Boy 7 von Özgür Yıldırım. BRD, 2015. David Kross, Emilia Schüle, Ben Münchow, Jens Harzer, Liv Lisa Fries, Jörg Hartmann, Buddy Ogün, David Berton
Sam hat Mist gebaut und wird verknackt zu einigen Monaten in einem Resozialisierungsprojekt mit dem bedrohlichen Namen „Kooperative X“. Dass es dort nicht mit rechten Dingen zugeht, kann man sich gleich denken (zumal die Geschichte mehr oder weniger von hinten aufgerollt wird), und dass die Visionen des gutmeinenden Anstaltsleiters, der aus seinen Jungs und Mädels am liebsten erfolgreiche und kompetente Mitglieder der Gesellschaft formen möchte, von dem fiesen Typen mit den nach hinten gegelten Haaren missbraucht werden, ist bald ebenso klar. Es geht im Kern um eine menschliche Urangst, die Angst vor der Fremdsteuerung, der Fremdbestimmung, der Willenlosigkeit, dem Missbrauch der Klontechnologie. Genau dies geschieht hier, doch mit Hilfe des tapferen Girl 8 kann Sam alias Boy 7 die Machenschaften durchkreuzen.
Ein Sci-Fi-Werk aus deutschen Landen ist zunächst mal eine Seltenheit, und mich hat gereizt, nachzuschauen, wie hierzulande das Genre genutzt werden kann. Der Begriff der Dystopie geistert durch einige Rezensionen, und da denke ich an Filme wie Lars Kraumes „Die kommenden Tage“, die sich auf diesem Gebiet schon mit sehr beachtlichem Resultat versucht haben. „Boy 7“ tut dies auch, vielleicht nicht in jeder Hinsicht ganz so überzeugend, aber trotzdem: Ich finde den Film sehr spannend und solide gemacht, nicht irgendwie bahnbrechend oder revolutionär, aber auf jeden Fall sehr ansehnlich und für meinen Geschmack in jeder Hinsicht auf Augenhöhe mit internationalen Produktionen. Er entstand sehr deutlich erkennbar nach einer Buchvorlage, die sich in erster Linie an jugendliche Leser richtet, und so würde ich seine gravierendste Schwäche auch in der reichlich holzschnittartigen Figurenzeichnung sehen, die Gut und Böse schon rein äußerlich sichtbar werden lässt und einfach nicht auf der Höhe dessen ist, was ein anspruchsvoller, komplexer Unterhaltungsfilm mit dem Willen zur politischen Botschaft bieten sollte. Auch der Film ist sicherlich nicht als tiefenbohrende, soziologisch fundierte Zukunftsphantasie für Erwachsene gedacht, sondern zu allererst als Unterhaltungsstück, und als solches wartet er mit den gängigen Methoden auf, die heutzutage nun mal üblich sind, um uns zu unterhalten. Daran ist zunächst mal nichts falsch, wenn das Ganze nur nicht allzu banal oder flach ist, und das sehe ich in diesem Fall nicht. Die Schauspieler sind durchweg exzellent und überaus präsent, die Konstruktion des Drehbuchs ist meiner Meinung nach hier und da ein wenig überkompliziert, doch die intensive Kameraarbeit, die atmosphärische Dichte und das hohe Erzähltempo machen vieles wieder wett und haben dafür gesorgt, dass ich mich zu keinem Zeitpunkt gelangweilt habe.
Und wenn ich das so schreibe, hat das noch eine andere Bewandtnis, denn ich war tatsächlich abends zur besten Sendezeit ganz allein im großen Popcornsaal. Ein eigenartiges Gefühl, und auch ziemlich traurig und auch ziemlich symptomatisch. Hätte es sich um eine Hollywoodproduktion gehandelt, wäre das garantiert nicht passiert, so aber wird der Film nach nur sieben oder acht Vorstellungen aus Bielefeld verschwinden, und vermutlich wird es ihm in den meisten anderen Mittelklassestädten ähnlich ergehen. Und das obwohl sich der Regisseur, wenn man der einschlägigen Presse glauben darf, nichts weniger vorgenommen hat, als das Genre hierzulande ganz neu aufzustellen. Apropos Presse: Genau hier scheint das Problem zu liegen. Ich las einen höhnischen und typisch herablassenden Verriss in der „Zeit“, der kennzeichnend dafür ist, wie man in der BRD mit einheimischen Filmproduktionen ins Gericht geht. Ich bin weißgott weit davon entfernt, deutsche Filme per se in Schutz zu nehmen, habe aber Jahr für Jahr mit schöner Regelmäßigkeit feststellen dürfen, dass deutsche Filme genauso gut oder schlecht sind wie alle anderen auch, sprich, sie haben genau wie alle anderen eine faire Chance bei der Kritik verdient. Kriegen sie aber nicht. Unserem Scheißfeuilleton kann man es nämlich gar nicht recht machen. Entweder sie machen den Film runter, weil er bieder und provinziell und technisch nicht auf internationalem Standard ist. Oder sie machen ihn runter, weil er sich dem internationalen Standard anbiedert und nur kommerzielle Durchschnittsware bietet. Sie machen ihn runter, wenn er zu schwer und kopflastig ist. Oder sie machen ihn runter, wenn er zu seicht und glatt ist (so wie in der „Zeit“ zu „Boy 7“). Egal weshalb, runter machen sie ihn auf jeden Fall. So sind wir halt, gelt? Manchmal ist es regelrecht zum Speien. Wie gesagt, „Boy 7“ erfindet das Pulver absolut nicht neu und ist zusammengefasst eher guter Durchschnitt, aber auch nicht weniger, und wenn man dann liest, wie so ein „Zeit“-Schreiberling über ihn herfällt, fragt man sich schon, wieviel Freud noch durch unsere Schreibstuben geistern mag. Über einen vergleichbaren US-Film (und da gibt’s so einige) würde sich kein Schwein dermaßen ereifern, aber an unsere deutschen Produktionen werden halt immer ganz andere Maßstäbe angelegt. Nur welche, weiß keiner so genau. Hauptsache verreißen, alles klar. Naja, und die Zuschauer tun ihr übriges, und den Film in möglichst kurzer Zeit der DVD-Auswertung zuzuführen. Nur gleichzeitig jammert dann irgendwo wieder irgendjemand über den geringen Stellenwert, den der deutsche Film im eigenen Lande innehat und vergleicht zum Beispiel mit Frankreich, wo bekanntlich die Liebe zum Kino sehr sprichwörtlich ist. Vielleicht sollten sich diese Jammerlappen einfach mal fragen, woran oder genauer gesagt, an wem das wohl liegen könnte… (24.8.)