Phoenix von Christian Petzold. BRD, 2014. Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf, Imogen Kogge, Daniela Holtz, Michael Maertens

  Einem wie Christian Petzold ist das schon zuzutrauen, dass er uns Zuschauern auch mal eine Story unterjubelt, über die wir normalerweise nur die Nase rümpfen würden – und damit sogar durchkommt. Wirklich gute Filmemacher schaffen das, und zu denen gehört Petzold ohne Frage. Und so geht man am Ende raus ins Herbstgeniesel und denkt, naja, nüchtern betrachtet wird uns hier aber einiges an Gutgläubigkeit zugemutet, und zugleich stellt man fest, dass es Petzold dennoch irgendwie gelungen ist, zu beeindrucken und zu fesseln.

   Die Jüdin Nelly kommt aus Auschwitz in das zertrümmerte Nachkriegsberlin. Ihr zerstörtes Gesicht lässt sie bei einem Chirurgen herrichten, es soll ihrem alten so ähnlich wie möglich sein. Dem Drängen ihrer Freundin Lene, Deutschland zu verlassen und nach Israel überzusiedeln, begegnet sie reserviert. Vor allem will sie ihren Ehemann Johnny finden, auch wenn Lene behauptet, dass er sie an die Nazis verraten hat. Sie findet Johnny schließlich im Nachtklub „Phoenix“. Er erkennt sie nicht, registriert aber wohl ihre Ähnlichkeit mit seiner toten Frau, und spannt sie in seinen Plan ein, ihr Familienerbe abzugreifen, indem er sie als Nelly ausgibt. Nelly lässt sich auf das Spiel ein, auch wenn immer wieder zu grotesken Momenten kommt, und erst ganz am Schluss, als sie ein Lied singt, mit dem sie früher oft als Sängerin aufgetreten war, scheint ihm klar zu werden, dass sie wirklich seine Frau ist.

   Wenn man also die reichlich abstruse Grundkonstruktion schluckt und nicht zu viel darüber nachdenkt, kann man Petzolds Kunst, reduzierte, enigmatische, magische Geschichten zu kreieren, durchaus in vollen Zügen genießen. Wenige nur bringen es so wie er fertig, mit sparsamem Personal, sparsamem Aufwand, sparsam eingesetzten künstlerischen Mitteln Dramen von solcher Intensität und Wirkung zu fabrizieren. Die ruhigen, klaren Bilder, der ebenso ruhige Erzählrhythmus, die Kunst, die Dinge einfach so ohne Kommentar und Ausschmückung stehen zu lassen. Die Kunst vor allem, die Vieldeutigkeit, das Ungesagte, Spekulative, Mysteriöse anzustoßen und weit über das Filmende hinaus wirken zu lassen.

   Viele Fragen bleiben, manche sicherlich nicht so wichtig, offene Fäden, die einfach hinten runterhängen, weil Petzold sich wie gewohnt die Freiheit nimmt, nicht alles rund ins runde abzuschließen. Nellys Motivation ist schon ein größeres Rätsel: Was will sie von Johnny? Will sie ihn testen, seine Liebe, seine Treue? Oder will sie herausfinden, ob er sie am Ende doch verraten hat? Oder ist sie ihm so verfallen, dass ihr all dies völlig gleichgültig ist? Schwer zu sagen, denn einerseits wirkt sie durchaus nicht wie eine Frau, die sich unbegrenzt demütigen lässt, andererseits aber suggeriert der Blick, mit dem sie ihn manches Mal ansieht, durchaus anderes. Sie bleibt geheimnisvoll, genau wie ihre Vergangenheit, wie das, was sie durchlitten, erlebt hat, eine echte Nina-Hoss-Rolle eben. Im Zentrum aber bleibt für mich der eine große Zweifel: Wie kann es sein, dass Johnny seine Frau nicht erkennt, gerade wo ihr Gesicht doch angeblich so authentisch wie nur möglich rekonstruiert wurde? Will er sie am Ende gar nicht erkennen, verdrängt er eine Schuld? Oder hat er die Gewissheit ihres Todes als die für sich einzige denkbare Lösung zurechtgelegt? Jedenfalls kann nicht mal ein Mann so oberflächlich sein – oder…?

   In gewisser Weise bedient sich Petzold aber auch nur eines Genre-Tricks, nach dem Melodramen bekannterweise und systematisch die Regeln der Rationalität außer Kraft setzen, ignorieren, überwinden und stattdessen eine ganz eigene Logik etablieren, die auf Emotion und Atmosphäre beruht. Beidem wird Petzold bestens gerecht, obgleich er ja nun ganz und gar nicht mit melodramatischen Effekten im herkömmlichen Sinne operiert, im Gegenteil. Doch just der Kontrast aus extrem ruhigen, fast disziplinierten Bildern und den darunter arbeitenden, meinetwegen „brodelnden“ Gefühlen kann enorm wirkungsvoll sein – und ist er hier auch. Nicht auszudenken, was Leute wie Minelli oder Sirk aus dem Stoff gemacht hätten, und in der Tat hat der Plot an sich durchaus Hollywoodpotential, nur ist ja immer die Frage, wie man damit umgeht, und dahat Petzold längst seinen ganz eigenen Weg eingeschlagen.

 

   Seine konstanteste Begleiterin auf diesem Weg ist Nina Hoss, und in „Phoenix“ ist sie einmal mehr einer der besten Gründe, ins Kino zu gehen, und Petzold hat ihr einmal mehr eine kongeniale Rolle zugeschrieben. Ihre Ausdruckskraft und Intensität sind beeindruckend wie immer, ihre Szenen mit Nina Kunzendorf und Ronald Zehrfeld große Schauspielkunst. Ich denke schon, dass mir der eine oder andere der früheren Petzoldfilme vor allem thematisch gesehen besser gefällt als „Phoenix“, dennoch hat der Mann seinem Kanon eigentümlicher „Geisterfilme“ ein weiteres sehenswertes Exemplar hinzugefügt, und ich kenne nur wenige Filmemacher, die ihre Linie so konsequent durchziehen wie eben dieser. (25.9.)