Loin des hommes (Den Menschen so fern) von David Oelhoffen. Frankreich, 2014. Viggo Mortensen, Reda Kateb, Djemel Barek, Vincent Martin, Nicolas Giraud, Angela Molina, Sonia Amori
Nicht mal zehn Jahre sind vergangen seit dem letzten Krieg, und der Mensch kann und will einfach nicht aufhören. Zum Beispiel in Algerien. Dort kämpft die nationale Befreiungsfront gegen die französischen Besatzer, Neutralität scheint unmöglich. Daru, der seit Kriegsende als Lehrer in den entlegenen Bergen arbeitet, hat jahrelang in Italien gegen die Faschisten gekämpft, nun möchte er sich am liebsten raushalten, doch die Leute lassen ihn nicht. Sie zwingen ihm einen Mann auf, der seinen Cousin erschossen hat und nun in der nächsten Stadt den Behörden übergeben werden soll. Die komplizierten und unerbittlichen Regeln der Blutrache sitzen den beiden Männern im Nacken, und Mohamed selbst drängt Daru, ihn zu begleiten, denn wenn er von den Franzosen hingerichtet wird, sei der Kreislauf der Rache wirkungsvoll durchbrochen. Daru geht widerwillig darauf ein, fordert Mohamed immer wieder auf, zu fliehen, seine Freiheit anzunehmen, doch Mohamed weiß, dass er vielleicht leben, aber nicht frei sein würde, weil die Familie des Toten ihm auf den Fersen bleiben würde. Die beiden geraten zwischen die Fronten, in brutale Kämpfe, erleben Gefangenschaft, Angst, Verletzungen des Kriegsrechts. Daru trifft alte Kameraden aus dem Krieg wieder, die nun gegen die Franzosen kämpfen. Er mag sich ihnen nicht anschließen, obwohl er ihrer Sache eher nahesteht, auch von den Franzosen distanziert er sich, die Männer erschießen, die sich bereits ergeben haben und die er für ihre Unmenschlichkeit verachtet. Er und Mohamed kommen jedoch davon und stehen schließlich an der letzten Kreuzung: Geradeaus geht’s in die Stadt zu den Behörden und zur Hinrichtung, rechts geht’s in die Wüste, wo ihn bald Nomaden aufnehmen würden, wo er ein neues Leben beginnen könnte. Mohamed geht zunächst ein paar Schritte geradeaus, biegt dann aber doch nach rechts. Daru weiß seinerseits, dass er sein bisheriges Leben nicht mehr weiterleben kann und die Schule verlassen muss, denn früher oder später würde ihn der Krieg dort einholen.
Nach einer Novelle von Albert Camus, dem alten Schülerquäler. Wenn man sich doll anstrengt, kann man Spuren seiner Philosophie in dieser Story finden, obwohl David Oelhoffen schon ein durch und durch filmisches Werk daraus gemacht hat, wenn man so will einen Abenteuer- oder Kriegsfilm mit intellektuellem Unterbau. Das ist nicht das schlechteste, und in dieser Umsetzung sowieso nicht. Mit Daru und Mohamed begegnen uns zwei starke, eindrucksvoll gespielte Charaktere, die im Laufe ihrer Reise durch leeres, karges Geröllgebirge Zeit haben, einander näher zu kommen und sich über ihre sehr verschiedenen Lebenseinstellungen auszutauschen. Mohamed erscheint uns als Fatalist, stark geprägt von seinen kulturellen Wurzeln vor allem dem Prinzip der Blutrache, das keine Milde kennt, keine Kompromisse zulässt und dem er sich nicht zu entziehen vermag. Er hat praktisch nur die Wahl, von wem er sich töten lassen will, wählt nun also die französischen Behörden, um weitere familiäre Racheaktionen zu vermeiden. Dass er sich am Schluss doch für das Leben entscheidet und nicht für den Tod, entspricht offenbar nicht der literarischen Vorlage, in der Mohamed in die Stadt geht statt in die Freiheit – die nach Camusscher Vorstellung ja auch nur eine scheinbare Freiheit ist. Daru ist eine Art Pied Noir, als Sohn andalusischer Eltern in Algerien geboren, von den Franzosen als Araber beschimpft, von den Arabern als Franzose, und dennoch lässt er keinen Zweifel daran, dass er hier zuhause ist. Den Kindern versucht er Wissen jenseits aller Ideologie zu vermitteln, von den hasserfüllten französischen Cliquen der Umgebung distanziert er sich deutlich, von den nicht minder gewaltbereiten arabischen Freiheitskämpfern aber auch, trotz seiner grundsätzlichen Sympathie für ihre Sache. Er hat seit zehn Jahren mit dem Krieg abgeschlossen und ist nun nicht mehr bereit, erneut zu kämpfen, egal für wen oder was. Als er einen arabischen Reitersmann in Notwehr erschießen muss, reagiert er untröstlich, weil er sich grundsätzlich dem Leben zugewandt und vom Tod abgewandt hat. Er trichtert Mohamed wieder und wieder ein, dass jeder frei wählen kann, wohin er sein Leben lenkt, ungeachtet aller äußeren Umstände, ungeachtet aller kultureller Restriktionen. Dieser von ihm immer wieder formulierte Glaube erhält am Schluss einen bitteren Dämpfer, als er die Schule verlässt, wohl wissend, dass ihm sowohl die Araber als auch die Franzosen von nun an misstrauen werden und er wohl auch die Rache von Mohameds Clan zu fürchten hat.
Eine in ruhigen Bildern gefilmte und in sehr gemessenem Tempo vorgetragene Meditation, angemessen vertont von Nick Cave und Warren Ellis, und optisch sehr eindrucksvoll umgesetzt in epischen Wüstenbildern, die immer wieder den Menschen in der großen, spröden Landschaft zeigen und die und sehr viel Zeit und Raum mit Mitdenken geben, was ich sehr angenehm fand. In vieler Hinsicht klassisches Erzählkino, manche mögen sich an Westernfilme erinnert fühlen, doch bleibt das Setting sehr konkret, und zumindest darin folgt der Film der Vorlage absolut getreu. Mir hat der Film gut gefallen, er ist bei aller Nachdenklichkeit nicht schwer oder pathetisch, lebt natürlich auch von Mortensens wie gewohnt sicherer, starker Präsenz und verläuft sich gottseidank auch nicht allzu sehr in den Tiefen des Camusschen Denkens – es reicht ja, wenn das den armen Französischschülern vorbehalten bleibt… (28.7.)