Big Eyes von Tim Burton. USA/Kanada, 2014. Amy Adams, Christoph Waltz, Krysten Ritter, Madeleine Arthur, Danny Huston, John Polito, Delaney Raye
Die großen Augen aus dem Filmtitel sind das prägende Stilmerkmal der Malerin Margaret Ulbrich. Sie versucht Ende der 50er als frisch getrennte, alleinerziehende Mutter in San Francisco Fuß zu fassen, indem sie ihre auffälligen Kinderporträts auf öffentlichen Kunstmärkten feilbietet. Am Stand nebenan preist ein Mann namens Walter Keane seine original Pariser Straßenimpressionen an, rutscht dann rüber zu der schüchternen blonden Mutter, und bald ist aus Margaret Ulbrich Margaret Keane geworden. Eher zufällig entdeckt Keane, dass die riesigen traurigen Rehaugen bei den Leuten ankommen, und da er sich von jeher aufs Reden und vor allem Überreden versteht, tritt sich in kürzerer Zeit ein waschechter Boom los. Die Bilder verkaufen sich in Form von Postern und anderen Oberflächen wie verrückt, und 1964 sind sie gar auf der Weltausstellung in New York Thema. Margaret selbst hat von diesem völlig überraschenden Boom gar nichts, denn ihr Gatte hat alsbald erkannt, dass er sich besser ums Marketing kümmert und zu diesem Zwecke selbst als der Künstler auftritt, während sie daheim heimlich im Atelier die Bilder malt, die dann unter seinem Namen hundertfach verscheuert werden. Alle werden belogen – die Kunden, die Öffentlichkeit, das Feuilleton, die Freunde und Bekannte und sogar Margarets Tochter Jane, die einst ihr erstes Model gewesen war und die ebenfalls nichts von dem Geheimnis erfahren darf. Gerade daran trägt Margaret schwer, und natürlich wird sie nie recht glücklich mit der Tatsache, dass er all den Ruhm einheimst, während sie das graue Mäuschen bleibt. Früher oder später jedoch wird der Druck zu groß, muss das Wasser überkochen. Walter wird immer herrischer, unberechenbarer, größenwahnsinniger, und sie entdeckt zudem, dass er auch nicht die Pariser Bilder gemalt hat, dass er nicht mal in Paris war und ganz gewiss kein Maler ist, und als er sie schließlich handgreiflich bedroht, schnappt sie sich Jane und flüchtet nach Hawaii, dem Paradies ihrer Hochzeitsreise. Dort sammelt sie mit Unterstützung der Zeugen Jehovas (!) ihren Mut und strengt einen Prozess gegen Walter an, den dieser zu einer grotesken Show entgleiten lässt und folglich verliert. Er stirbt in hohem Alter verarmt, sie malt bis heute weiter und wie man liest, immer noch ihre großäugigen Kitschsachen. Wir sehen sie im Abspann, eine fröhlich dreinblickende alte Dame zusammen mit Amy Adams auf der Bank.
Burton porträtiert zunächst eine Frau und Künstlerin, dann eine Ehe, dann aber auch eine Kunstszene, die bald zum Kunstmarkt wird, auf dem die gleichen Regeln gelten wie auf jedem anderen Markt auch: Man kann aus Scheiße Schokolade machen, wenn man es nur richtig anstellt. Und Walter Keane weiß genau, wie man das macht, wie man sich an Leute ranschmeißt, wie man sie belabert, belagert, wie man ihnen schmeichelt, wie man sich unaufhörlich ins Licht setzt, bis die Leute einen nicht mehr ignorieren können. Ist der Trend erstmal im Gange, heißt es, so schnell und so viel wie möglich vom selben Zeug zu produzieren, um die Nachfrage zu bedienen. Um Qualität kümmert sich kein Mensch, es geht und die Trademark, darum, einen Keane an der Wand hängen zu haben. Sogar Andy Warhol konzediert artig, irgendwas müsse ja wohl dran sein an den Bildern, wenn so viele Leute sie kaufen. Promis wollen porträtiert werden, Politiker kriegen auch ein Gemälde mit nach Haus, und auch wenn der Chefkritiker der New York Times Gift und Galle spuckt und sich der Galerist von gegenüber fassungslos die Haare rauft, das Ganze hätte immer so weiter gehen können, wenn Keane nicht alles nur auf Lug und Trug gebaut hätte. In dem Moment, da er zu gierig wurde und sein Charme umschlug in Aggressivität, hatte er verloren, vorausgesetzt, dass Margaret endlich den Schneid haben würde, ihn öffentlich anzuprangern. Weshalb sie mehr als zehn Jahre dafür gebraucht hat, bleibt ein wenig unklar, mag in ihrem grundsätzlich defensiven, unsicheren Wesen begründet liegen, doch dies ist kein psychologischer Film, dies ist eher eine Komödie mit tragischen und grotesken Untertönen. Keanes rastlose Energie treibt die Ereignisse an, er setzt die unheilvolle Dynamik in Gang, die er letztlich zu kontrollieren imstande ist, als sein Lügengebäude langsam aber sicher über ihm zusammenstürzt. Er ist ein Fälscher, ein Trickser, ein Blender, Charmeur und Egozentriker, der beim geringsten Widerstand sofort sein hässliches Gesicht zeigt. Im Gegensatz zu der brav blonden Margaret ein sprichwörtlich schillernder Charakter, der Katalysator des Films, aber sowie Waltz ihn darbietet, habe ich mein Problem damit. Eine überbordende Solonummer randvoll mit schmierigen Grimassen und Gesten und dazu noch dem furchtbaren Schmäh in der Stimme, viel eher eine Karikatur als eine ernsthafte Darstellung, und entweder hat Burton das selbst so gewollt oder er hat Waltz ganz und gar nicht im Griff gehabt, was ich mir jetzt nicht wirklich vorstellen kann, denn Burton ist ja nicht gerade ein Anfänger in seinem Metier. Was ihn aber dazu bewogen haben mag, Waltz dermaßen die Zügel schießen zu lassen, verstehe ich nicht, denn sein total überdrehtes Getue hat zumindest bei mir dafür gesorgt, dass ich mich kaum wirklich mit Keane auseinandersetzen konnte. Dies wird gerade im Kontrast zu Amy Adams‘ wie gewohnt fein ausgewogener Darbietung deutlich. Was mich angeht, so hat der Film unter diesem massiven Ungleichgewicht gelitten, er ist streckenweise recht komisch, andere, ernsthaftere Töne jedoch können nicht zur Geltung kommen, da Waltz so fürchterlich übertreibt. Schade irgendwie, denn die Story an sich ist schön skurril, eine kuriose Fußnote aus der jüngeren Kunstgeschichte, und mit einigem Bemühen hätte man sogar noch ein paar Betrachtungen zum Thema „die Frau als Künstlerin“ einbringen können. Das ist hier bestenfalls im Ansatz gelungen, wird zwischendurch mal kurz angetippt, sodass ich sagen würde, dass Burton einiges von seinem Potential verschenkt hat. Und dass der Waltz auch ganz anders kann und gar nicht immer so manieriert auftreten muss wie bei Tarantino oder hier, das hat er doch längst schon bewiesen. (31.5.)