Far from the madding crowd (Am grünen Rand der Welt) von Thomas Vinterberg. England, 2015. Carey Mulligan, Matthias Schoenaerts, Michael Sheen, Tom Sturridge, Juno Temple

   Thomas Hardys Romane haben das Privileg, von einigen prominenten Filmemachern bearbeitet worden zu sein – John Schlesinger, Roman Polanski, Michael Winterbottom, um nur die geläufigsten zu nennen – und jedesmal ist Außerordentliches entstanden. Thomas Vinterberg hat sich nun mit seiner Neuauflage der Madding Crowd in die illustre Gesellschaft eingereiht, und er hat sich vollumfänglich als würdig erwiesen, denn „außerordentlich“ ist wohl das mindeste, was ich über diesen großartigen Film sagen könnte. Man kommt raus aus dem Kino, blendet das elendig mittelmäßige Bielefeld um sich herum einfach mal aus und sagt sich: Jau, genau für solche Filme gibt’s die große Leinwand, und zwar die ganz große – anders ist das gar nicht denkbar!

   Die Geschichte der stolzen, eigenwilligen, kapriziösen Bathsheba Everdene und ihrer drei Bewunderer ist natürlich heute nicht mehr das, was sie vor einhundertvierzig Jahren war, aber es reicht allemal für eine launige Romanze vor ländlichem Hintergrund über die Ab- und Umwege der Liebe und einige ironische Variationen über Geschlechterrollen, und spätestens hier holt uns der alte Hardy wieder ein, denn genau an dieser Stelle lagen natürlich auch seine Interessen, die er mal dramatisch, mal auch komödiantisch umgesetzt hat. Wir sehen Bathsheba, die Erbin eines großen Farmanwesens, bei dem Versuch, ihre eigene Herrin zu sein und vor allem auch zu bleiben, eine starke, im wahrsten Sinne des Wortes zupackende Frau, die keinem Konflikt aus dem Wege geht, sich auch inmitten einer tief verkrusteten Männergesellschaft zu behaupten weiß, die in Liebesdingen um jeden Preis autonom, frei und selbstbestimmt bleiben möchte (und vor lauter Selbstbestimmung den einzigen Mann, der sie wirklich liebt und den sie wirklich liebt, ewig lange warten lässt), und die dennoch immer wieder in klassisches Rollenverhalten zurückfällt, was den besonderen Reiz ihrer Person ausmacht, was eben auch das ironische Potential dieser wendungsreichen Vierecksgeschichte ausmacht. Den bodenständigen Schäfer Gabriel Oak lässt sie abblitzen, weil er sie viel zu früh mit seinem Antrag überrumpelt, den braven Gutsbesitzer Boldwood von nebenan lässt sie etwas länger zappeln, dann aber auch abblitzen, weil sie ihn ganz einfach nicht liebt und ihr eine reine Zweckehe dann doch nicht reicht, nur den schneidigen Uniformträger Frank Troy lässt sie ran, weil er sie mal eben im Sturm erobert, doch diese Gefühle kühlen auf beiden Seiten schnell ab, spätestens als Frank ihr die Beziehung zu einer anderen Frau eröffnen muss, die nun auch noch sein Kind austrägt. Bathsheba ist Frau genug, um die Vorzüge dieser drei Herren praktisch für sich nutzbar zu machen – der treue Oak geht ihr in Alltagsdingen tatkräftig zur Hand und ist als Fels in der Brandung immer im Hintergrund, Boldwood verspricht ihr ein gesichertes Leben in sozial mehr als akzeptabler Position, und Troy ist, um es mal modern und geradeaus zusagen, gut für’s Bett, denn solche Bedürfnisse gibt es ja auch (selbst im viktorianischen England…). Bathsheba ist mal eine selbstbewusste, energische Farmerin, mal ein kleines albernes Mädchen, das den Männern Streiche spielt wie alle kleine Mädchen, und das wie alle kleinen Mädchen nicht bedenkt, was es damit anrichtet. Sie möchte stets alles und jeden unter Kontrolle haben, am meisten natürlich sich selbst, und scheitert genau daran regelmäßig, ist immer wieder überrascht von der Macht ihrer eigenen Gefühle und dem Eigenleben, das sie mitunter entwickeln. Das trifft vor allem auf ihre Beziehung zu Troy zu, der mit schnieker Uniform und blankem Säbel vor ihr herumwirbelt, der zügig und ohne Umschweife direkt auf den Punkt kommt, von dem sie sich wie ein Teenager beeindrucken lässt, obwohl ein anderer Teil von ihr durchaus ahnt, dass er nichts als ein schneidiger Blender ist, ein Mann mit wenig Qualitäten, erst recht im Vergleich zu den anderen beiden, die sich standhaft um sie bemühen. Gabriel Oak bleibt durch eine Unwetter fest an ihrer Seite, betrachtet die Konkurrenten zwar aufmerksam und durchaus nicht gleichgültig, doch er stellt seine eigenen Gefühle zurück, arbeitet für sie, und will sich schließlich ins Gelobte Land (sprich Amerika) aufmachen, womit er sie dann endlich dazu bringt, den einen Schritt auf ihn zuzugehen und ihn zu einem zweiten Antrag zu ermutigen. Boldwood macht aus seiner Lage keinen Hehl, ein Mann mittleren Alters mit viel Besitz aber ohne Frau und Familie und Liebe, er öffnet sich ihr erstaunlich offen, macht sich verletzlich, opfert sich letztlich sogar für sie, indem er Troy beseitigt, kann ihr im Grunde aber nicht mehr bieten als ein solides, sicheres Leben in angesehener Position, und was den meisten Frauen in vergleichbarer Lage sicherlich genug gewesen wäre, reicht ihr eben nicht, sie will mehr, und damit ist sie den Frauen ihrer Zeit und gerade in dieser ländlichen, ausgesprochen konservativen Umgebung sicherlich ein Stück voraus.

