Das ewige Leben von Wolfgang Murnberger. Österreich/BRD, 2014. Josef Hader, Tobias Moretti, Nora von Waldstätten, Roland Düringer, Margarethe Tiesel, Christopher Schärf, Johannes Silberschneider

   Jetzt ist schon wieder etwas passiert: Der Brenner zieht sich aus Wien zurück weil totaler Schiffbruch sprich U-Boot, und strandet in seinem Elternhaus in Graz/Puntigam obwohl Heimat immer ein bisschen ding. Dort findet er sich sehr bald mit einer Pistolenkugel im Schädel wieder quasi Blackout ob Selbstmordanschlag oder Mordversuch und sieht sich mit den Schatten seiner früheren Vergangenheit konfrontiert, denn einst, als er selbst noch Uniform trug, haben er und drei Kameraden praktisch aus Übermut einen Bankraub ausgeheckt, der ihnen buchstäblich um die Ohren flog. Und nun, fünfunddreißig Jahre später, werden die letzten fälligen Rechnungen beglichen.

   Eine gute Wolf-Haas-Verfilmung muss fürs Kino zweierlei leisten: Sie muss uns ein Restgefühl für den unnachahmlichen und manchmal ebenso nervtötenden Ösislang vermitteln, in dem Haas seine Geschichten erzählt, und sie muss zumindest versuchen, diese Geschichten halbwegs auf die Reihe zu kriegen, denn Haas tut uns den Gefallen meistens nicht, verliert sich in seinen schrägen Monologen und überlässt es uns, aus alledem irgendetwas Brauchbares zu destillieren. Wolfgang Murnberger hat sich dieser reizvollen Herausforderung nun schon zum vierten Mal gestellt und damit jedes Mal großen Erfolg gehabt – zu Recht, denn alle vier Filme sind äußerst sehenswert, sehr amüsant, seeehr österreichisch und vermutlich so angemessen wie ein Haas-Film überhaupt sein kann. Diesmal hört man den sonoren Erzähler nur ein einziges Mal, gleich zu Beginn, als er den Brenner nach Puntigam begleitet und ein wenig über Heimat spricht, diese kurze Leseprobe genügt aber auch schon, um uns den Tonfall der Haasschen Prosa gegenwärtig zu machen, ansonsten ist dies ein eigenständiger Kinofilm, an dem Haas erneut mitgewirkt hat, auch zum vierten Mal nun, weshalb man wohl davon ausgehen kann, dass er relativ einverstanden ist mit den Ergebnissen.

   Wie üblich bei Haas/Murnberger finden wir eine dichte Mischung aus schwarzem Humor und bitterem Ernst vor, diesmal eine Vergangenheitsaufarbeitung, die in ein handfestes Familiendrama mit möglichem Inzestanteil mündet. Was der Brenner offenbar über Jahrzehnte erfolgreich verdrängt hatte, bahnt sich nun mit Gewalt den Weg an die Oberfläche, ein Bankraub, ein Unfall, ein Urlaub in Jugoslawien, eine Blondine und drei Männer, und nun eine junge Frau, die die Tochter einer dieser drei Männer sein könnte, mit einem von ihnen aber leider auch verheiratet ist. Dieser Herr versucht mit allen Mitteln, unbescholten zu bleiben, denn er ist noch immer Brigadier bei der Grazer Polizei und hat dementsprechend nichts dagegen, den Verdacht auf ohnehin immer verdächtige Immigranten abzulenken und diese dann bei Bedarf eigenhändig tot zu machen. Manchmal hilft ihm auch die junge Frau (oder Tochter?), die nur daran interessiert ist, ihren Luxuslebensstil zu erhalten und vielleicht ihr Wolkenkuckucksheim, das sie nicht zu sehr zum Denken kommen lässt. Denn dumm ist sie ja nicht. Der Brenner, struppig, vergammelt, auch innerlich sehr beschädigt, stolpert in die unübersichtliche, finstere Szenerie wie ein Gespenst, geplagt von Kopfschmerzen, die spätestens dann berechtigt sind, als eine Pistole auf ihn abgefeuert wird. Die Selbstmordtheorie wird uns zwar erst suggeriert, später sind wir gemeinsam mit dem Brenner aber nicht mehr so sicher, denn erstens kann der seiner eigenen Wahrnehmung schon lang nicht mehr trauen, und zweitens ist der herzkranke Brigadier Aschenbrenner schon ein fieser Geselle, dem man allerhand zutraut. Die Ärztin Dr. Irrsiegler, sprich Gattin/Tochter vom Aschenbrenner, schwebt fast wie eine Lichtgestalt durch das zerschlissene Personal, zu dem sich auch noch die Mutter gesellt, jene Blondine, die einst im südlichen Sommer mit drei Jungs was hatte und selbst nicht weiß, wem sie die Tochter zu verdanken hat. Die sonnendurchfluteten Bilder aus den Rückblenden stehen in scharfem Kontrast zur tristen Gegenwart, in der selbst einige Schauwerte der schönen Stadt Graz bestenfalls morbiden Charme entfalten, denn die Einwohner sind einfach zu fest verstrickt in Schuld und Sühne. Der Brenner selbst ist wieder die gewohnte Mischung aus instinktiver Hartnäckigkeit und hilflos dahintreibendem Opfer -  der halbwegs lebensmüde Köter, der reflexhaft im Dreck stöbert, weil er aus eigener Erfahrung weiß, wo am meisten Unrat zu finden ist, dessen Restinstinkt ihn unfehlbar zu denen führt, die am meisten zu verbergen und zu verlieren haben, und der manchmal davonkommt mit dem Leben und nachher selbst nicht weiß, wie und warum. Immerhin ist so ein Köter zäh, und wenn sich am Ende zwei kranke alternde Männer über den Dächern der Stadt auf dem Schlossberg duellieren, kann man fast sicher sein, dass der Brenner nicht den Kürzeren ziehen wird. Josef Hader hat sich mittlerweile so tief reingearbeitet in dieses Universum, dass eine andere Besetzung für den Brenner schlicht unvorstellbar ist. Seine Mischung aus Melancholie, Bauernschläue, Resignation und zähem Überlebenswillen passt hundertprozentig, und flankiert wird er diesmal von einem großartig am Abgrund schwankenden Tobias Moretti und einer Nora von Waldstetten, hinter deren sexy Oberfläche man selbstverständlich etliche schwarze Löcher vermutet. Sie alle gehen mit viel Spaß zu Werke, dürfen auch mal kräftig auf die Sahne hauen, bleiben aber dennoch stets im Rahmen, sodass sich hier weit mehr ergibt als nur eine makabre Freakshow. Von Krimi direkt mag ich auch nicht sprechen, aber da hat Haas ja auch eine ganz eigene Kategorie aufgemacht und kann dem Genre nur ungefähr zugeordnet werden.

 

   Aber du musst eines wissen - Österreich: Die Würstchenbude direkt beim Friedhof heißt „Endstation“, wie auch sonst, und die Vorstellung vom ewigen Leben muss denen doch geradezu unerträglich sein, denn dann könnten sie ja niemals über den Tod philosophieren, und damit wäre eine maßgebliche Stütze ihrer gesamten Kultur futsch. (19.3.)