Carol von Todd Haynes. USA, 2015. Cate Blanchett, Rooney Mara, Sarah Paulson, Kyle Chandler, Jake Lacey, Corey Michael Smith
Vor mehr als zehn Jahren hat Todd Haynes sich schon mal an ein Melodrama im klassischen 50er-Jahre-Stil herangewagt, und mit “Far from heaven” eine wirklich kunst- und stilvolle Hommage zustande gebracht. Jetzt bewegt er sich noch mal auf mittlerweile vertrautem Terrain, und nochmal mit tollem Erfolg. „Carol“ ist ein hinreißender Liebesfilm, ganz einfach, ganz unspektakulär, und vielleicht gerade deshalb ein reiner Genuss. Entstanden nach einem Roman von Patricia Highsmith (den sie einst in den 50ern unter Pseudonym veröffentlichte, was an sich schon Aussage genug ist), und wenn ich‘s nicht zuvor gelesen hätte, wäre ich wohl nicht darauf gekommen, ertappte mich aber ständig dabei, auf die langsame doch unaufhaltsame Eskalation zu warten, auf die eine fiese Intrige, auf den finalen Schicksalsschlag, den typisch sardonischen Blick in menschliche Abgründe. Doch Todd Haynes ist auch diesmal nicht auf Effekte aus, und das hat mir besonders gefallen, wie schon in all seinen früheren Filmen.
Carol ist eine Frau irgendwo in den Vierzigern, ziemlich schick verheiratet, gern in mondänen Pelz gewandet und mit einer Tochter, die bislang das einzige ist, was die marode Ehe mit dem stockigen Langweiler Harge aufrechterhält. Nun aber steht doch die Scheidung bevor, und unversehens wird das Kind zur Manövriermasse, denn Harge beantragt unerwartet das alleinige Sorgerecht, weil er, wie man später erfährt, Carol eine frühere, „unmoralische“ Beziehung zu einer anderen Frau vorwirft. Er bekommt ungewollt neuen Auftrieb, als Carol die junge Verkäuferin Therese kennenlernt und sofort von ihr fasziniert ist. Therese zögert, geht dann aber auf Carols Annäherung ein, und die beiden unternehmen eine Autotour Richtung Chicago. Unterwegs erfährt Carol von Harges Absichten und reist sofort zurück. Ein bitterer Kampf um das Sorgerecht geht los, und Therese wird in den Hintergrund gedrängt, die beiden Frauen haben längere Zeit keinen Kontakt mehr zueinander. Carol versucht zunächst, wieder auf heile Familie zu machen und sich bei den unerträglich hochnäsigen Schwiegereltern anzubiedern, ist aber schließlich der erbärmlichen, entwürdigenden Feilscherei um das Kind müde und schlägt einen Deal vor, der Harge das Sorgerecht zubilligt und ihr uneingeschränktes Besuchsrecht. Danach ruft sie Therese an und schlägt ein Treffen vor. Therese lehnt zuerst Carols Vorschlag ab, sie könne zu ihr in ihre große Wohnung ziehen, doch dann macht Therese doch wieder einen Schritt auf sie zu.
