Nymphomaniac 1 von Lars von Trier. Dänemark/BRD/Frankreich/England, 2013. Charlotte Gainsbourg, Stacy Martin, Stellan Skarsgard, Shia LaBeouf, Sophie Kennedy Clark, Christian Slater, Connie Nielsen, Uma Thurman, Jens Albinus

    Der olle Chefprovokateur hat sich diesmal einen Zweiteiler ausgedacht, und nicht dass ich ihm was unterschieben will, und natürlich ist in erster Linie mal wieder die doofe Marketingabteilung Schuld – aber wenn’s darum gehen soll, die brave Öffentlichkeit gehörig aufzuscheuchen, dann geht Sex halt immer. Das an sich ist entlarvend genug und damit hätte Mister Lars sein erstes Ziel schon erreicht. Eigentlich sind die Zeiten ja längst ganz woanders: Sex sells, Sex ist Kult, überall Sex (oder das, was man dafür ausgibt), ganz knapp unter der kommerziellen Oberfläche aber herrschen noch immer Tabus, Ängste, Verklemmungen und vor allem jede Menge unaufgearbeiteter Kram. Eins ist jedenfalls klar - einen erigierten Schwanz oder eine blanke Muschi dürfen wir uns und unseren Kindern nach wie vor auf keinen Fall zumuten, das ist und bleibt Privatsache, dann doch lieber ein zünftiges Gemetzel und einen Hektoliter Kinoblut.

   Von alldem mal abgesehen führt dieser Film zwar in eine bestimmte Richtung, man bleibt aber nach dem recht abrupten Ende ziemlich in der Luft hängen, weil etliche Fäden noch darauf warten, aufgenommen und weiter gesponnen zu werden, auf dass sich nach Beendigung des zweiten Teils womöglich ein halbwegs stimmiges Gesamtbild ergeben möge. Sex ist wohl das Zentralmotiv hier, in vielen Fällen aber auch nur in Variationen oder Verbindung zu anderen Themen – Geschlechterrollen, Selbstfindung, Lebensentwürfe etc. Die Charlotte alias Joe strandet eines Nachts bei einem kauzigen älteren Herren und fängt an, aus ihrer bewegten erotischen Biographie zu berichten. Alles mit sehr traurigem Unterton, denn sie selbst verurteilt sich und ihre Handlungen zumeist, während Herr Seligman mehr und mehr zu ihrem Verteidiger wird und sie dazu auffordert, mit sich selbst unentwegt so hart ins Gericht zu gehen. In launigen Sprüngen erfahren wir aus Joes Kindheit, früher Jugend mit enger Bindung zum Papa, und dann Adoleszenz bis hin zu jenem denkwürdigen Moment ihrer Defloration, dem dann unmittelbar eine steile Karriere als Nymphomanin folgt- so sieht sich Joe auf jeden Fall selbst. Einige turbulente Episoden schließen sich an, wobei ein Herr mehrmals ihren Weg kreuzt (der Entjungferer von früher nämlich), und er ist es schließlich, in den sie sich ein wenig verliebt, nachdem sie das Konzept der Liebe immer vehement für sich abgelehnt hatte. Und just als die beiden innigst vereinigt sind, erkennt sie zu ihrem Entsetzen, dass sie nichts mehr fühlen kann.

   Viele der einzelnen Geschichten gehen stark auf die Satire zu, und das macht den Film letztlich auch so amüsant. Von Trier lässt Joe als gleichmütige, entschlossene und absolut unersättliche junge Frau auftreten, die uns armen Kerlen eigentlich das Blut in den Eiern gefrieren lassen müsste. Denn genau davor haben wir doch Schiss, meine Herren, das können wir ruhig zugeben, vor der totalen, alles verschlingenden und vor allem erschreckend ausdauernden Sexualität der Frau. Die wollen immer mehr als wir geben können, und die können viel öfter als wir, und wenn wir längst schlapp daneben hängen, sind die noch längst nicht satt, und wenn wir sie nicht satt machen können, na, dann gehen sie halt ein Haus weiter. Diese männliche Urangst wird hier wunderschön aufs Korn genommen und in einigen Episoden herrlich verarscht, genauso wie das herkömmliche Bild von männlicher und weiblicher Sexualität. Hinzu kommen noch einige wirklich witzige Szenen wie Uma Thurmans hinreißender Auftritt als betrogene Ehefrau und Mutter, und die köstliche Sexwette im Zug. Der Film hat aber auch ernstere Töne zu bieten, unter anderem ein Charakterporträt, das im ersten Teil zwar noch nicht wirklich fertig wird, das aber bereits hoch interessante Ansätze aufweist und von Stacy Martin wirklich bestechend gespielt wird. Eine stark verunsicherte junge Frau mit höchstens gebrochenem Kontakt zu sich und anderen, die ihre Sexsucht wie eine Obsession, einen Automatismus auslebt, ohne sichtliche Freude, bestenfalls flüchtige Erregung, aber bar jeglichen tieferen Gefühls. Wer oder was genau sie in diese Situation getrieben hat, bleibt offen, würde mich aber schon interessieren, denn immerhin betreibt sie einen immensen physischen Aufwand, um vor etwas wegzulaufen oder etwas zu kompensieren. Sieht jedenfalls so aus. Welche Rolle der scheinbar so liebende Papa dabei spielt, darf im Hinblick auf die bald folgende Fortsetzung spekuliert werden, vor allem weil die Mama immer so auffallend verbiestert daneben steht. Vielleicht steckt ja auch gar nix dahinter, wer weiß.

 

   Gut, mehr könnte ich für den Moment noch nicht sagen, außer, dass ich mich gut unterhalten habe, auf den zweiten Teil warte und wie schon gesagt hoffe, dass ein paar Fragen beantwortet werden können und dass vielleicht die Schalotte auch noch ein wenig mehr zum Zug kommt, denn die seh’ ich ja immer wieder zu gern. Wie immer läuft auch diesmal der Provokateur Gefahr, dass die Diskussion über die oberflächlichen Reize nicht hinauskommt und die tieferen Schichten nicht erreicht. Es liegt jetzt auch an ihm, diese tieferen Schichten etwas deutlicher herauszuarbeiten, damit sich die Sittenwächter nicht wieder nur am „expliziten“ Sex abreagieren können, als gäbe es sonst zu diesen Filmen nichts zu sagen. (4.3.)