Und morgen Mittag bin ich tot von Frederik Steiner, BRD, 2013. Liv Lisa Fries, Lena Stolze, Sophie Rogall, Kerstin de Ahna, Johannes Zirner, Max Hegewald, Bibiana Beglau, Minh-Khai Phan-Thi, Jonathan Berlin
Lea ist erst Anfang zwanzig und leidet wie schon ihr älterer Bruder an Mukoviszidose. Der Bruder ist längst gestorben, und auch Lea macht sich auf den Weg: Und zwar nach Zürich, dorthin, wo es Ärzten erlaubt ist, nach ausführlichen Gesprächen den Betroffenen einen sanften Tod nach Wunsch zu ermöglichen. Ihre Prognose ist unzweifelhaft ausweglos, eine Lungentransplantation hat sie bereits vor Jahren abgelehnt, zwischen Insulinspritze und Sauerstoffgerät hält ihr Leben keine Hoffnung mehr parat. Sie lädt die Menschen zu sich in die Schweiz ein, die sie am meisten liebt: Die Schwester Rita (die einzige, die nicht von der vererbbaren Krankheit befallen ist), die Mutter und die Großmutter. Dann kommt noch jener Typ hinzu, den sie einst liebte, mit dem sie aber nicht glücklich wurde, und der bis zuletzt seine ungeschickten Eiertänze vorführt. Und sie lernt vor Ort einen Jungen kennen, der selbst einen Haufen Probleme hat, aber nicht die gleiche Möglichkeit wie sie, seinem Leben einfach so ein Ende zu setzen, auch wenn er schon einige Anläufe hinter sich hat. Lea isst das letzte Schnitzel ihres Lebens, fährt noch einmal über den Zürichsee und stirbt dann in Gesellschaft ihrer Familie.
Das Schwere leicht gemacht? Nein, irgendwie nicht, denn leicht habe ich diesen Film nicht gefunden, im Gegenteil. Andererseits aber auch nicht so belastend, dass er mich erdrückt hätte, und das ist wohl eine seiner großen Stärken. Das Schwere wird durchaus schwer gemacht, hier wird nicht leicht und leichtfertig gestorben, und dennoch bleibt der Blick offen für das Leben und die Lebenden. Obwohl Lea mitsamt ihrer furchtbaren Situation ganz im Mittelpunkt steht, wird nicht verschwiegen, dass ihre Entscheidung auch Konsequenzen für ihre Familie hat, für die Schwester, die mit Sicherheit immer im Schatten der beiden Kranken gelebt hat, und für die Mutter, die den Kampf einfach nicht aufgeben und nicht einsehen will, dass Lea ihre Entscheidung bereits getroffen hat und sich trotz einer ganz kurzen Krise nicht mehr umstimmen lässt. Diese bewusste Szene ist besonders mitreißend: Lea kämpft gegen plötzlich aufsteigende Panik, und die Mutter muss draußen vor der Tür warten, wie sich ihre Tochter entscheiden wird, immer noch hoffend, dass sie ihren Entschluss ändert und weiter leben möchte. Dabei von Egoismus zu sprechen, ist einerseits ungerecht, andererseits völlig richtig: Natürlich will die Mutter nicht wahrhaben, wie es um Lea steht, will nicht noch ein Kind an die grausame Krankheit verlieren. Und natürlich ist sie spontan total überfordert, als ihre letzte, die gesunde Tochter ihr sagt: Ich habe doch nur noch dich. Dies ist die andere beeindruckende Szene, die ein Schlaglicht auf die Überlebenden wirft, auf ein Leben, das ständig im Zeichen der kranken Geschwister stand und das mit Sicherheit bedeutet hat, immer nur an dritter Stelle zu stehen, denn natürlich hat die Mutter, die vom Vater der Kinder früh verlassen wurde, ihre Zuneigung immer auf Lea und Benji projiziert.
In Leas Umgang mit der Krankheit und mit ihrem Beschluss, sterben zu wollen, bevor die letzte Quälerei losgeht, liegt eine eindrucksvolle Stärke und Autonomie. Sie lässt sich ihren trockenen Humor nicht nehmen, teilt ihn vor allem mit Rita, sie fordert ihre Mitmenschen gern heraus, kann aber auch erkennen, wenn sie sie überfordert, sie emotional in Bedrängnis bringt. Ihre Frotzeleien mit dem psychisch schwer angeschlagenen Moritz haben immer etwas lebensbejahendes, und auf die verzweifelte Frage ihrer Mutter, was sie denn ohne Lea anfangen sollte, antwortet sie ganz einfach: Weiter leben. Hinter der Selbstverständlichkeit dieser Antwort liegt eine ganze Menge mehr, das wissen beide, denn die Mutter wird nun ihre zweite große Aufgabe, ihr zweites Kind verlieren, und auch in diesem Zusammenhang bekommt Ritas Appell an sie ein besonders dramatisches Gewicht. Lea hat ihre Familie immer zusammen gehalten, und nun sind die übrig gebliebenen drei gefordert, sich selbst neu zu finden.
Das Thema Sterbehilfe wird hier nicht zum Gegenstand irgendeines politischen oder ethischen Exkurses. Es ist ein ganz selbstverständlicher Vorgang, dem nichts Inhumanes oder Spekulatives anhaftet. Ein Arzt unternimmt einen intensiven Versuch, Leas Motive zu hinterfragen sie selbst dazu zu bewegen, sie noch einmal zu revidieren, doch letztlich lässt er sich überzeugend und schreibt das Rezept für den tödlichen Cocktail auf. Eine Frau von der Sterbehilfeorganisation begleitet Lea und ihre Familie, auch sie besteht darauf, dass Lea bis zuletzt die Möglichkeit hat, ihre Entscheidung zu ändern. Indem die Prozedur als so gewissenhaft und ethisch seriös gezeigt wird, bezieht der Film natürlich Stellung, und man fragt sich einmal mehr, weshalb hierzulande noch immer solche Widerstände herrschen und ob der Hinweis auf die Erfahrungen aus der Nazizeit nicht bloß vorgeschoben sind von einem Gesetzgeber, der einfach zu unbeweglich oder zu bequem ist, einen sicheren und nach allen Seiten korrekten Rahmen zu schaffen, um Leuten in vergleichbarer Lage zu helfen.
Insgesamt ein Film von großer Schönheit und Intensität, teilweise sehr ergreifend, sehr emotional, und zwar immer auf der richtigen Seite. Ein Film über das Leben und den Tod, über Abschied, über die Fähigkeit, einen geliebten Menschen gehen lassen zu können und darüber, wie viel Kraft das kostet. Wenn Lea sich ganz am Ende ihres Lebens bei ihrer Mutter bedankt, weiß man genau, wofür, denn ohne dies wäre ihr das Sterben sehr viel schwerer gefallen. Im Mittelpunkt stehen großartige Schauspieler, und in deren Mittelpunkt wiederum Liv Lisa Fries, die die Lea mit atemberaubender Eindringlichkeit spielt und damit sicherlich eine der unvergesslichen Darstellungen dieses Kinojahres geliefert hat. Ein Film, der bleibt, wegen seines Themas und wegen der Art und Weise, in der er es behandelt. (24.2.)