Willkommen bei Habib von Michael Baumann. BRD, 2013. Vedat Erincin, Burak Yigit, Thorsten Merten, Klaus Manchen, Teresa Harder, Luise Heyer, Maryam Zaree
Vorstellung einiger Stuttgarter: Bruno wird just des angeblichen Betrugs überführt und fliegt aus seiner Firma. Verzweifelt und verstockt quartiert er sich direkt gegenüber auf einer zugemüllten Verkehrsinsel ein, fest entschlossen, nicht eher zu weichen, bis das Unrecht aus der Welt geräumt wurde. Gegenüber Habibs Imbiss, eine Dönerbude mit Currywurst im Angebot. Habib hat die Tapete mit einheimischen Motiven längst durch ein treudeutsches Klinkermuster ersetzt und denkt nicht an die Rückkehr in die alte Heimat. Seine deutsche Frau Andrea schmeißt einen Telefonladen, der gemeinsame Sohn Neco macht krumme Geschäfte, betrügt seine türkische Frau mit einem deutschen Mädchen und ist seinem eigenen kleinen Sohn kein sonderlich vorbildlicher Vater. Und dann gibt’s da noch einen geheimnisvollen alten Herrn, offenbar frisch aus einer Klinik entlaufen, der in Andreas Laden Dauergast ist und es nicht richtig schafft, seine Tochter nach vielen Jahren wieder anzurufen. Im Lauf der Zeit kommt so einiges ins Rutschen, ein paar festgefrorene Überzeugungen weichen auf, alte Erinnerungen kommen hoch, begangenes Unrecht wird aufgedeckt, kann aber nicht richtig wiedergutgemacht werden, auf einen kleinen Haufen Scheiße türmt sich noch viel mehr Scheiße, am Schluss aber fährt endlich die lang bestreikte Stuttgarter Müllabfuhr wieder, und zwei lebendige plus ein toter Mann sitzen draußen vor Habibs Imbiss und schauen in den Morgen.
Man sieht schon, dass dies kein echter Wohlfühlfilm ist und dass diese Helden sich nicht als Protagonisten für seichte Abendunterhaltung eignen. Dass dies nun kein schweres Sozialdrama geworden ist, passt wiederum auch, denn die Vielfalt der angerissenen Themen und Konflikte überfordert ein zweistündiges Werk per se, und die Filmemacher hatten offensichtlich eine gewisse Mischung im Sinn, die ihnen durchaus sehr gut geglückt ist. Es gibt schon Tiefgang, aber sooo tief ist er dann auch nicht, dass man drin versinken könnte. Ernste und leichtere Momente wechseln sich ab, Melancholie und Dynamik ebenfalls, und da die Extreme in jede Richtung nicht zu flach gehalten werden, kann ich damit in dieser Form gut leben. Es geht im weiteren Sinne um Identität, Heimat, Zugehörigkeit in mehreren Variationen: Firma, Familie, Land und Kultur. Bruno muss erkennen, wie trügerisch die Sicherheit seiner „Heimat“ war, wie schnell sich die „Familie“ gegen ihn wenden kann und zwar nur auf die intriganten Anschuldigungen eines Einzelnen hin. Habib ringt lange mit der Einsicht, dass doch noch mehr von der alten Heimat in ihm ist als er zugeben wollte, und plötzlich ist er gar nicht mehr so abgeneigt, doch mal wieder in die Türkei zu fahren. Neco verzettelt sich bei dem Versuch, in der neuen Heimat zu landen, er beteuert immer wieder, am liebsten sofort in die Türkei abhauen zu wollen, doch den Absprung schafft er letztlich doch nicht. Das gelingt am Schluss dem Alten, der einst sein Zuhause mitsamt Familie verließ und nun versucht, diese Schuld irgendwie abzuarbeiten. Ein Telefonat mit der vermeintlichen Tochter bringt die Erlösung, und so kann er sich dann zu Habib zum Sterben hinsetzen. Und um ehrlich zu sein, muss ich schon feststellen, dass dies eher ein Männerfilm ist, der den beteiligten Frauen ein bisschen wenig Raum gibt.
Regie und Drehbuch verzichten gottseidank darauf, den Film allzu gefällig machen zu wollen, verzichten also auch auf allzu anbiedernde Gags oder Gefühligkeit, lassen den Figuren ihre Schräglagen und Sperrigkeiten, halten das Tempo niedrig, setzen auf atmosphärische Bilder aus Stadt, die vom Film noch nicht allzu sehr entdeckt worden ist, und ansonsten auf ein wirklich vorzügliches Ensemble, das sich komplett und nahtlos in das Konzept einfügt. Hier sucht man laute, falsche Töne vergeblich, und so ist dies eine für deutsche Verhältnisse durchaus ungewöhnliche weil ziemlich dezente Großstadtballade geworden, die ich in dieser Form gern häufiger sehen würde. (24.6.)