Miekkailija (Die Kinder des Fechters) von Klaus Härö. Finnland/Estland/BRD, 2015. Märt Avandi, Ursula Ratasepp, Hendrik Toompere, Liisa Koppel, Joonas Koff, Egert Kadstu, Ann-Lisett Rebane, Elbe Reiter, Jaak Prints, Lembit Ulfsak

   Estland ist eines jener Länder, die das Privileg hatten, nacheinander von den beiden großen Massenmördern des 20. Jahrhunderts und ihrer jeweiligen Diktatur unterjocht zu werden. Und die Generation junger Männer, die unter deutscher Besatzung zwangsweise als Soldaten rekrutiert und mit einem Wehrpass ausgestattet wurden, geriet kurz darauf ebenso zwangsläufig ins Visier der stalinschen Säuberungsmaschinerie, denn egal wie sich die Männer im einzelnen zur deutschen Herrschaft verhalten hatten, galten sie in der Sowjetunion als Kollaborateure und damit Feinde.

   Anfang der 50er Jahre taucht in der kleinen estnischen Küstenstadt Haapsalu ein Mann namens Endel Nelis aus, der im großen fernen St. Petersburg studierte und nun aus unerfindlichen, aber natürlich gleich verdächtigen Gründen in der tiefsten Provinz eine Anstellung als Sportlehrer annimmt. Offensichtlich musste er aus St. Petersburg verschwinden, weil verschiedene Behörden nach ihm suchen, und auch der Rektor in Haapsalu beäugt ihn misstrauisch. Das Misstrauen wird größer, als Neli, den er zuvor aufgefordert hatte, einen Sportclub für die Schüler einzurichten, ausgerechnet auf Fechten kommt, den Fechten ist natürlich ein Rückstand alter feudaler Zeiten und ganz ungeeignet für die aufrechten Proletarier von heute. Endel aber hat ein Vergangenheit als erfolgreicher Fechter, und gegen den Widerstand des Rektors und seines Spießgesellen und mit unerwarteter Unterstützung der Eltern und Schüler setzt er sich durch, begeistert die Kinder für den Sport und nimmt vier von ihnen zu einem Mannschaftswettbewerb nach St. Petersburg mit. Er fährt dorthin, gegen die Warnung seines Freundes, gegen die Bitte seiner Freundin und mit der ziemlichen Gewissheit, dass die Geheimpolizei Stalins ihn festnehmen wird. So kommt es dann auch, und da hilft es auch nicht, dass die Truppe aus dem fernen Estland tatsächlich gegen all die renommierten Teams aus Moskau und sonstwoher gewinnt. Endel aber hat Glück im Unglück, denn im März 1953 ist Stalin endlich tot, und viele Politische werden amnestiert, unter anderem auch er. Er kehrt zurück nach Haapsalu, wird von der Freundin und „seinen“ Kindern in Empfang genommen, und lebt noch vierzig Jahre dort, wobei es ihm tatsächlich auch noch vergönnt ist, den Zusammenbruch der Sowjetunion und die endgültige Unabhängigkeit Estlands zu erleben.

   Eine wahre Geschichte also, einmal mehr, eine sehr bewegende Geschichte zudem, die Klaus Härö auch bewegend erzählt, vielleicht hier und da ein bisschen zu rührend, aber andererseits setzt sowas ja eine Menge Emotionen frei und zu denen kann man auch mal stehen (fällt mir persönlich natürlich schwer…). In klaren, einfachen aber eindringlichen Bildern wird von Menschen in einer Diktatur erzählt, einer Diktatur, die sich buchstäblich wie Mehltau auf das ganze riesige Land und seine Bewohner gesenkt hat und die mit ihrem furchtbaren Gesinnungsterror alles in einem grauen, eintönigen Bann gefangen hält. Estland ist zwar nur eine kleine, entlegene Teilrepublik, doch die Drähte nach Moskau sind intakt, die Mechanismen der dogmatischen Totalüberwachung funktionieren. Endel ist zuerst verdächtig, weil er aus Str. Petersburg kommt, also ein Snob von der Uni ist, einer, der sich natürlich für was Besseres hält. Dann kommt das Fechten, Inbegriff der erfolgreich überwundenen „Dekadenz“, und drittens vor allem seine Vergangenheit in der Nazibesatzung, wobei er seiner Kadri versichert, er und die anderen Jungs hätten sich sofort in die Wälder abgesetzt und nie für die Deutschen gekämpft. Der Rektor jedoch tut seine Pflicht, gibt Endels Identität und Aufenthalt an die Geheimpolizei weiter, nachdem er zuvor bereits einen Großvater ans Messer geliefert hatte, weil der die Frechheit besaß, den Fechtkurs mit dreisten Argumenten zu verteidigen. Tristesse, Misstrauen, Angst und Einschüchterung herrschen also allenthalben, Kadri berichtet Endel von den vielen Väter, die abgeholt wurden, die verschwanden, die nie wieder auftauchten, erzählt von der täglichen Ungewissheit, der Hoffnung, der Verzweiflung, von dem also, was die stalinistischen „Säuberungen“ in allen Landesteilen anrichteten.

 

   Dem Film gelingt es insgesamt sehr überzeugend, die private Geschichte in den historischen Zusammenhang einzubetten. Er ist spannend, gefühlsvoll, sehr stark gespielt, er vermittelt ganz nebenbei auch etwas von der Faszination des Fechtsports, er vermittelt aber vor allem etwas vom Leben in der kommunistischen Diktatur. Klar und deutlich in der Aussage, ohne platt oder plakativ zu sein, und wenn es mir, wie schon gesagt, gegen Ende ein wenig zu gefühlig wird, dann mag das ebenso gut daran liegen, dass ich gar kein Herz habe. Wenn ich aber eines hätte, würde es mit Sicherheit für Filme wie diesen schlagen, der, wie man so schön sagt, sein Herz auf dem rechten Fleck hat, wobei man das mit dem „rechts“ natürlich in diesem Fall relativieren müsste... (29.12.)