Anni felici von Daniele Luchetti. Italien, 2013. Kim Rossi Stuart, Micaela Ramazotti, Samuel Garofalo, Niccolò Calvagna, Martina Gedeck, Benedetta Buccellato, Pia Engleberth

   Knapp zwei Jahre nach seiner italienischen Premiere kommt der Film also auch zu uns. Nach „Mein Bruder ist ein Einzelkind“ der zweite Luchetti-Film, an den ich mich erinnere, obwohl der Mann schon mehr als zehn inszeniert hat und in Italien ein äußerst anerkannter Regisseur ist. Die Alpen können halt manchmal sehr hoch sein. Empörung darüber, dass uns jeder Hollywoodschund quasi noch im Rohschnitt zugemutet wird, und die Perlen aus der Nachbarschaft nur dann laufen, wenn‘s gerade mal ne Lücke im Spielplan gibt? Nein, Dankbarkeit Leute, Dank-bar-keit… („Morgen sind wir tolerant…“)

   Dario erzählt von seiner Familie im Jahre 1974. Das waren eigentlich glückliche Jahre, sagt er, nur dass niemand es damals bemerkte. Seine Familie, das ist in erster Linie Papa Guido, ein ehrgeiziger römischer Künstler, der gern der Avantgarde zugehörig sein möchte und zu diesem Zwecke allerlei exzentrische Dinge in seinem Atelier anstellt. Dinge mit vorwiegend unbekleideten jungen Damen, die gelegentlich wie zufällig auch in seinem Bette landen, was ihm aber nichts bedeutet, denn er liebt nur seine Serena. Eine schöne Frau, die sich ganz der Rolle der Künstlerfrau verschrieben hat, die aber mehr und mehr unter Eifersucht leidet und darunter, dass ihr Guido sie als ernstzunehmende Stimme offenbar nicht hören will. Da Papa seinen Bohemien-Lebensstil durchaus nicht ändern will, gerät die Ehe tiefer und tiefer in die Krise. Man schlägt sich, man verträgt sich, doch Mamas Stimmung wird zunehmend düster und Papas Haltung zunehmend ruppig. Zwei egozentrische Menschen, die so sehr mit sich und ihrer Beziehung beschäftigt sind, dass für Kinder eigentlich gar kein Platz ist. Es gibt aber zwei, Dario und seinen kleinen Bruder Paolo, die irgendwie versuchen, mit- und durchzukommen, die sich an das tägliche Theater fast schon gewöhnt haben und vor allem von der Hilfe der warmherzigen Oma mütterlicherseits profitieren, die ihnen immer mal was zusteckt, da Papa mit seiner Kunst so wenig verdient, dass sie gerade mal durch den Alltag kommen und Mama ja nur Künstlerfrau ist. Serena lässt sich schließlich von der Galeristin Helke zu einer Frauenreise in die Camargue überreden, wo Dario erste Kontakte zum anderen Geschlecht knüpft, und Serena und Helke eine Liebesaffäre anfangen, die Serena nutzt, um sich von Guido zu trennen. Die Eltern trennen sich endlich, finden gelegentlich mal wieder zusammen, doch ist Serena nun stark genug, ihren eigenen Weg zu gehen. Und Dario? Der springt eines Tages am Hafen total frustriert ins Wasser und ertrinkt fast, kann gerade noch von Guido und Serena gerettet werden, und dieses eine Mal ist er zufrieden, weil er die volle Aufmerksamkeit seiner Eltern hat. Das nennt er dann ein glückliches Jahr…

   Statt der zu erwartenden Bitterkeit also italienisches Temperament, große römische Inszenierung, alles ganz im bekannten Gefühlsmodus zwischen inniger Liebe und innigem Hass. Die Jungs sind hin- und hergeworfen zwischen ihren Eltern, werden durchaus zwischendurch mal geherzt und geliebt, dann aber auch wieder vergessen und zu Randfiguren, Zuschauern ihres selbstsüchtigen Ehetheaters degradiert. Man mag ihnen irgendwie gar nicht böse sein, und auch Dario ist ihnen offenkundig nicht böse, sieht sie scheinbar auch eher als Opfer ihrer Instinkte und Emotionen, und muss dennoch selbst ein Drama inszenieren, um einmal wirklich wahrgenommen zu werden. Ansonsten sind sein Bruder und er damit beschäftigt, die Eskapaden des Papas vor der Mama zu verheimlichen, was mit schöner Regelmäßigkeit daneben geht und mit ebenso schöner Regelmäßigkeit zur nächsten Szene führt. Dario wird in Frankreich mal gefragt, zu wem er ziehen würde, wenn die Eltern sich scheiden ließen, und er kann und will die Frage nicht beantworten. Die beiden Jungs landen dann wohl doch bei der Mama und werden auch weiterhin hin- und hergerissen bleiben. Vielleicht versteht Dario seine abschließende Bemerkung auch so, dass Guido und Serena ihr eigentliches Glück gar nicht sehen konnten, nicht zu schätzen wussten und sich selbst im Wege standen, statt ihr Leben miteinander und der Familie zu genießen. Die konstante finanzielle Knappheit scheint nämlich nicht das Problem zu sein, damit hat man sich arrangiert, das Problem liegt einzig zwischen Guido und Serena, die miteinander nicht können, ohne einander aber auch nicht. 

   Luchetti, der bereits mit seinem oben genannten Film einen sehr italienischen Blick auf eine sehr italienische Familie zeigt, haut inszenatorisch gar nicht so sehr auf die Pauke, muss er ja auch nicht, denn die beteiligten Figuren tun schon genug, um das notwendige Maß an Drama aufzubringen. Er betrachtet alle Hauptfiguren mit sichtlicher Zuneigung, auch die kapriziösen Eltern, die mit Kim Rossi Stuart und Micaela Ramazotti zwei ebenso attraktive wie einfühlsame Darsteller fanden. Das grandiose italienische Flair stellt sich praktisch von ganz alleine ein, die wilden 70er werden in all ihren überschwänglichen Farben und Formen wieder schauerlich real, und vor allem balanciert Luchetti warmen Humor und tieferliegenden Ernst so perfekt, dass uns beides nicht entgeht und wir abwechselnd amüsiert und bewegt zuschauen. Wunderbarstes italienisches Kino also, so wie ich es mag, und folglich: Danke, dass wir den Film überhaupt sehen können, danke!!! (1.9.)