Dheepan von Jacques Audiard. Frankreich, 2015. Antonythasan Jesuthasan, Kalieaswari Srinivasan, Claudine Vinasithambi, Vincent Rottiers, Marc Zinga 

   Dheepan, Yalini und Illayaal haben im Bürgerkrieg auf Sri Lanka alles verloren. Um als Flüchtlinge anderswo anerkannt zu werden, erhalten sie die Pässe einer toten Familie und reisen nun als Vater, Mutter, Tochter aus. Yalini will nach London, wo sie bereist Verwandte hat, Dheepan aber setzt sich durch, und sie landen in Paris in einem Ghetto in der Banlieue, wo er einen Hausmeisterjob erhält. Das Ghetto ist zweigeteilt – die eine Hälfte ist friedlich, die andere wird von einer Drogengang kontrolliert. Dheepan muss auch dort arbeiten und lernt schnell die Regeln. Illayaal geht zunächst widerwillig zur Schule und dient ihren „Eltern“ als Übersetzerin, da sie die Sprache schneller lernt. Dheepan drängt Yalini, auch arbeiten zu gehen, und so nimmt sie einen Job in der „schlechten“ Seite der Siedlung an, betreut einen älteren Araber in dessen Haushalt. Dessen Sohn kommt just aus dem Knast und übernimmt gleich wieder die Führung der lokalen Gang. Eine rivalisierende Gang bedrängt die Siedlung, Schüsse fallen, und die vom Krieg traumatisierten Flüchtlinge geraten in Panik. Yalini drängt erneut darauf, nach London weiter zu ziehen, doch Dheepan will nicht schon wieder fliehen. Erst versucht er, eine Art kampffreie Zone in der Siedlung zu schaffen, indem er eine weiße Linie auf den Rasen zieht. Als der Bandenkrieg weiter eskaliert und seien neue Familie in akute Gefahr gerät, greift der ehemalige Krieger der Tamil Tigers zu den Waffen und richtet ein Massaker an. Am Ende sieht man sie im Kreise von Yalinis Familie in London leben. Die beiden haben offenbar nun auch ein gemeinsames Kind.

 

