehr als eine simpel aufgereihte Chronologie zustande zu bringen, die in ihrer Umsetzung bisweilen hart am Rande der Seifenoper balanciert, nimmt dieser Geste viel von ihrem Wert – finde ich zumindest. Mir fehlt die thematische Gewichtung, die Konzentration auf einige besonders zentrale Aspekte, die ein kurzer Film angesichts des gewaltigen zeitlichen Umfangs vielleicht benötigt hätte. Und da bieten sich in Mandelas Fall sicherlich einige an. Seine politische Erziehung in durchaus rabiaten Umständen, seine Ehe mit Winnie, die Zeit auf Robben Island, die offenbar wichtig war für seine Entwicklung hin zu einem Mann, der der Gewalt abgeschworen hat, der auf Vergebung setzt und der an seine Landsleute appelliert, dies ebenfalls zu tun. Da wäre das Verhältnis den Präsidenten Botha oder De Klerk oder seine Position im Südafrika der 90er, fast drei Jahrzehnte nach seine Verhaftung. Gerade hier, auf konkret politischem Gebiet, bleibt der Film total oberflächlich, unscharf, vage, knapp, zeigt immerhin die Gewalt der Schwarzen gegen die eigenen Leute, erläutert aber überhaupt nicht, wie es so weit kommen konnte, welche Kräfte und Interessen da am Werk waren und wo konkret Winnie einzusortieren war. Allein in ihrer Ehe liegt Stoff für einen ganzen Film, sicherlich auch in der Frage, was aus dem Land nach Mandelas Abgang von der öffentlichen Bühne wurde, aber das gehört sicherlich woanders hin.
Statt einer Fokussierung gibt’s also einen atemlosen Ritt durch fünfzig Jahre Geschichte, wuchtig, effektbetont und immerhin so aufbereitet, dass man sich nicht langweilt. Rein äußerlich unterscheidet sich diese Produktion (und das ist ungefähr das schlimmste, was mir dazu einfällt) nicht von jeder x-beliebigen Hollywoodschablone: Beliebig bunte Bilder und dazu ein echter Scheißsoundtrack, der immer an den genau richtigen Stellen die Geigen zum Einsatz bringt, was mich auf Dauer tierisch genervt hat. Natürlich flammt die Wut auf das burische Terrorregime wieder auf, natürlich nimmt man einmal mehr fassungslos zur Kenntnis, wohin Rassenwahn, Hass und Angst ein Land und die Menschen dahin treiben können. Natürlich fühlt man mit den Opfern, mit den zu Unrecht inhaftierten, den geschundenen, misshandelten, unterdrückten, massakrierten, verhöhnten, in Townships gepferchten. Alles keine Frage. Das ist aber kein Verdienst dieses Films, zeichnet ihn nicht im Besonderen aus. Diese Emotionen erzeugt so gut wie jeder Film über die Apartheid, der sich halbwegs an die Wahrheit hält. Was fehlt, ist das Futter unter der Oberfläche, die Substanz, all das, was einen Menschen wie Nelson Mandela so faszinierend und auch so vielschichtig macht. Hier ist davon so gut wie nichts zu sehen und zu spüren. Auch wenn Idris Elba seine bemerkenswerte Präsenz voll in die Waagschale wirft, hat er nicht genügend Stoff an der Hand, um die Komplexität des Charakters zur Entfaltung zu bringen (nicht sein Fehler, wohlgemerkt!). Und auch wenn Naomi Harris sich sehr bemüht, die Radikalisierung Winnies nachvollziehbar zu machen, entsteht ein nicht mal annähernd vollständiges Porträt einer Frau, deren in vieler Hinsicht extreme und widersprüchliche Biographie der ihres Mannes in kaum etwas nachstand.
Aber bitte - dies ist keine historische Dokumentation, dies ist ein Kinofilm, der hat viel Geld gekostet und muss deshalb auch viel Geld einspielen und hat sich folglich an gewisse Gesetzmäßigkeiten zu halten. Ist mir im Prinzip alles klar, hat mir aber in diesem Fall nicht gereicht, kann eben nicht immer als Entschuldigung herhalten. Immerhin – den Song zum Abspann präsentiert U 2. Alles wird gut. (1.2.)