Mita Tova (Am Ende ein Fest) von Sharon Maymon und Tal Granit. Israel/BRD, 2015. Ze‘ev Revach, Levana Finkelstein, Aliza Rosen, Ilan Dar, Raffi Tavor, Hana Rieber, Shmuel Worf, Ruth Geller, Hilla Sarjon
Der Trailer weckte in mir noch den unguten Verdacht, dies könnte womöglich ein weiterer Wohlfühlfilm über eine fidele Rentnergang sein, die in Not geratenen Altersgenossen zu einem sanften Tod verhilft. Wie gut, dass ich doch nicht immer auf Trailer vertraue und mir wenigstens dann und wann mal ein eigenes Bild mache, denn ich hätte wahrlich etwas versäumt.
Einen Film nämlich, der natürlich nichts mit dem üblichen Wohlfühlgrusel gemein hat, sondern der mir thematisch und auch emotional ziemlich nahe steht. Weniger, weil sein Schauplatz im Wesentlichen ein Altenheim in Jerusalem ist, sondern viel eher, weil die Geschichte zentral um Fragen kreist, die mich beruflich extrem beschäftigen. Und die mich jeden Tag verfolgen und herausfordern. Und überhaupt.
In diesem Heim lebt unter anderem Yehezkel mit seiner Frau Levana. Er ist ein Bastler und Tüftler, der sich immer neue Gimmicks zur Erbauung der Umwelt ausdenkt, beispielsweise einen telefonischen Stimmenverzerrer, mit dessen Hilfe der Gott spielen und so verzweifelte Mitbewohner aufmuntern kann. Levana betrachtet die Kapriolen ihres Mannes mit nachsichtiger Entrüstung, stellt aber zugleich fest, dass sich unter ihrer gepflegten, kultivierten Fassade eine fortschreitende Demenz unbarmherzig ihre Bahn bricht. Als Yehezkels alter Freund Max, der seit langem schwer krank ist, immer elender dahinsiecht und seine Frau Yana diesen Zustand nicht ertragen kann und an der Haltung der Ärzte verzweifelt, ist der Hobbyingenieur gefragt. Der erfindet eine Apparatur, die es den Betroffenen selbst ermöglicht, auf Knopfdruck die letale Tropfenmischung in Gang zu setzen, womit zumindest der Tatbestand des direkten Mordes vermieden wäre. Die Aktion bleibt im Heim allerdings nicht unbemerkt, und so wird Yehezkel gemeinsam mit seinen drei Mitstreitern bald von weiteren Auftraggebern bedrängt und bringen auch einige Aufträge zum „Abschluss“, doch erst als Levana dem Alzheimer total anheimfällt, die eine oder andere Katastrophe so eben noch verhindert werden kann und es zum Heim keine wirkliche Alternative zu geben scheint, gerät er in wirkliche seelische Bedrängnis, weil er nun selbst direkt betroffen ist. Nun muss er selbst eine Entscheidung treffen und erkennen, wie unendlich schwer sie ist.
Schon lange davor wird aber sehr klar, dass hier keine netten Witzchen mit dem Thema Alter und Tod getrieben werden sollen. Was nicht heißt, dass der Film nicht seine komischen Momente hat, denn die hat er durchaus – trocken, forsch, frech und ein wenig makaber, aber auf keinen Fall denunzierend oder verharmlosend. Alter und schwere Krankheit sind kein Spaß, Leben im Heim auch nicht, und eine Ethik, die industriell lukratives Massensterben (sprich Krieg) gutheißt, den gnädigen Tod auf eigenen Wunsch aber strikt sanktioniert, schon erst recht nicht. Der Film macht in dieser Hinsicht kein großes Fass auf, doch solche Gedanken schwingen einfach mit, wenn man bedenkt, welche Risiken die Gruppe um Yehezkel auf sich nimmt, welche inneren Konflikte sie bewältigen muss, wie groß die Gefahr der Kriminalisierung ist, obwohl niemand von ihnen leichtfertig oder gar unlauter handelt und all ein intaktes Gewissen haben (auch wenn einer von ihnen sich zusätzlich ganz gern mit barer Münze beruhigt). Es geht um Fragen der Ethik, um Fragen der Verhältnismäßigkeiten, auch natürlich um die Frage, ob man gesellschaftlich irgendwann mal so weit sein wird, offen und ohne verlogene Bedenken über Leid und Tod zu sprechen und über Wege, beides abzukürzen, falls der Betroffene dies wünscht. Wobei für mich ganz klar ist, dass es hier nicht in erster Linie ums Sterben geht, sondern ums Leben, genauer um die Frage, wie man sein Leben zuende leben möchte und wie selbstbestimmt man letztlich noch ist, wenn es genau um dieses Ende geht. Ein Thema, das losgelöst von Israel auch in anderen Ländern kontrovers und leider sehr oft konservativ diskutiert wird. Die beiden Autoren/Regisseure haben dazu eine klare Meinung und vertreten diese in ihrem Film ganz unmissverständlich. Es geht im Besonderen um Würde – Würde im Alter, Würde im Kranksein, Würde im Gebrechlichsein, Würde im Dementsein, Würde im Nichtmehrlebenwollen, Würde in Liebe und Freundschaft, selbstverständlich auch für Homosexuelle, denn wir sehen hier ein Paar alter verliebter Männer, die ihre Liebe niemals offen leben konnten. Das Thema Würde streift eine Vielzahl von Aspekten, die hier zum Teil angesprochen werden, mal auf komische oder ironische Art, zumeist aber eher ernst und mit zunehmender Dauer auch zunehmend melancholisch. Das wirkt weder pathetisch noch übertrieben trübsinnig, sondern einfach nur angemessen, auch das sichtlich tief empfundene Mitgefühl wird nicht klebrig, was vor allem an den tollen Schauspielern liegt, die sowohl für das Komödiantische als auch das Tragische ein perfektes Gefühl zeigen, ihre sehr ausdrucksvollen Gesichter stark zur Geltung bringen und auch in Sachen Körpersprache (hier im ganz buchstäblichen Sinne zu verstehen) einiges in die Waagschale legen können.
Ein Film, der mehr möchte als nur gefällig zu unterhalten, der zur Auseinandersetzung einlädt, in dem Zug auch die eine oder andere kleine Provokation einstreut, die uns ganz nebenbei dazu bringen, das eigene Bild vom Alter auf die Probe zu stellen. Mir hat gefallen, wie auf teilweise verschmitzte, weitgehend aber sehr eindringliche Art und Weise eine dezidiert ethische Frage behandelt wird. Mir hat besonders gefallen, dass die Filmemacher sich selbst nicht einfach raushalten, wie es so oft und gern praktiziert wird, sondern Stellung beziehen und sich klar für ein Sterben in Würde und Selbstbestimmung aussprechen, und dies weder leichtfertig noch populistisch oder polemisch tun. Eindrucksvolles israelisches Kino, das doch tatsächlich mal gar nichts mit dem Nahostkonflikt zu tun hat. (24.9.)