Zulu von Jérôme Salle. Frankreich/Südafrika, 2013. Orlando Bloom, Forest Whitaker, Tanya van Graan, Patrick Lyster, Adrian Galley, Natasha Loring, Lise Slabber, Sven Ruygrok

   Erfreut stellen wir fest, dass Südafrika endlich in jeder Hinsicht in der modernen Zeit angekommen ist. Viereinhalb Jahrzehnte herrschten dort: Folter, Gewalt, Willkür, alles im Zeichen der weißen Herrenrasse, der es vor allem um den Erhalt ihrer Macht ging. Heute herrschen dort: Folter, Willkür, Gewalt, alles im Zeichen des neuen Brutalkapitalismus, und da geht’s nicht mehr allein um Macht, es geht vor allem um Geld. Und: Die Schwarzen dürfen endlich mittun! Wenn das kein Fortschritt ist… Natürlich ziehen die weißen Naziburen weiterhin an ihren Strippen und haben ihre widerwärtigen Pfoten überall drin, aber was Massaker und Gewalt angeht, gerne auch getarnt als Stammesfehden, haben die Eingeborenen gottlob aufgeholt. Wir sehen einen Polizeithriller aus Kapstadt und wir erkennen, dass er ebensogut in jeder anderen „zivilisierten“ Großstadt spielen könnte – schöne neue Welt, juchhe!

   Was sich anlässt wie der ganz normale tagtägliche und total vergebliche Kampf gegen Drogenbanden wirft bei näherer Recherche seinen Schatten zurück in die Zeit der Apartheid, wo burische Wissenschaftler an Substanzen zur Manipulation menschlichen Verhaltens arbeiteten mit dem Ziel, die niedere schwarze Rasse damit ein für allemal in den Griff zu bekommen, ganz einfach indem man sie sich selbst vernichten lässt. Diese Herrschaften sind nun immer noch aktiv, ihre Experimente an lebenden Menschen haben große Fortschritte gezeitigt, regelmäßig verschwinden Kinder aus den Townships auf Nimmerwiedersehen, wenn sie aber gefunden werden, zeigen sie Spuren fürchterlicher Gewalt, die sie sich womöglich selbst zugefügt haben. Drei Polizisten ziehen in die Schlacht, einer wird bald zerhackt und hinterlässt eine krebskranke Ehefrau, der zweite wirft all seine Mandela-Ideale von Versöhnung und Vernunft über Bord, als seine Mutter kaltblütig getötet wird, und der dritte hat schon lange keine Ideale mehr, säuft und vögelt rum, steht vor den Trümmern einer Ehe und hat auch nicht den Anspruch, sauber oder fair zu kämpfen. Man darf raten, wer am Schluss überlebt.

   Mag es viele thematische und symptomatische Übereinstimmungen mit US-amerikanischen Drogenkrimis geben, so macht das Setting Kapstadt doch den Unterschied ums Ganze. Die eine große Stärke dieses Films ist die Einbeziehung der Schauplätze zwischen den Blechhütten der Townships bis hin zu den obszönen Villen der Weißen, von dubiosen Nachtclubs bis zu Büros in Glastempeln hoch über der Stadt. Die grandiose Schönheit der Lage von oben kontrastiert mit Elend und maßloser Gewalt unten auf der Erde, und auch darin folgt “Zulu“ der Tradition des Film Noir aus den 40ern, wo L.A. oder New York eine ähnlich starke Rolle spielten. Natürlich ist es auch 2012 nicht egal, welche Hautfarbe man hat, natürlich entscheidet die Hautfarbe noch immer massiv über Perspektiven, Chancen, Schicksal, natürlich gibt’s die Townships noch immer und natürlich hat sich die Situation dort nicht wirklich verbessert. Wie in allen wirklich guten Großstadtkrimis bietet auch dieser Raum für ein gehöriges Stück Gesellschaftspolitik, und da in diesem Fall Subtilität nicht unbedingt das Mittel der Wahl ist, wird das sehr unverblümt und geradeaus vermittelt. Der idealistische, auf Besonnenheit setzende Ali (selbst ein Zulu) und der abgehalfterte Brian bilden ein starkes Team, das viel von der aktuellen Situation Südafrikas transportiert, und auch viel von dem, was aus Idealen und Vorsätzen werden kann. Wenn Ali am Ende seine Mama, eine starke Zulufrau, die wie viele andere an den modernen Zeiten zugrunde geht, beerdigen muss, ist es vorbei mit Mandelas Lehre von Vergebung, der er trotz traumatischer Erlebnisse zu Apartheidszeiten konsequent gefolgt war, da wird die große Wumme rausgeholt und auf geht’s zum Showdown nach Namibia, wo die Wüste einen weiteren spektakulären Schauplatz für das traurige, buchstäblich selbstmörderische Treiben der Kontrahenten abgibt. Das Bild des einst stolzen Stammesangehörigen, der erschöpft, dehydriert und ausgeblutet an einem toten Baum lehnt, nachdem er seinen Feind den weißen Mann in blinder Wut totgeschlagen hat, ist exemplarisch für die maßlose, sinnlose Brutalität der Welt.

 

   „Zulu“ ist dunkel, intensiv, sehr spannend und dennoch mit Zeit und Raum für Töne und Momente zwischendurch. Nicht nur eine Alternative zum westlichen Film Noir, sondern eine ganz wichtige Ergänzung, die uns daran erinnert, dass wir unsere selbstzerstörerische Form der Zivilisation auch anderswo etabliert haben, mit allem was dazugehört, allen Konsequenzen, aller Monstrosität. Kein Film für zarte Gemüter, und ob die zum Teil ordentlich krasse Gewaltdarstellung in diesem Umfang nötig ist, darf man diskutieren, aber wenn es um Südafrika geht, würde mich zunächst über ganz andere Dinge aufregen. Kurz, ein finster grausamer Film aus einem finster grausamen Land. (9.5.)