Que horas ela volta? (Der Sommer mit Mamã) von Anna Muylaert. Brasilien, 2014. Regina Casé, Camila Márdila, Michel Joelsas, Karine Teles, Lourenço Mutarelli, Helena Albergaria

   Der wie gewohnt nicht nur dösige sondern regelrecht irreführende deutsche Kinotitel hat die Wohlfühlfraktion dazu verleitet, hinzugehen, ihr Frascatiglas zu füllen und sich auf knapp zwei seichte, gefällige Stunden zu freuen. Bald jedoch schlichen sich erste Misstöne ein, und am Ende dann war man einer Meinung: Nein, das ist ja gar kein Wohlfühlfilm, der ist ja gar nicht so lustig. Fast hätte diese Entrüstung gereicht, mir den Kinobesuch dann doch noch zu versüßen, ich geb selbst aber gern zu, dass die einhundertzehn Minuten selbst mir reichlich lang erschienen und ich der Ansicht bin, dass das Potential zur garstigen Sozialsatire nicht völlig ausgeschöpft wurde.

   Ansatzweise aber durchaus: Val ist seit Jahren Haushälterin einer wohlhabenden Familie in São Paolo, der gute Geist, ohne den nichts läuft. Sie kocht, putzt und ist dem Söhnchen Fabinho eine liebevolle Ersatzmutter, denn Barbara, die Dame des Hauses ist in Sachen Mode unterwegs und vorwiegend mit sich selbst befasst, und Carlos, der Herr des Hauses ist sowieso zu rein gar nichts zu gebrauchen. Eine klare geregelte Frage von Klassen, oben und unten, Herr und Diener, und niemand der Beteiligten hat die Absicht, daran zu rütteln, auch Val nicht, die sich längst eingerichtet hat und der es nach eigenem Bekunden gut geht. Dann taucht nach zehn Jahren plötzlich ihre Tochter Jéssica auf, die bislang beim Vater lebte, die sich nun um einen Platz an der Uni bewirbt und kurzzeitig bei Val wohnen will, bis sie was eigenes gefunden hat. Augenblicklich gerät die fest gefügte Ordnung im Hause ins Wanken, niemand ist mehr an seinem Platz, Barbara reagiert standesgemäß mit Abwehr und Eifersucht, Carlos lässt sich von dem kessen Mädchen flugs den Kopf verdrehen, lässt sich gar zu einem Heiratsantrag hinreißen, Fabinho, der noch Jungfrau ist, betrachtet sie eher neugierig als eine fremde Spezies, und alles endet damit, dass Val von heute auf morgen kündigt, und zu ihrer Tochter in deren neue Wohnung zieht, um endlich für sie und ihren Enkelsohn da zu sein, von dessen Existenz sie noch gar nichts wusste.

 

   Anna Muylaerts offenkundige Absicht, mit den Mitteln der Komödie einen Film über eine Gesellschaft im Umbruch zu machen (so steht‘s jedenfalls großspurig im Internet formuliert), geht immerhin zum Teil auf. Die meisten der beteiligten Personen sind eher Typen als eigenständige Charaktere: Barbara ist die kaltherzige, arrogante Zicke, Carlos der phlegmatische Bonvivant, Fabinho das total verzogene Jüngelchen. Barbara lebt die Machtstrukturen ganz bewusst, Carlos lebt überhaupt nichts bewusst, und Fabinho braucht Val, damit er jemanden zum Kuscheln, Erzählen, Trösten und Einschlafen hat. Jeder benutzt sie auf seine Weise, und Val sieht darin ihre Aufgabe. Jéssicas Auftauchen bringt die Balance der vier Hausbewohner in Unordnung, denn sie akzeptiert die scheinbar gottgegebene Rangordnung nicht, nimmt sie scheinbar gar nicht zur Kenntnis, trinkt vom besten Saft, nascht vom besten Eis, okkupiert forsch das riesige, immer unbenutzte Gästezimmer, statt in Mamas muffiger Rumpelkammer auf dem Boden zu schlafen und, um allem die Krone aufzusetzen, landet tatsächlich im Pool, der natürlich nur Familienmitgliedern vorbehalten ist und nun durch den Kontakt mit einer Angehörigen der niederen Klasse kontaminiert ist. Barbara ruft angewidert sofort den Servicemann an, sie habe eine Ratte im Pool gesehen und das Wasser müsse erneuert werden. In solchen Momenten funktioniert der Film bestens, ist bissig, überzeichnet und dadurch klar und deutlich. Subtilität ist Muylaerts Mittel sowieso nicht, also kann sie ebensogut richtig auf die Sahne hauen, für mich kein Problem. Das große Problem liegt für mich in der Person Regina Casés, die in der Rolle der Val den Film total dominiert und hier als eine brasilianische Spielart der klassischen Volksschauspielerin auftritt (eine Art Anna Magnani aus São Paolo). Ich geb gern zu, dass mir dafür sowohl das Temperament als auch die Geduld fehlen, die südlichen Gene wahrscheinlich, jedenfalls hat mich ihr gestenreiches, übersprudelndes Getue schon nach einer halben Stunde diskret genervt, und bis zum Schluss ist es eher noch schlimmer geworden. Mag sein, dass die Dame in Brasilien ein großer Star ist, mag auch sein, dass der Typ Val Anna Muylaerts Konzept genau entspricht, mir war‘s einfach von allem zu viel, ich kann so viel Emphase und Getue nicht ertragen. Und da der Film unterm Strich mindestens zwanzig Minuten zu lang ist, empfand ich ihn schlussendlich eher als anstrengend denn als erheiternd oder gar erhellend. Vielleicht ist diese Sorte Volksstück in unseren nüchternen Breitengraden nicht gut aufgehoben… (26.8.)