   Ausnahmsweise macht der deutsch angehängte Titel mal Sinn, denn tatsächlich geht es sowohl um Dämonen als auch um Wunder. Nicht weniger als ein Wunder braucht es, um Dheepan und seine neue Familie aus der Hölle in Le Pré zu befreien, nachdem ihn seine inneren Dämonen scheinbar ausweglos in einen neuen Krieg versenkt haben. Ein Krieg, aus dem er sich zunächst herauszuhalten versucht, der nicht sein Krieg ist, was er Yalini auch klarzumachen versucht. Er ist nur fest entschlossen, auszuharren und nicht zu weichen, sich einen Platz in der neuen Welt zu erkämpfen. Seinen ehemaligen Oberst aus der tamilischen Befreiungsarmee, der ebenfalls nach Paris geflüchtet ist, lässt er abblitzen, als der versucht, ihn erneut für irgendwelche Aktionen einzuspannen – dies sei für ihn vorbei, erklärt er und lässt sich auch dafür verprügeln. Er hat diesem Krieg alles geopfert, hat alles verloren, doch nun steht ein neuer Krieg bevor, in den er sich schließlich doch mit blindwütiger Entschlossenheit stürzt und alle Gegner, gleich welcher Gang sie angehören, aus dem Weg ballert, um seine neue Familie zu schützen und zu retten. Dieser Instinkt, dieser enorme Trieb, wird besonders eindrucksvoll dargestellt. Er wartet unter Dheepans scheinbar ruhiger, fast unterwürfiger Oberfläche, drängt zwischendurch schon mal ansatzweise durch und entfaltet am Ende eine mörderische Wucht, die auch Dheepan selbst nicht unter Kontrolle hat. Sein Blutrausch ist der losgelassene Dämon, ein Dämon, der aus früheren Zeiten stammt und dessen Herkunft hier nur andeutungsweise erfasst wird, wenn etwa Yalini ihm vorwirft, er habe früher als Tamil Tiger selbst Frauen und Kinder umgebracht, was sehr wahrscheinlich auch den Tatsachen entspricht, von ihm nur nie bestätigt wird. Die übliche Täter-Opfer-Dualität, die gewöhnlich im Zusammenhang mit Flüchtlingsschicksalen aufgebaut wird, erfährt hier einen krassen Bruch, nachdem die ersten hundert Minuten durchaus noch in das Schema passen. Das Milieu ist trist, feindselig, jeder lebt für sich, die vielen hier auf engem Raum lebenden Ethnien raufen sich zwar oberflächlich und zweckdienlich zusammen, doch wenn es hart auf hart kommt, wird jeder versuchen, seine eigene Haut zuerst zu retten. Illayaal wird in der Schule zunächst ausgegrenzt (von anderen Mädchen mit Migrationshintergrund), kann darauf auch nur mit hilfloser Aggression reagieren, fasst in einer Integrationsklasse dann aber Fuß und arbeitet sich langsam aber sicher in das neue Leben hinein, nachdem sie angesichts von Krieg und Flucht zunächst fast sprachlos geblieben war. Yalini bleibt am längsten auf Distanz, will sich nicht integrieren, ist immer auf dem Sprung nach London, wo Verwandte leben, wo es vor allem eine tamilische Community gibt, ganz anders als in Le Pré, wo sie isoliert und verunsichert lebt. In heftigen Auseinandersetzungen mit Dheepan wirft sie ihm die Familienlüge vor, an die er sich klammert, die sie aber nicht länger aufrechterhalten will. Sie akzeptiert Illayaal lange nicht als Tochter, kann sich ihr nicht nähern, kann ihr keine Zuwendung geben, leidet selbst unter Einsamkeit und Kälte, bis sie sogar mit Dheepan schläft, ohne zunächst viel für ihn zu empfinden. Sie schleicht sich  davon und will nach London reisen, wird in letzter Minute von Dheepan abgefangen und gezwungen, ohne Pass weiter in Le Pré zu leben. So stehen die drei sowohl äußerlich als auch von innen unter sehr großem Druck, leben zudem noch mit grausamen Erinnerungen aus dem Krieg, der jedem von ihnen die Familie entrissen hat, und es scheint kaum denkbar, dass sich für sie eine Wendung zum Positiven ergeben könnte. Man könnte sicherlich mit einigem Recht diese abrupte Wendung am Schluss als absurd und unglaubwürdig abtun, man könnte sie aber auch als eine Art Gnadenakt verstehen, der mich fast als Audiards „Rost und Knochen“ erinnert, wo er seinem heftig gebeutelten Protagonisten ja ähnliches zubilligt. Nach dem Motto: Sie haben so viel durchgemacht, haben so viel gelitten, also gönnen wir ihnen die Chance auf ein neues, ein besseres Leben. Und nicht nur zur Weihnachtszeit war ich gern dazu bereit. Zumal der Film an sich sehr beeindruckend ist, sehr stark, intensiv, emotional aufwühlend und großartig gespielt von den drei tamilischen Hauptdarstellern, die die oft verzweifelte Situation der drei Flüchtlinge fast körperlich erfahrbar machen. Viel mehr als ein politisches ist dies ein humanistisches Statement, und natürlich angesichts der aktuellen Situation ein umso beachtenswerteres. Audiard bleibt ganz bei den Flüchtlingen selbst, leitet ihre dramatische Lage und ihre wiederkehrenden Krisen eher aus der eigenen Vergangenheit her, polemisiert nicht gegen Missstände in den aufnehmenden Ländern, bleibt hier erstaunlich abgewogen und sachlich. Dennoch wird hier nichts abgemildert, nichts geglättet oder beschönigt, der Film ist ruppig und rau, oft ähnlich unzugänglich und fremd wie seine drei Protagonisten, doch indem er ihnen nahe bleibt und auch ihre hart erarbeitete Annäherung geduldig verfolgt, erreicht er seine starke, eindringliche Wirkung. Großes, menschliches Kino. (11.12.)