Amy von Asif Kapadia. England, 2015.
Tja, Amy Winehouse. Ich bin immer ziemlich ratlos, wenn ich solche Geschichten sehe oder lese, weiß nicht so recht, wie ich mich gefühlsmäßig dazu verhalten soll. Ein Leben von vielen, ein Beispiel unter hunderten. Live fast, love hard, die young oder so. It’s only rock’n roll. There’s no business like show business. The needle and the damage done. Burning the candle at both ends. Tragödie oder Verschwendung? Mutwillen, Leichtsinn oder nur Dummheit, Naivität? Klar denkt man an all die anderen berühmten Musiker, die früh dahingingen, die Hendrix, Jones, Morrisons, Joplins, Cobains undsoweiter – alle diese Herrschaften haben es nicht über die 27 hinaus geschafft, muss eine ganz schön hohe Hürde sein...
Amy Winehouse hat eine Lebensgeschichte wie ein Setzkasten – jedes Element, jedes Klischee an seinem Platz, und darin liegt schon eine gewisse Tragik. Die großartige Begabung, die tiefgreifende Labilität, die klaffende Diskrepanz zwischen der öffentlichen, forschen, coolen Person und der privaten, verletzlichen, sensiblen Person, die problematische Familie, die Abwesenheit des Vaters, der frühe Ruhm, der überwältigende Erfolg, der Zugriff der Industrie und der Medien, die vielen Männer, die eine Ehe mit dem falschen, der sie zwar nicht mit Drogen bekannt macht, den Lebensstil aber definitiv etabliert, die erste tiefe Krise, die zunehmende Bulimie, noch mehr Ruhm mit der zweiten Platte, Preise, internationaler Jetset, noch intensiverer Zugriff der Industrie und der Medien, der langsame, unaufhaltsame Absturz, immer wieder Drogen, Alkohol, genüsslich ausgeschlachtete Zusammenbrüche vor allen Leuten, und niemand kann sie retten, bis sie 2011 schließlich tot ist, von aller Welt natürlich groß betrauert, denn so hübsch sich ihre Skandale auch verkauft haben mochten, das hat dann doch niemand gewollt...
„Amy“ erfindet das Biopic-Pulver nicht gerade neu. Er profitiert davon, dass sehr viel aus Amys Leben in den Jahren ab 2003 in irgendeiner Form als Bildmaterial vorliegt, kann also eine üppige Fülle authentischen Materials aus privaten und öffentlichen Quellen anbieten und dazu im Off jede Menge Wegbegleiter zu Wort kommen lassen, Manager, Freundinnen, den Ehemann, die Eltern, andere Musiker, Bodyguards etc. Ein paar TV-Auftritte und Konzertausschnitte dürfen natürlich auch nicht fehlen, und all das ist irgendwie schon gekonnt montiert, und auf jeden Fall kommen Amys grandiose Qualitäten als Sängerin, Showstar und Songschreiberin eindrucksvoll zur Geltung, vieles jedoch bleibt unscharf, vielleicht aus Diskretion, sicherlich aber auch aus einer grundsätzlichen Bravheit, die den Film durchgehend auszeichnet. Der gesamte Showbiz kommt äußerst glimpflich davon, kaum eine kritische Stimme wird hier laut, auch das gefräßige parasitäre Paparazzigeschmeiß hätte durchaus mal eine dezidierte Würdigung verdient gehabt, ebenso wie all die anderen, die von Amy reichlich profitiert, sie teilweise sicherlich auch ausgenutzt, ausgesaugt haben. Der Ehemann ist der Böse (wohl auch nicht zu Unrecht), und der Pappi sieht anfangs auch nicht gut aus, obwohl er sich in den letzten Jahren ja sehr engagiert um Amys Belange kümmert (aus welchen Motiven auch immer). Asif Kapadia appelliert deutlich mehr an unsere Emotionen, möchte bewegen, rühren, tut das auch, vor allem in jenen Szenen, die eine hilflose, kranke, erschütternd zerrüttete Amy in den Fängen der zynischen, sensationsgeilen Öffentlichkeit zeigen und die deutlich machen, wie schnell diese Öffentlichkeit bereit ist, sich gegen den gestern noch heiß geliebten Star zu wenden, wenn der es wagt, Schwächen zu zeigen, gar öffentlich aus der Rolle fällt und auch sichtlich an dieser Rolle krankt. Ich wäre allerdings schon an ein wenig mehr kontroversem, anregenden, auch kritischen Gedankengut interessiert gewesen. Dies ist sowohl formal als auch inhaltlich eine Biographie, die absolut TV-kompatibel ist, die uns den Star Amy Winehouse zwar ein Stück weit näher bringt, die aber nie so richtig zum Kern der Sache vordringt. Vielleicht möchte ich einmal verstehen, warum solche Lebensgeschichten so laufen wie diese hier. Vielleicht gibt’s da aber auch nichts zu verstehen, und das ist das Schlimmste dran. Was mich betrifft, werden ihre beiden Platten deutlich mehr bleibenden Wert haben als dieser Film, der in seinen Absichten womöglich ehrenwert ist, insgesamt aber nicht das leistet, was ich von einem wirklich guten Dokumentarfilm erwarte. (6.8.)