Der Staat gegen Fritz Bauer von Lars Kraume. BRD, 2015. Burghart Klaußner, Ronald Zehrfeld, Jörg Schüttauf, Sebastian Blomberg, Lilith Stangenberg, Laura Tonke, Götz Schubert, Cornelia Gröschel, Paulus Manker
Ist schon kurios, dass sich Fritz Bauer in den letzten fünf Jahren regelrecht zum Bildschirmstar entwickelt zu haben scheint. Vor fünf Jahren wird er von Axel Milberg im TV-Film „Eichmanns Ende“ dargestellt, letztes Jahr von Gert Voß in dem vortrefflichen „Im Labyrinth des Schweigens“, und nun von Burghart Klaußner im nicht weniger vortrefflichen „Der Staat gegen Fritz Bauer“. So erfreulich es einerseits scheint, dass ein kämpferischer, überzeugter Demokrat und Aufklärer endlich die ihm zustehende Wertschätzung erfährt, so eigentümlich und beinahe verdächtig mutet es andererseits an. Geht Vergangenheitsbewältigung im Kino nur mit dem Sicherheitsabstand von fünf und mehr Jahrzehnten? Wieso mussten mehr als vierzig Jahre seit seinem Tod und mehr als fünfzig Jahren ach den Schlüsselereignissen vergehen, bis sich auch das Kino endlich zu einer Kenntnisnahme aufrafft? Mit Eichmann verhält es sich im Übrigen auch nicht viel anders, da könnte man noch den von-Trotta-Film von 2012 hinzufügen, von anderen Produktionen abgesehen, und schon ergibt sich eine auffällige Verdichtung in den letzten zehn Jahren, so als sei jetzt erst der Zeitpunkt gekommen, aus gebührender Distanz, einen klaren und dennoch engagierten Blick auf die Dinge zu werfen.
Das hat natürlich nichts mit den Qualitäten dieses Films zu tun, denn die sind ganz offensichtlich. Zeitlich einige Jahre vor „Im Labyrinth“ angesiedelt beschreibt er Bauers Versuche, in seinem Amt als hessischer Generalstaatsanwalt gegen den Widerstand in Politik und Justiz und des BND illustre Naziverbrecher aufzuspüren und zu richten, allen voran Eichmann. Er wendet sich an den Mossad, riskiert damit eine Klage wegen Landesverrats, trägt maßgeblich dazu bei, dass Eichmann in Buenos Aires gefangen und nach Israel gebracht werden kann. Entgegen seiner dringenden Bitte, ihn in der BRD vor Gericht zu stellen, wird Eichmann wie bekannt in Jerusalem verurteilt und gehenkt. Bauer sieht dadurch seine Chance verpasst, die bundesdeutsche Öffentlichkeit endlich mit ihrer Vergangenheit zu konfrontieren, doch dieses Drama ist nicht das einzige, von dem hier erzählt wird.
Ein anderes, mehr privates Drama betrifft Angermann, einen jungen Staatsanwalt (eine Art Gegenstück zu Alexander Fehling im „Labyrinth“), der Bauer gern folgen und unterstützen möchte, aber folgenschwer zerrissen ist zwischen den Forderungen seiner Ehefrau und seiner schwulen Neigung, die er mit einem Nachtclubtransvestiten auszuleben versucht. Bauer versteht ihn – der ebenfalls latent schwule Mittfünfziger, dessen Ehe auch immer nur Alibifunktion hatte, weiß, welchen Preis man für das Versteckspiel bezahlen muss. Als Angermann erpresst wird, gegen Bauer auszusagen oder selbst ins Gefängnis zu gehen, stellt er sich der Polizei, um seinen Mentor zu schützen. Bauer, der sich nach seinen Erfahrungen mit den Nazis geschworen hatte, niemals mehr vor einer Autorität in die Knie zu gehen, ist nun entschlossener denn je, seinen Weg weiter zu gehen, sich von der „Niederlage“ im Fall Eichmann nicht entmutigen zu lassen und sich nun daran zu machen, einen großen, den ersten Auschwitz-Prozess auf die Beine zu stellen. „Im Labyrinth“ erzählt dann genau von dieser Zeit.
Und nochmal die 50er – mögen die Dekors teilweise ein wenig zu clean und gelackt erscheinen, so vermittelt auch Lars Kraume einen wahrhaft erschütternd intensiven Einblick in ein Jahrzehnt, das einem scheinbar nur zwei Möglichkeiten bot: Entweder man ging total auf in der fröhlichen, unbeschwerten, betont unpolitischen Wirtschaftswundermentalität, oder man erstickte dran. Die optimale Fassade bestand aus Scheitel mit Glas Wasser, korrektem Anzug mit Krawatte und repräsentativer Ehefrau und Mutter und möglichst zwei Kindern (am besten noch Junge und Mädchen) an der Seite, dazu eine adrett eingerichtete Wohnung mit schicker neuer Küche und Fernsehgerät und einem Auto deutscher Herstellung draußen vor der Tür. Es friert mich direkt beim Zuschauen, und ich fühle direkt diese grauenvolle Mischung aus Restauration, Regression und Aggression, die hinter den unscheinbaren Bürokratenfratzen lauert, und die vor nichts halt macht, wenn es nur darum geht, die Interessen der jungen Republik zu schützen. Natürlich waren all die tausende von „Alt“-Nazis ängstlich drauf bedacht, ihre lukrativen Posten, die ihnen die Adenauerzeit beschert hatte, nicht wieder zu verlieren, und da diese Herren häufig genug in sehr einflussreichen Positionen saßen, war an eine offensive, investigative Vergangenheitsbewältigung nicht im Ansatz zu denken. Einer wie Bauer musste zwangsläufig gegen Wände rennen, wieder und wieder, und sein jähzorniges, emotionales, oft auch unkontrolliertes Temperament machte es ihm sicherlich nicht leichter. Burghart Klaußners glänzendes Porträt ist durchaus kontrovers, komplex, vielgestaltig, zeigt einen Mann mit vielen Facetten und Dämonen, die ihn jenseits bewusster Steuerung vorantreiben. Seine provozierenden öffentlichen Erklärungen waren ein Affront gegen die widerliche Selbstzufriedenheit und träge Gleichgültigkeit des politischen Establishments, folglich gab es Anfeindungen, Drohungen, Schmähungen. Der BND heftet sich an seine Fersen, man versucht ihn zu isolieren, zu boykottieren, und der erwähnte „Fehltritt“ des jungen Kollegen soll ihm zum Verhängnis werden. Eichmanns Aussage vor einem bundesdeutschen Gericht wäre womöglich Dynamit und würde eine gesamte Kaste in höchste Gefahr bringen, also will niemand, dass er gefunden wird, schon gar nicht, dass er in die BRD zur Verhandlung gebracht wird. Außerdem floriert bereits das Geschäft mit deutschen Waffen die von den Israelis gern gekauft werden, und vor allem die Amis sind extrem darauf bedacht, eine stabile, berechenbare und willfährige Basis in Europa zu behalten, und deshalb stellt die Regierung schließlich auch keinen Auslieferungsantrag an Israel, damit das delikate Gleichgewicht bloß nicht ins Rutschen gerät.
All das ist drin in diesem Film und noch eine Menge mehr, und Kraume hat daraus eindrucksvoll spannendes, dichtes Kino gemacht, historisch faszinierend, politisch explizit, großartig gespielt und inszeniert. Und naja, was soll ich sagen, besser spät als nie, oder…? (1.10.)