Und so endet die Geschichte mit einem zart angedeuteten Happy End, was in den moralisch so korrekten 50ern natürlich noch ein veritabler Affront war, und heutzutage in unseren coolen, aufgeklärten und ach so liberalen Zeiten natürlich nicht mehr um den Schlaf bringt. Zwei Frauen, die sich lieben, so what? Und dennoch – wer sich bei youtube Ausschnitte aus aktuelleren US-Talkshows ansieht, wird sofort mitkriegen, dass es immer noch zuerst um die eine Sexszene geht, die sich hier zwischen den beiden abspielt, die eine kurze Szene, die nur einen kleinen Bruchteil der zwei Stunden einnimmt und bei weitem nicht die wichtigste des Films ist, sondern lediglich klarmacht, dass Carol und Therese auch eine durchaus körperliche Dimension hat (was wir uns aber auch so schon hätten denken können). Nach wie vor sind unsere Zeiten so, dass Blutmatsch und Gedärme kiloweise durchs Bild klatschen und niemand sich ereifert, während ein einziger blanker Busen sofort zum Tagesgespräch wird, und beide Darstellerinnen tatsächlich so etwas wie Rechenschaft abzulegen haben, wie es denn für sie war, diese Szene zu drehen. Soviel zum Thema aufgeklärt und liberal…
Das interessiert mich an diesem Film aber nur am Rande. Was mich wesentlich stärker beeindruckt, ist die souveräne, ganz sichere und konsequente Weise, in der Haynes mit dem Genre umgeht und wirklich ein ungeniert altmodisches Melodrama inszeniert, das sich lediglich die Freiheit nimmt, den „skandallösen“ Liebenden seine volle Zuneigung und Solidarität auszusprechen und den einfältigen Spießer Harge und die Seinen ins Unrecht zu setzen. Großartig die Szene, in der Carol all ihre Kraft zusammennimmt und sich aus dem schäbigen Gerangel um ein unschuldiges Kind zurückzieht, um dann im letzten Moment doch noch mal die Krallen auszufahren und ihm klarzumachen dass er, sollte er nicht auf ihren Vorschlag eingehen, mit Konsequenzen zu rechnen hätte, da sie offenbar Kenntnisse über gewisse Geschäfte hat, die ihm nachhaltig schaden könnten. Sie mag sich nicht länger erniedrigen, mag auch nicht ihre Liebe zu Therese verleugnen, nur um den bürgerlichen Normen gerecht zu werden und damit weiterhin einen Anspruch auf die geheiligte Mutterrolle zu behalten. Ihr Befreiungsschlag lässt Harge sprachlos und offenbar auch etwas beeindruckt zurück, und ebnet ihr zugleich den Weg zurück zu Therese, falls sie noch möchte. Therese, die von Anfang an die Zurückhaltende, die eher Passive, Unentschlossene war, und die immer wieder halbherzig versucht, mit Jungs was anzufangen, hat sich mittlerweile von Image der kleinen grauen Maus emanzipiert und eine vielversprechende Laufbahn als Fotografin in Aussicht. Das Happy End besteht also weniger darin, dass die beiden wahrscheinlich wieder zusammenfinden, sondern dass es diesmal eine Beziehung auf Augenhöhe sein wird, in der Therese ihre eigenen Entscheidungen trifft und vertritt. Haynes erzählt die Geschichte in gemessenem Tempo, gibt den Situationen viel Zeit zur Entfaltung, gibt vor allem der Chemie zwischen den Personen viel Zeit zur Entfaltung, was bei den beiden Hauptdarstellerinnen phänomenale Wirkung hat. Cate Blanchett und Rooney Mara spielen derart brillant und intensiv zusammen, dass ich eigentlich am liebsten nur ihnen zuschauen wollte. Ohne in endlosem Zwiegespräch sonderlich viel von sich preiszugeben, entwickeln beide ihre Figuren auf einer ganz anderen Ebene, operieren mit Mimik, Körpersprache, auch mit Kleidung und Haltung, und bieten so eines der eindrucksvollsten Duos, das ich seit langem erlebt habe. Hier teilen sich zwei Frauen weniger durch Worte mit, viel eher durch Blicke, Gesten, Nähe oder Distanz, und Haynes zieht sich ganz zurück, lässt Blanchett und Mara volle Entfaltung. Ihre gemeinsame Magie wird unterfüttert von betont altmodisch „schönen“ Bildern und ebensolcher Musik, die uns übrigens daran erinnert, dass Musik auch heutzutage noch haargenau so gefühlsverstärkend und auch haargenau so aufdringlich eingesetzt wird wie vor fünfzig, sechzig Jahren. Geändert haben sich eigentlich nur die Kostüme, die hier mit besonderer Bedeutung aufgeladen werden, wie schon erwähnt. Die beiden also machen den Film zu einem besonders sehenswerten Ereignis, einem Film, der Gefühle nicht ausstellen muss, der sie tatsächlich durch die beiden Protagonistinnen verkörpert und der so viel Vertrauen zu ihnen hat, sich ganz von ihnen tragen zu lassen – und genau das tun sie. Great stuff! (22.12.)