Zeit der Kannibalen von Johannes Naber. BRD, 2013. Sebastian Blomberg, Devid Striesow, Katharina Schüttler
Eine Geschichte aus der Schönen Neuen Welt, oder genauer gesagt, eine Geschichte von der Ersten Welt, die erneut in die Dritte Welt auszieht, um diese mit ihren Errungenschaften zu beehren. Man sendet die Krieger der Neuzeit aus, Business Consultants heißen sie (für Doofe wie mich: Geschäftsberater), die zwischen dem Mittleren und Fernen Osten und Afrika die Spreu vom Weizen trennen und die Geschicke der Wirtschaft in ihrem Sinne lenken sollen. Drei dieser Missionare lernen wir kennen, Kai, Frank und die Bianca, die wir immer nur in Hotelzimmern sehen und in gelegentlichen Geschäftsbesprechungen (sorry: Business Meetings), die aber vorwiegend zwischen Handy, Laptop und TV unterwegs sind. Kai und Frank arbeiten für eine internationale Company und streben unbedingt danach, Partner zu werden, weil dann hätten sie’s endgültig geschafft. Ihr größter Konkurrent, der ihnen zu alledem den Rang abgelaufen hatte, springt überraschend aus dem Fenster und so scheint der Weg nach oben für sie doch frei zu sein, doch dann taucht die Bianca auf, und man weiß eigentlich nie so recht, was sie im Schilde führt. Ist sie nur Spionin vom Boss, spielt sie auf eigene Rechnung oder spielt sie die beiden Platzhirsche lediglich gegeneinander aus? Das Ganze gerät ordentlich ins Trudeln, als die Company verkauft wird und alle um ihren Job bangen müssen, das Ganze gerät total in Panik, als die Taliban das Hotel in Lagos stürmen und vermutlich allen Gästen den Garaus machen. Die Erste Welt im Belagerungszustand, die Erste Welt am Abgrund, an jenem Abgrund, in den sie die dritte Welt vor hunderten von Jahren bereits gestoßen hat.
Dies ist abwechselnd eine rabenschwarze Satire, eine bissige Komödie, ein betont theatralisches Psychodrama, schön überzeichnet und polemisch an manchen Stellen, im Inneren jedoch genau ins Herz treffend. Drei Exponenten einer Parallelwelt, die längst die Herrschaft über die vermeintlich „wirkliche“ Welt übernommen hat, die Welt des schnellen, großen Geldes, des Marktes, der schwindelerregenden Geschäfte, Verschiebungen, Transaktionen, die Welt der Spekulanten, der Abwickler, der Übernehmer, allgemein die Welt des Big Business. Keine Welt für Weicheier, dennoch natürlich eine Welt, die reihenweise Neurotiker hervorbringt, kaputte Soziopathen, die im wahren Leben kaum noch einen Fuß auf die Erde kriegen würden und die deshalb schon lange aus diesem Leben geflüchtet sind. Der eine fährt gerade sein Familiendasein vor die Wand, der andere hält sich auf dem Fahrrad fit und leistet sich jede Menge hysterischer Phobien, und die Bianca maskiert sich mit toughem Outfit und smarter Coolness. Dabei ist ihre Welt so instabil wie nur was, kann jederzeit und aus jedem Anlass total aus den Fugen geraten, denn sie alle wandeln auf halsbrecherisch schmalem Grat, und ihre Fallhöhe ist immens, genau so immens wie ihre Angst vor dem Fall. Dementsprechend wären sie fast alles zu tun bereit, um sich davor zu bewahren. Verrat, Intrige, wechselnde Allianzen, alles kommt vor zwischen den dreien. Auch die scheinbare Kumpanei der beiden Männer, die immerhin seit sechs Jahren zusammen arbeiten (in dieser Branche sicherlich eine Ewigkeit), täuscht niemals darüber hinweg, dass sie den anderen ohne zu Zögern ans Messer liefern würden, um selbst heil davon zu kommen. Und wenn sie mal nicht mit- oder gegeneinander ums Überleben strampeln, spielen sie Erste Welt, Herren über Erfolg und Scheitern, erniedrigen Einheimische, kaufen ihre Damen fürs abendliche Vergnügen, führen sich auf wie Kolonialherren, ein bisschen Saufen, ein bisschen Koksen, ein bisschen Vögeln und ein bisschen Kotzen, und da soll noch einer sagen, die Leute können nicht feiern…
Ich weiß nicht, welche Bedeutung es haben mag (oder ob überhaupt), dass die drei Protagonisten der Schönen Neuen Finanzwelt nun ausgerechnet Deutsche sind. Sie könnten sicherlich auch aus anderen Ländern der sogenannten zivilisierten westlichen Welt stammen, aber warum nicht aus unserem sauberen Musterländle. Die Zielrichtung dieses bösen, grotesken Kammerspiels geht aber wohl nicht primär in Richtung Deutschland, eher in die Richtung der gesamten Struktur, die diese drei Herrschaften so treffend repräsentieren. Die Gnadenlosigkeit des Kapitalismus macht vor nichts und niemandem halt, das haben wir mittlerweile auch kapiert, sie deformiert, sie korrumpiert, sie tyrannisiert, doch so originell und effektvoll wie hier haben wir die bittere Botschaft bislang selten übermittelt bekommen. Vor den Fenstern sehen wir nur Pappkulissen, die für irgendwelche Städte in irgendwelchen Ländern stehen und auch dafür, dass es unseren Helden total egal ist, wo sie sich gerade befinden, denn vor die Tür gehen sie eh nicht, man weiß schließlich nie, was man sich da draußen alles einfängt. Die Hotels und Zimmer sind komplett austauschbar, die uniformierten Lakaien ebenfalls (es mag Schattierungen in der Hautfarbe geben), unsere Helden konstruieren sich sowieso immer und überall ihren eigenen Kosmos.
Johannes Nabers Film stützt sich auf ein brillantes, scharf zugespitztes Drehbuch, seine stilsichere, pointierte Regie und vor allem auf das fulminante Spiel der drei brillanten Akteure, die perfekt besetzt sind und ihre Rollen mit großartiger Mischung aus Karikatur und tiefere Einsicht gestalten. In jeder Hinsicht also ein Erlebnis, zudem ein Film, den man aus Deutschland so noch nicht gesehen hat, natürlich absolut ein Film zur Zeit, wobei man so richtig befreit natürlich nicht darüber lachen mag. (11.6.)