Stiller Sommer von Nana Neul. BRD, 2013. Dagmar Manzel, Ernst Stötzner, Marie Rosa Tietjen, Arthur Igual, Hans-Jochen Wagner, Victoria Trauttmansdorff

   Jaja, unsere deutsche geistige „Elite“ und der Süden. Man häuft systematisch Grundstücke und Immobilien an, verwandelt idyllische Bergdörfer regelrecht in teutonische Kolonien, kann jedwede Weinsorte zielsicher von der anderen unterschieden und genießt natürlich hemmungslos das dolce far niente oder auch savoir vivre unter mediterraner Sonne. Und was kommt dabei raus? Genau der gleiche kleingeistige Katzenjammer wie bei allen anderen irdischen Wesen auch.

   „Stiller Sommer“ hat sich dieses Themas auf der Basis einer ironischen, bisweilen komischen, bisweilen aber auch etwas abgründigen Familiengeschichte angenommen. Im Mittelpunkt Herbert und Kristine und ihre Tochter Anna, die sich eher unfreiwillig eines Tages auf ihrem provençalischen Anwesen treffen – Kristine, die ihre Sprache verloren hat, ist eher auf der Flucht vor dem Alltag, Anna versucht, ihre verpatzte Prüfung aufzuarbeiten, Herbert versucht, irgendwie wieder in Kontakt mit den beiden zu treten, da zumindest seine Ehe reichlich kriselt. Statt einer Aufarbeitung ihrer Konflikte und Problemen machen sich alle tatkräftig daran, noch mehr aufzuhäufen, und als dann auch noch ein paar Geschichten aus der vorzugswiese totgeschwiegenen Vergangenheit wieder aufgewärmt werden, ist die Wahrscheinlichkeit einer nachhaltigen Versöhnung auf den Nullpunkt gesunken. Dennoch sehen wir am Schluss Herbert und Kristine fast Hand in Hand eine kurvenreiche Straße hinabschlendern.

   Dass es doch noch zu dieser Mut machenden Perspektive kommt, ist sicherlich nicht gerade der glaubwürdigste Moment dieses Films, der aber einfach nicht wirklich wehtun und sich und uns gern ein wenig Hoffnung hinterlassen will. Okay. Zuvor erleben wir allerhand misslungene sexuelle Verwirrspiele inklusive Mamis Affäre mit dem Lover ihrer Tochter oder Papis homoerotische Eskapade, bevor er sich dann doch dafür entschied, mit Weib und Kind leben zu wollen. Jene Eskapade hatte allerdings einen tragischen Abschluss, der noch immer in Form einer dunklen Wolke über der kleinen Gemeinde hängt und Herbert von Frau und Sohn des Opfers heftig nachgetragen wird. Jener Sohn ist übrigens Annas Lover, was das Spannungspotential nicht unbedingt mildert. Was gibt’s sonst? Jede Menge Wein und Überschreitung der zulässigen Promillegrenze, skurrile Experimente mit halluzinogenen Waldpilzen, einige schrullige bis durchgeknallte Germanen, die gern südländischer wären als die Südländer selbst und genau deswegen so germanisch bleiben wie nur was, abendliches Wildschweinessen unter mildem Lavendelhimmel, Kanufahrten auf der Ardèche und vor allem ein konsequentes Vermeiden jeglicher offener und konstruktiver Aussprache. Dass Kristine irgendwann dann doch ihre Sprache wiederfindet, hilft auch nicht weiter, denn was sie sagt, ist oft genug herablassend, verletzend, ätzend. Vielleicht liegt es unter anderem daran, dass Anna als Charakter merkwürdig unscharf, farblos, sprachlos bleibt, und dem ebenso egozentrischen wie verwirrten Treiben ihrer Eltern nichts entgegenzusetzen weiß. Ein typisches Erziehungsopfer halt. Demgegenüber finden sich in der Dorfgemeinschaft einige Stereotypen wieder, die sicherlich nicht sonderlich sympathisch, aber auch nicht wirklich originell oder witzig gezeichnet sind. Nicht gerade die Stärke dieses Films.

   Seine größte Stärke liegt vielmehr in Nana Neuls wirklich gutem Einfall, nach zirka zwei Dritteln Spieldauer das Band zurück zu spulen und einen Teil der Geschichte aus einer anderen, nämlich Herberts Perspektive sozusagen ergänzend noch einmal zu erzählen. In dieser Ergänzung liegt eine Menge Sprengkraft, denn vieles von dem, was Kristine sieht und wahrnimmt und interpretiert, erhält plötzlich eine neue Dimension, muss einfach umgedeutet werden, weil Kristine nicht alles sieht und erst recht nicht alles versteht. Wir werden daran erinnert, uns nicht blindlings auf eine Seite zu schlagen, sondern auch die andere zu hören und zu sehen. Was Herbert zu bieten hat, kommt zwar teilweise auch nicht über jenes Selbstmitleid heraus, das vielen dieser Figuren hier zu eigen ist, gibt seiner Person und seiner Position aber immerhin die Würde und das Gewicht, das er Kristines selbstgerechtem Findungstrip entgegen setzen könnte. So wird aus einer eher schlichten Story plötzlich eine komplexe Story, und das hindert den Film im Ganzen natürlich daran, sich und uns in sommerlich-südliche Gemütlichkeit fallen zu lassen.

 

   Abgesehen davon sind die Bilder natürlich wunderschön und die Schauspieler große Klasse, vor allem Manzel und Stötzner geben im Rahmen des etwas engen Konzepts ein sehr glaubwürdiges und schön gebrochenes und störrisches Ehepaar, das zwar alles über die Kunst und den Wein weiß, aber nichts darüber, wie es der eigenen Tochter geht. Aber wie gesagt, dies ist keine Tragödie, die uns am Schluss wie Blei in den Knochen hängen bleibt, der Weg zueinander bleibt sichtbar. Das ist dann schon mal einen Chablis wert oder einen Beaujolais oder so… (15.4.)