Når dyrene drømmer (When animals dream) von Joans Alexander Arnby. Dänemark, 2014. Sonia Suhl, Lars Mikkelsen, Sonja Richter, Jakob Oftebro, Mads Riisom, Gustav Dyekjær, Esben Dalgaard Andersen
Waschechtes Mitternachtskino ausm Norden, kurz, knackig, dunkel. Den nächsten Dänemarkurlaub werde ich definitiv mit mehr Respekt antreten, vor allem was die vermeintlich zarten blonden dänischen Damen angeht. Hier sehen wir zwei davon und beide verbindet eine äußerst prekäre Besonderheit, abgesehen davon, dass sie Mutter und Tochter sind. Tochter Marie stellt an sich zunächst eine merkwürdige aber eigentlich harmlose Hautveränderung fest, auf die der Hausarzt der Familie reserviert und irgendwie ausweichend reagiert. Der weiß natürlich schon Bescheid - Tochter Marie hat die furchtbare Veranlagung von der Mama geerbt, und das wird alle möglichen Folgen für sie und ihre Umgebung haben, und wenn erst die Bewohner des kleinen Fischerortes davon Wind bekommen, ist auch Maries Sicherheit nicht mehr gewährleistet, denn noch mal so was wie die Mama werden sie nicht tolerieren. Marie fängt bei der lokalen fischverarbeitenden Industrie an, kommt in Kontakt mit der schlichten lokalen Männerkultur, fängt aber auch ein paar Blicke des smarten Daniel ein. Daheim häufen sich derweil beunruhigende Ereignisse – Marie kriegt mit, wie der Papa die Mama abends in der Badewanne sehr ausführlich rasiert, der Hausarzt kreuzt dauernd auf und verabreicht ominöse Spritzen, und als Marie ein Haarbüschel aus der besagten Hautveränderung wuchert, ist auch ihr endgültig klar: Hier stimmt was nicht, und zwar ganz und gar nicht.
Jonas Alexander Arnby dekliniert sämtliche Elemente des hinreichend beackerten Gruselgenres durch und überträgt sie verblüffend gekonnt in ein jütländisches Setting: Das Katzenmenschen- bzw. Werwolfmotiv, die enge Verbindung von Verwandlung und Sexualität, der schicksalhafte Familienfluch, die archaische Dorfgemeinschaft, die mit diesem Familienfluch lebt und ihn zugleich bekämpfen will, die damit verbundene Außenseiterposition der Familie, die zugleich gehasst und gefürchtet wird, die Macht der animalischen Triebe, der Kampf gegen sich selbst, das gejagte Tier, der verliebte Bursche, der zu ihm hält. All dies wird ohne Umschweife und total überzeugend in das moderne Hier und Jetzt übertragen, wirkt auch gar nicht antiquiert, erst wenn man anfängt, die Einzelteile zu betrachten, kommt das Baukastensystem ans Licht. Und das soll mich auch nicht stören, solange es so gut gemacht ist wie hier. Arnby kommt völlig ohne CG-Effekte aus, setzt mit Ausnahme ganz weniger kurzer Momente nicht auf Blutvergießen sondern auf Atmosphäre, und da ist ihm ein exquisites Seestück gelungen, eine in fahle Farben und tolle Wolkenimpressionen getauchte Stilübung zwischen Melancholie, Angst und erotischer Selbsterforschung. Marie ist verängstigt, aber auch fasziniert, sie kann sich sowieso nicht wehren gegen das, was bei jeder Form von Erregung mit ihr geschieht, und nachdem sich die Mama in der Badewanne ertränkt hat, ist sie nun diejenige, die den Familienfluch weiter zu (er)tragen hat.
Hier werden keine ganz neuen Varianten ausprobiert, hier werden auch keine psychologischen Tiefenbohrungen veranstaltet, hier wird aber auch nicht der Holzhammer geschwungen. Ein dicht inszenierter, sehr fein fotografierter, superb gespielter kühler kleiner Thriller, der uns das angeblich große Geheimnis gar nicht so lang vorenthält, weil es nämlich darum nicht in erster Linie geht, der sich eher damit beschäftigt, wie die junge Marie mit ihrer Entdeckung und der dramatischen Entwicklung ihres Körpers zurechtkommt, wie sie für eine mörderische Kutterfahrt kurzfristig fortgetragen wird, um am Schluss fast wieder das junge Mädchen vom Anfang zu sein. Bis zum nächsten Mal. Also: Die Dänen können‘s auch – gerne mehr davon. (2.9.)