Stereo von Maximilian Erlenwein. BRD, 2013. Jürgen Vogel, Moritz Bleibtreu, Petra Schmidt-Schaller, Georg Friedrich, Helena Schoenfelder, Rainer Bock, Mark Zak, Valery Tscheplanowa, Fabian Hinrichs, Jürgen Holz
Ein obermieser Berliner Gangster will seinen ehemaligen Kompagnon in die Pfanne hauen, weil er den ganzen Kuchen für sich haben will. Die Sache geht ein bisschen schief, Eriks Bruder Henry und dessen Frau müssen sterben, und Erik flüchtet raus aufs Land, wo er sich als Motorradschrauber eine neue Existenz aufbauen möchte. Als er dann auch noch Julia und ihre kleine Tochter kennenlernt, scheint das Idyll perfekt. Da nimmt er sogar im Kauf, dass Julias Papa Bulle ist und zwar einer von der ganz misstrauischen Sorte, der ihn stets und ständig verhört und aus seiner Missbilligung keinen Hehl macht. Erik steht all dies durch, Julia hält zu ihm und die Kleine nimmt ihn fast schon als neuen Vater an. Doch dann melden sich die Schatten der Vergangenheit, die sich nicht so einfach abschütteln lassen, und Erik muss doch noch mal zurück in die Stadt, und die Sache zu Ende ausfechten.
Klingt wie ein ganz normaler oldschool fatalistischer Gangsterfilm aus den 50ern oder so, sieht im 21. Jahrhundert aber doch ein wenig anders aus. Nicht die Moral, die dahintersteckt, die ist noch immer oldschool, oder meinetwegen spießig, wie manche finden, aber hängt davon ab, ob man den Traum einer heilen Familie und eines trauten Heims als spießig einordnet. In Erik schlummern zwei Geister: Der eine sehnt sich nach einer heilen Welt, der andere ist besessen vom Bösen, ist geradezu das Böse in Person. Und weil der eine Teil nicht ohne den anderen kann, heißt der Film vielleicht auch „Stereo“, wer weiß. Er lockt uns jedenfalls ganz gekonnt auf eine falsche Fährte, als er uns den Kapuzenmann Henry präsentiert, der Erik eines Tages unvermittelt heimzusuchen beginnt. Ein finsterer, spöttischer, zynischer Kerl, der sich plötzlich in jeder Lebenslage einmischt, der immer da ist, der aber für niemanden sichtbar ist außer für Erik. Eine exzentrische Heilerin wird mehrmals eingeschaltet, doch Henry kann immer wieder verhindern, dass sie ihm auf die Spur kommt, auch wenn zwei einmal verdammt nah dran ist. Klarer Fall von Psychose denkt man, ahnt aber gleichzeitig, dass Erik ein Mann mit Vergangenheit ist, und als dann zügig einige finstere Burschen aufkreuzen und alle möglichen ominösen Sprüche klopfen, ahnt man auch, dass diese Vergangenheit nicht eben rühmlich gewesen sein wird. Immerhin kriegen wir dann mit, was es mit dem Kapuzenhenry auf sich hat, der ist nämlich in gewisser Hinsicht das personifizierte Gewissen Eriks, der Geist des toten Bruders, der ihn an die dunkle Seite in ihm erinnert und ihm klar macht, dass er die Vergangenheit nicht ungeschehen machen kann, sondern sich stellen muss. Das tut er auch und zwar in einem Showdown der nachdrücklich beweisen soll, dass deutsches Kino auch brutal kann – für alle, die diesen Beweis gebraucht haben. Ich gehöre nicht dazu, finde folglich, dass Erlenwein gelegentlich arg übertreibt und mit seinen klotzigen Gewalteffekten die Wirkung seiner ansonsten ganz clever ausgetüftelten Story her abschwächt und unterläuft. Die groteske Blut- und Ballerorgie zum Schluss hätte so nicht sein müssen, der Kontrast der zwei oben angesprochenen Welten wäre auch so deutlich geworden, diese ganze dicke-Hose-Attitüde wirkt ein wenig aufgesetzt, so als habe man tatsächlich sagen wollen: Seht mal, wir können’s auch!
Trotzdem lässt sich auch einiges auf der Haben-Seite verbuchen: Der Film ist sehr effektvoll fotografiert und inszeniert, dunkel, intensiv, suggestiv, er ist in seinen besten Momenten schon sehr mitreißend und emotional, er ist durchweg gut besetzt, und er hat natürlich drei echte Kerle zu bieten, die eine Machoshow par excellence abliefern, wobei Vogel und Bleibtreu auf der Hälfte mit sichtlichem Genuss die Rollen tauschen: Plötzlich ist Vogel der harte Gangster und Bleibtreu der besorgte Ehemann und angehende Vater. Während Georg Friedrich sowieso immer eine Nummer für sich ist. Insgesamt Genrekino mit einigen modernen Zutaten und Tricks, die sicherlich nicht verhehlen können, dass es im Kern um ganz essentielle Dinge geht, und dass sich der Erik am Ende für die, die er liebt, opfert, macht ihn fast wieder zu einem Guten. Aber nur fast… (20.5.)