Coconut Hero von Florian Cossen. Kanada/BRD, 2015. Alex Ozerov, Bea Santos, Krista Bridges, Sebastian Schipper, Jim Annan, R.D. Reid

   Mike hat’s nicht leicht: Ursprünglich hieß er Burger mit Nachnamen, dann, als der Herr Erzeuger sich davongemacht und die Mutter wieder ihren Mädchennamen einsetzte, hieß er auf einmal Tyson, was alles natürlich nur noch schlimmer machte. Und ihn zum Nerd und Mobbingopfer par excellence. Mama daheim ist keine große Hilfe – frustriert, weil ihr Frank sie schnöde sitzen ließ, schnoddrig im Umgang  und nicht gerade von überwältigender Empathie, schlägt sich als Friseurin mehr schlecht als recht durch. Als ihr Mike sich eines Tages mit einem Gewehr zu erschießen versucht, nimmt sie das irgendwie persönlich und kommt nicht im Traum auf die Idee, nach den Gründen zu fragen. Außerdem schafft es Mike als einer unter Hundert, diese Sorte Suizid zu verbocken und halb daneben zu schießen. Er ist weiterhin fest entschlossen, aus dem Leben zu entscheiden und erhält ganz unverhofft Auftrieb, als er die Diagnose Hirntumor bekommt, die eigentlich anstehende Operation natürlich rundheraus ablehnt und fortan mit neuem Auftrieb dem Tod entgegen sieht. Das unerwartete Auftauchen seines Erzeugers bestätigt ihn eher noch in seinem Willen, denn zunächst bringt Frank nur Ärger und Disharmonie in den heimischen Haushalt. Er lässt sich auf eine Gruppentherapie zur Schöpfung neuer Hoffnung ein und lernt dort Miranda kennen, die die Gruppe leitet. Sie ist klasse, er verliebt sich sofort in sie und will plötzlich nicht mehr ganz so dringend sterben. Doch dann kommt sie bei einem Autounfall ums Leben, nachdem die beiden zusammen weggefahren waren und eine schöne Zeit zusammen verbracht haben. Gerade als man denkt, naja, dann wird er ihr jetzt wohl folgen, erklärt er der Mama, er werde der OP zustimmen, und als er zum zweiten Mal mit einem Kopfverband aus der Narkose aufwacht, stehen die Eltern gemeinsam am Bett, und später kann er seiner Miranda auch ein Abschiedsliedchen am Grab singen.

 

   All dies spielt sich ab mitten in den kanadischen Wäldern, also vor ganz viel Wald. Und sieht haargenau so aus wie ein klassischer amerikanischer Indiefilm. Dass der ausgerechnet von einem deutschen Regisseur inszeniert und von einer deutschen Autorin geschrieben wurde, ist mir zumindest während des Zuschauens nicht aufgefallen. Die beiden treffen perfekt den richtigen Ton, die Mischung aus skurrilem Humor, liebevoller Personenzeichnung und durchaus ernsthaftem Grundthema. Nur weil Mike ein schräger Typ mit schrägen Meinungen und Interessen ist, bedeutet das ja nicht, dass sein Anliegen, seine Frage nicht relevant ist. Er sucht Rat bei der Mama, die auf solche Themen aber irgendwie nicht so recht eingehen kann, eher von der praktischen Fraktion ist. Er sucht Rat beim Krankenhausseelsorger, der ihm zwar nett zuhört, letztlich aber auch nur die gewöhnlichen Jesus-liebt-dich-Phrasen abruft und auch nicht recht erkennt, welche Bewandtnis es mit Mikes Fragen hat. Er sucht Rat beim lokalen Bestatter, der zwar geschmeichelt ist, dass ein so junger Kerl Interesse für seine Arbeit und seine Ware zeigt, der aber andererseits entschieden der Meinung ist, dass einer wie Mike leben und mit dem Tod noch nichts zu schaffen haben sollte. Nur bei Miranda sucht er keinen Rat, da läuft die Verständigung auf anderen Bahnen, wenn man bei Jungs überhaupt von sowas wie Verständigung reden kann. Frank versucht‘s mit echter nordischer Männerkumpanei (also schießen oder angeln, mehr Möglichkeiten hat man da oben in den Wäldern scheinbar nicht), aber Mike ist eben ein wenig anders, und nur Miranda erkennt das und tastet sich langsam an den introvertierten, sperrigen Sechzehnjährigen heran. Ihre gemeinsamen Szenen sind von besonderer Delikatesse, weil auch die beiden Schauspieler wunderbar miteinander harmonieren, und sie sich anbahnende Liebesgeschichte keineswegs hastig oder überdeutlich angebahnt wird, im Gegenteil, bevor sich mehr tut als eine Umarmung im kühlen See, wird sie auf der Landstraße von einem Auto totgefahren, dem einzigen Auto wahrscheinlich, das dort am Tag überhaupt durchkommt! Cossen und seine Autorin Elena von Saucken trauen sich auch den ein oder anderen ziemlich makabren Scherz, was dem Film eine hübsche Unberechenbarkeit mitgibt. Ansonsten läuft das meiste im Modus der nebenbei eingespielten Low-Fi-Songs ab, die ich in dieser Konzentration nicht ganz so gern höre. Gerade wenn ich an Kanada denke, fallen mir etliche bessere Alternativen ein! Aber alles in allem eben ein waschechter Indiefilm: Sympathisch, schrullig, originell was Mensch und Milieu angeht und als Hommage an das Leben und die Liebe allemal tauglich. Interessant eben, dass ein deutsches Buch-und-Regie-Team ohne jede Schwere auskommt, schön zugleich, dass es eben auch so geht. In ihrem ersten Film hatte es die beiden nach Buenos Aires verschlagen, jetzt der waldige Norden, mal sehen, aus welcher Ecke wir als nächstes von ihnen hören. (21.8.)