A perfect day von Fernando Léon de Aranoa. Spanien, 2015. Benicio del Toro, Tim Robbins, Mélanie Thierry, Olga Kurylenko, Fedja Štukan, Eldar Residovic, Sergi López

   Was fällt mir zu Filmen über den Balkankrieg ein – Irrsinn, Wahnwitz, Blut und Fanatismus und jede Menge Sinn für grotesken, sehr dunklen Humor. Dies letztere als die ausgewiesen einzig verbliebene Strategie, um dem ganzen Grauen irgendwie standhalten zu können, weil begreifen lässt es sich nicht, es sei denn, man hat die Menschheit insgesamt endgültig aufgegeben. Und ein reines Drama würde uns bleischwer auf den Kopf fallen und wäre wohl nicht zu ertragen, genau wie die Tatsache unerträglich ist, dass da mitten in Europa so etwas geschehen konnte, und niemand etwas getan hat. Aber klar - die Blauhelme…!

   Zwar wurde dieser Film von einem Spanier inszeniert, der sich bislang auch nicht gerade durch krass schwarzhumorige Werke hervorgetan hat, aber er schließt in vielerlei Hinsicht an vorangegangene Balkankriegsfilme an, ist vielleicht in grundsätzlichen Details nicht ganz so krass. Von daher wäre es mir, bei aller Wertschätzung für de Aranoa, der ja schon ganz fabelhafte Sachen gemacht hat, fast noch lieber gewesen, wenn ein Filmemacher aus der Region selbst zu Tat geschritten wäre, einfach aus Gründen der Authentizität. Aber egal, auch so ist ein wirklich sehenswerter Film daraus geworden, der mich mitten zwischen Lachen und Fassungslosigkeit erwischt hat, manchmal abwechselnd, manchmal aber auch im Zweiklang, der zum x-ten Mal die eine große, für immer unbeantwortbare Frage zurück lässt: Warum tun sich Menschen sowas an? Und hören nie auf damit?

   Wir sehen eine ziemlich bunte Truppe „Helfer ohne Grenzen“, die mitten durch das Kriegsgebiet kutschieren, um hier und dort einzugreifen, zu helfen eben. Zwei alte Haudegen, Mambrú und B, die sich ein Leben in Zivil und im „Frieden“ schon gar nicht mehr vorstellen können (obwohl der eine jetzt drauf und dran ist, eine richtig bürgerliche Existenz zu starten), dazu der Dolmetscher Damir, der sich zumeist zurückhält, dennoch deutlich stärker involviert ist, als man anfangs glaubt, und dazu die junge Französin Sophie, die noch eine Menge Idealismus und Engagement in die Schale wirft und den beiden schluffigen Herren immer mal ein wenig auf die Sprünge hilft. Komplettiert wird die Gruppe von Katya, einer Verflossenen Mambrús, prima und extrem attraktiver Eifersuchtsgrund für dessen aktuelle Freundin, die nur angereist ist, um den aktuellen Einsatz der Helfer ohne Grenzen zu „evaluieren“. Nun treibt mich allein diese Vokabel schon die Wände hoch, aber man kann sich das so richtig vorstellen, dass mitten im Krieg solche Leute unterwegs sind, die tatsächlich nichts anderes zu tun haben (und dafür auch noch bezahlt werden!), als anderen Leuten auf die Finger zu schauen (oh pardon, zu auditieren natürlich). Gibt’s im Frieden an jeder Ecke, warum also nicht auch im Krieg…

