A little chaos (Die Gärtnerin von Versailles) von Alan Rickman. England, 2014. Kate Winslet, Matthias Schoenaerts, Alan Rickman, Helen McCrory, Stanley Tucci, Jennifer Ehle, Steven Waddington
Eine Geschichte aus der Ära Ludwigs XIV.: Der eitle Sonnenkönig verlangt die Neu- bzw. Umgestaltung seiner allerheiligsten Gärten zu Versailles. Sein erster Hofarchitekt M. Le Nôtre soll sich Unterstützung suchen und stößt auf die unkonventionelle Mme. De Barra, die ihren Ehemann und ihre Tochter bei einem Kutschunfall verlor und sich seitdem allein durchschlägt. Er hat erkannt, dass ihre frischen Ideen seinen strikten Sinn für Ordnung ideal ergänzen, und zusammen erschaffen sie einen wunderschöne Kaskadenanlage und finden auch noch als Paar zusammen – natürlich all dies nicht ohne ordentliche Widerstände sprich höfische Intrigen. Tja.
What you see is what you get: Dies ist in erster Linie ein Film fürs Auge und als solcher vollauf geglückt. Für zwei Stunden versinkt man in prächtigen Innen- und Außentableaus aus (gottlob) längst vergangenen Zeiten, und dieses akustische Festmahl wird aufs Feinste garniert durch die herrlich üppige Musik, und für den Moment ist das alles schön. Ein rundherum klassischer Ausstattungs- und Kostümfilm, und das fallen mir etliche ein, die wesentlich einfältiger oder langweiliger oder vor allem kitschiger waren als der hier. Rickmans Regie zeichnet sich nämlich in erster Linie durch ihre sehr dezente Zurückhaltung aus, entwickelt die Geschichte sehr ruhig und feinfühlig, ausgesprochen stilvoll und dezent, bleibt deutlich länger bei den Menschen und in den Szenen, als man es sonst gewohnt ist, erforscht ihre Begegnungen detaillierter, lässt gern auch mal Blicke sprechen oder eine Stille für einen Augenblick im Raum stehen. Das ist besonders angebracht, da es an äußeren Aktionen relativ wenig gibt, eine sparsame Handlung und auch mit den oben erwähnten Intrigen hält man sich doch ziemlich zurück: Le Nôtres Gattin ist eifersüchtig auf die neue Nebenbuhlerin und das offenkundige Interesse, das ihr Gatte der Mme. De Barra entgegenbringt, und zettelt eine kurze fiese Aktion an, aber wirklich ans Eingemachte geht es hier selten, auch nicht bei Hofe, wo die alleinstehende Dame doch eigentlich einigen Anstoß erregen sollte. Doch statt Misstrauen und Feindseligkeit herrscht eher Verwunderung und Neugier vor, und in einer sehr starken und eindringlichen Szene versammeln sich kurz vor Schluss die Frauen am Hofe in einem entlegenen Raum, wo sie ganz ohne sich sind und die Dominanz der fetten Puderquasten einmal nicht ertragen müssen, wo sie Zeit und Muße finden, sich über ihre Themen zu unterhalten, beispielsweise über ihre toten Kinder, die bei Hofe strikt tabu sind. Sabine De Barra lernt hier, vor anderen über ihre Trauer zu sprechen, und sie erkennt auch, dass sie mit ihrem Schicksal beileibe nicht allein ist, im Gegenteil, fast jede der anwesenden Frauen hat mindestens ein eigenes Kind verloren und ist fast zerbrochen darüber, und wenn die Männer ihnen schon öffentlich den Mund verbieten, so sind sie doch stolz genug, ihre Identität als Mutter nicht zu verleugnen und sich ihre Gefühle wenigstens untereinander mitzuteilen. Das Thema Frauen am Hofe wird hier also kurz mal angerissen, und obgleich die Figur de Sabine dazu reichlich Gelegenheit bietet, verfolgt Rickman es eigentlich nicht besonders tiefgehend. Schade. Ein weiteres Thema wäre das der konträren Lebens- und Arbeitsprinzipien Ordnung und Chaos, die Le Nôtre und Sabine in gewisser Hinsicht verkörpern, und das sich sicherlich auch weitergehend auf die beiden Geschlechter ausdehnen ließe. Auch hier bleibt es bei einigen anfänglichen Ansätzen, die im weiteren Verlauf mehr oder minder verblassen. Wieder schade. Nur eines wird hier schlussendlich voll ausgearbeitet, und das ist selbstverständlich die Liebesgeschichte, von allen Aspekten zweifellos der am wenigsten interessante und am leichtesten vorhersehbare. Tja, so ist das eben im Kino. Aber wenn ich jetzt weitermache, komme ich schon wieder ans Meckern, und das möchte ich eigentlich gar nicht, weil der Film doch so nett ist.
Ein Schauspielerfilm wie dieser lebt von den Schauspielern, und die sind wirklich fein. Die Kate hat sich längst zu einer enorm ausdrucks- und seelenvollen Charakterdarstellerin entwickelt, der ich immer wieder sehr gern zusehe, Matthias Schoenaerts ist wirklich eine Überraschung, total gegen seinen Typ besetzt, und das macht er richtig gut und überzeugend, und Alan Rickman fügt seinem langen Kanon ein weiteres seiner typisch schmallippigen, leicht sauertöpfischen und verschmitzten Porträts hinzu, das kann er wie kaum ein zweiter, das wissen wir. Drumherum keine großen Stars, dafür sehr feine und immer leicht ironisch maskierte Personen, die nicht mal eine grelle Karikatur des dekadenten Hoflebens vermitteln, die dennoch sehr anschaulich und gekonnt Intrigen, Selbstsucht, Langeweile, Oberflächlichkeit, Eitelkeit und andere schöne Attribute dieser untergegangenen Gesellschaft aufzeigen. Wie gesagt, Rickman bleibt dramaturgisch gesehen sehr wohltemperiert, er überzieht weder in die eine noch die andere Richtung, und das ist unter dem Strich natürlich wenig spektakulär – wer also die ganz großen Gefühle oder die ganz fetten Skandale erwartet, der sollte seinen Frascati besser anderswo zu sich nehmen. Wem aber ein paar wirklich gute Schauspieler und eine schöne Liebesgeschichte eingerahmt von exquisiten Bildern und Tönen für den Augenblick reichen, sollte sich hier wohlfühlen. Aber jetzt habe ich das böse Wort ja doch noch gesagt… (9.5.)