   Thomas Vinterberg nimmt diesen Stoff auf die ganz konventionelle Weise – nix mehr mit Dogma und Handkamera und Naturlicht undsoweiter -, das hier ist ein Kostümdrama der klassischen Sorte, und die große Kunst liegt darin, ein solch klassisches Kostümdrama so zu gestalten, dass wir es auch heute noch gern sehen. Genau das ist hier gelungen. Die Substanz des Romans wird erhalten und vollkommen in Bilder umgesetzt, zumal das Drehbuch ihm in weiten Teilen sehr genau folgt, die Charaktere haben Tiefe und Format, das ländliche Milieu wird einprägsam und mit wenigen Strichen präzis gezeichnet. Zwei Stunden lang bin ich voll drin in der Geschichte, dem Setting, der Zeit, nehme abwechselnd amüsiert und bewegt Anteil an Bathshebas launischem Geschick, die zwei Stunden vergehen ohne einen Moment der Leere oder Langeweile, genau wie Hardy geht die Exposition zügig voran, und die Spannung bleibt bis zuletzt erhalten. Das ist souverän, brillant erzählt, völlig geradeaus und ernsthaft, keine modischen Mätzchen, auch keine Versuche, das Ganze in die Nähe der üblichen Kostümwohlfühlfilme zu rücken, englische Literatur light für die zahlungskräftige Merlotfraktion, die natürlich wieder zahlreich vertreten war. Die Schauspieler sind wunderbar und können den Vergleich mit dem 67er Film bestens standhalten, obwohl damals ja eine extrem illustre Riege aufgeboten wurde (Julie Christie, Alan Bates, Peter Finch, Terence Stamp). Besonders Carey Mulligan bietet eine sehenswerte, extrem feinnervige Performance, die wohl zurecht über die von Julie Christie gestellt wird, die den Film über die gesamte Distanz trägt, und sie und Matthias Schoenaerts (der direkt zum Kostümstar wird) entwickeln eine derart intensive Chemie, dass jede ihrer gemeinsamen Szenen der reine Genuss ist. Und wo ich schon beim Genuss bin: Die Bilder sind natürlich ganz große Klasse, der absolute Optikrausch, ein zweistündiges Schwelgen in romantischer Landschafts-, Stimmungs- und Lichtmalerei, ganz ungeniert auf „schön“ gemacht, aber komischerweise weder kitschig und platt oder bieder, und das ist dann wirklich ganz große Kunst. Was Vinterberg und seine Kamerafrau Charlotte Bruus Christensen, die ja auch schon „Die Jagd“ für ihn sehr eindrucksvoll fotografierte, hier gezaubert haben, ist schlicht grandios, sofern man für Tableaus dieser Art empfänglich ist. Aber solche Bilder gehören einfach zu solch einer Geschichte, und da werde ich dann auch mal ganz altmodisch.

 

   Kurz und gut: Bisher einer der schönsten Filme des Jahres, eine der schönsten britischen Literaturverfilmungen seit werweißwann, die vollkommene Alternative zum elendig mittelmäßigen Bielefeld, aber das sagte ich wohl schon… (20.7.)