   Es geht nun konkret um vergiftete Brunnen, eine besonders nette Kriegstaktik, und in diesem Fall erfolgt die durch ein schwammige Leiche, die tief unten im Wasser dümpelt und eigentlich schnellstmöglich geborgen werden müsste. Ein Seil aber reißt, und ein zweites muss sehr aufwendig gesucht werden. Etliches geschieht auf der Suche danach, und als endlich doch alles regelt zu sein scheint, da tauchen unsere größten Helden, die Blauhelme auf, und verkünden das Inkrafttreten einer neuen Regelung, die die sofortige Bergung der Leiche leider unmöglich macht. Die Gruppe muss vor diesem Triumph der Bürokratie natürlich kapitulieren, allein die Natur greift ein, sendet einen gehörigen Platzregen, der den Fettsack nach oben schwemmt. Der gleiche Platzregen bedeutet für unsere Gruppe allerdings nichts Gutes, denn deren neuer Auftrag ist die Instandsetzung einer defekten Latrine im Flüchtlingslager, und angesichts des prasselnden Niederschlags erwartet alle nun die Aussicht, buchstäblich in einem Meer aus Scheiße schwimmen zu müssen. Ein perfekter Tag eben…

   Die idealistische, dünnhäutige, empathische Newcomerin Sophie wird den beiden abgeklärten, abgestumpften und in vieler Hinsicht total desillusionierten Herren Mambrú und B gegenübergestellt – eine sehr bewährte Konstellation, um den Wahnsinn der Welt zu versinnbildlichen. Das funktioniert hier bestens. Das Land ist karg, wüst, unzugänglich, die Ortschaften häufig halb zerstört, die Menschen hausen oft in Trümmern. Mienen können überall verbuddelt sein, das Trinkwasser wird systematisch vergiftet, und wenn ein Trupp einheimischer Milizen einen Bus voller männlicher Gefangener auslädt, darf man mit Recht das Schlimmste befürchten. Wer gestern noch in harmonischer Nachbarschaft miteinander gelebt hat, ist heute Todfeind, irgendeine Art von Zukunft scheint vollkommen ausgeschlossen, und  dann sind da ja auch noch all die Bürokraten und Blauhelme, die brav die Toten zählen und neue Erlässe fabrizieren und eifrig Statistiken führen – sich natürlich auch viele Gedanken machen, ob nun der Begriff Genozid auf das jüngste Massaker zutreffen mag oder vielleicht doch nicht. Wer hier nicht verrückt oder wenigstens ein bisschen sonderbar wird, muss schon von der ganz robusten Sorte sein, B jedenfalls ist ein bisschen sonderbar geworden, und Mambrú versucht, eben dem zu entwischen, indem er zur Abwechslung mal ein solides Privatleben an den Start bringt. Sophie wird mehr als einmal in ihren Grundwerten erschüttert, Katya will ständig cool und unantastbar bleiben, und Damir erreicht in dem Moment sein grenze, da ihm ein finsterer Milizionär erklärt, er kenne seine Familie und wisse, wo sie lebe, eine Drohung, die in diesem Teil der Welt mit Sicherheit sehr ernst zu nehmen ist. De Aranoa erzählt insgesamt eher Episoden, weniger eine stringente Story, weswegen die Dramaturgie an sich mehrmals hängt und die Erzählung hier und da unübersichtlich wird, was mich persönlich wenig gestört hat. Genau die Episoden zählen, die einzelnen Begegnungen und Ereignisse, mal von wilder, grimmiger Komik, mal einfach nur traurig und zum Verzweifeln. Diese Mischung balanciert traditionell auf schmalem Grat, ich finde es hier aber wieder sehr gelungen und wirkungsvoll, zumal vorgetragen von exzellenten Schauspielern in Bestform, die auch die schrägsten Sachen raushauen, ohne eine Miene zu verziehen, wobei sich del Toro und Robbins natürlich sehr hervortun, während die Mädels oft genug damit beschäftigt sind, irgendwie die Fassung zu bewahren.

 

   Also ist dies einer jener Filme, in denen das Lachen nicht leicht fällt, fast widerwillig kommt, aber manchmal kann man einfach nicht anders. Was nichts damit zu tun hat, dass hier irgendwas grundsätzlich lustig ist – wenn man trotzdem lacht, dann wider besseres Wissen, und das ist schon sehr gekonnt gemacht. Das können die halt alle auf dem Balkan, und wahrscheinlich geht das Leben deswegen dort auch weiter – wie auch sonst…? (28.10.)